Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. das Recht diese Bestimmung? Offenbar daher, daß diese Artder Uebertragung im Leben die gewöhnlichere und wahrschein- lich auch die angemessenere war. Denn das Gewöhnliche, Regelmäßige ist muthmaßlich auch das dem Verhältniß Entspre- chende, Richtige, wenigstens das von dem allgemeinen Urtheil dafür Angesehene und Gebilligte. Der Gesetzgeber könnte die Aufstellung derartiger Vermuthungen im Einzelnen ganz der Jurisprudenz überlassen. Letztere ist nicht bloß völlig in der Lage die Aufgabe zu lösen, sondern sie ist es oft besser, als der Gesetz- geber, und in der guten Zeit der römischen Jurisprudenz blieb in der That die Aufgabe rein der Wissenschaft und Praxis über- lassen. Justinian aber hielt es für nöthig selbst vielfach einzu- greifen. 493) Rücksichtlich der einzelnen im römischen Recht ent- haltenen Vermuthungen sind wir heutzutage zwar gebunden, allein nichts hindert uns, für Fragen, bei denen wir freie Hand haben, Präsumtionen aufzustellen. Unsere heutige Jurisprudenz hat aber diese Aufgabe viel zu wenig beachtet; es wäre zu wün- schen, daß Jeder, der uns einen neuen Begriff bietet, auch Rede und Antwort stände, woran wir denselben im concreten Fall erkennen, und was wir im Zweifel vermuthen sollen. 494) An der Vernachlässigung dieser Aufgabe merkt man, daß unser heuti- ges Recht mehr von Theoretikern als Praktikern bearbeitet wird; dem Theoretiker kömmt jene Frage nie, dem Praktiker täglich. Es sollen jetzt die drei oben genannten Operationen, die man 493) z. B. bei den Novationen L. ult. Cod. de novat. (8. 42), bei der Frage, ob die von den Partheien verabredete schriftliche Abfassung des Con- tracts der Perfection desselben oder dem Beweis gelten soll L. 17 Cod. de fide instrum. (4. 21), bei der Frage, ob beim Abschluß eines Contracts das in Bezug genommene arbitrium tertii als arbitrium boni viri oder als persön- liches gemeint sei. L. ult. Cod. de cont. emt. (4. 38) u. a. 494) Wie wichtig ist die Frage z. B. bei der Stellvertretung; ist hier im
Zweifel für den Boten oder für den Stellvertreter zu präsumiren? u. s. w. Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. A. Im allgem. das Recht dieſe Beſtimmung? Offenbar daher, daß dieſe Artder Uebertragung im Leben die gewöhnlichere und wahrſchein- lich auch die angemeſſenere war. Denn das Gewöhnliche, Regelmäßige iſt muthmaßlich auch das dem Verhältniß Entſpre- chende, Richtige, wenigſtens das von dem allgemeinen Urtheil dafür Angeſehene und Gebilligte. Der Geſetzgeber könnte die Aufſtellung derartiger Vermuthungen im Einzelnen ganz der Jurisprudenz überlaſſen. Letztere iſt nicht bloß völlig in der Lage die Aufgabe zu löſen, ſondern ſie iſt es oft beſſer, als der Geſetz- geber, und in der guten Zeit der römiſchen Jurisprudenz blieb in der That die Aufgabe rein der Wiſſenſchaft und Praxis über- laſſen. Juſtinian aber hielt es für nöthig ſelbſt vielfach einzu- greifen. 493) Rückſichtlich der einzelnen im römiſchen Recht ent- haltenen Vermuthungen ſind wir heutzutage zwar gebunden, allein nichts hindert uns, für Fragen, bei denen wir freie Hand haben, Präſumtionen aufzuſtellen. Unſere heutige Jurisprudenz hat aber dieſe Aufgabe viel zu wenig beachtet; es wäre zu wün- ſchen, daß Jeder, der uns einen neuen Begriff bietet, auch Rede und Antwort ſtände, woran wir denſelben im concreten Fall erkennen, und was wir im Zweifel vermuthen ſollen. 494) An der Vernachläſſigung dieſer Aufgabe merkt man, daß unſer heuti- ges Recht mehr von Theoretikern als Praktikern bearbeitet wird; dem Theoretiker kömmt jene Frage nie, dem Praktiker täglich. Es ſollen jetzt die drei oben genannten Operationen, die man 493) z. B. bei den Novationen L. ult. Cod. de novat. (8. 42), bei der Frage, ob die von den Partheien verabredete ſchriftliche Abfaſſung des Con- tracts der Perfection deſſelben oder dem Beweis gelten ſoll L. 17 Cod. de fide instrum. (4. 21), bei der Frage, ob beim Abſchluß eines Contracts das in Bezug genommene arbitrium tertii als arbitrium boni viri oder als perſön- liches gemeint ſei. L. ult. Cod. de cont. emt. (4. 38) u. a. 494) Wie wichtig iſt die Frage z. B. bei der Stellvertretung; iſt hier im
Zweifel für den Boten oder für den Stellvertreter zu präſumiren? u. ſ. w. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0064" n="358"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juriſt. Technik. <hi rendition="#aq">A.</hi> Im allgem.</fw><lb/> das Recht dieſe Beſtimmung? Offenbar daher, daß dieſe Art<lb/> der Uebertragung im Leben die gewöhnlichere und wahrſchein-<lb/> lich auch die angemeſſenere war. Denn das Gewöhnliche,<lb/> Regelmäßige iſt muthmaßlich auch das dem Verhältniß Entſpre-<lb/> chende, Richtige, wenigſtens das von dem allgemeinen Urtheil<lb/> dafür Angeſehene und Gebilligte. Der Geſetzgeber könnte die<lb/> Aufſtellung derartiger Vermuthungen im Einzelnen ganz der<lb/> Jurisprudenz überlaſſen. Letztere iſt nicht bloß völlig in der Lage<lb/> die Aufgabe zu löſen, ſondern ſie iſt es oft beſſer, als der Geſetz-<lb/> geber, und in der guten Zeit der römiſchen Jurisprudenz blieb<lb/> in der That die Aufgabe rein der Wiſſenſchaft und Praxis über-<lb/> laſſen. Juſtinian aber hielt es für nöthig ſelbſt vielfach einzu-<lb/> greifen. <note place="foot" n="493)">z. B. bei den Novationen <hi rendition="#aq">L. ult. Cod. de novat.</hi> (8. 42), bei der<lb/> Frage, ob die von den Partheien verabredete ſchriftliche Abfaſſung des Con-<lb/> tracts der Perfection deſſelben oder dem Beweis gelten ſoll <hi rendition="#aq">L. 17 Cod. de fide<lb/> instrum.</hi> (4. 21), bei der Frage, ob beim Abſchluß eines Contracts das in<lb/> Bezug genommene <hi rendition="#aq">arbitrium tertii</hi> als <hi rendition="#aq">arbitrium boni viri</hi> oder als perſön-<lb/> liches gemeint ſei. <hi rendition="#aq">L. ult. Cod. de cont. emt.</hi> (4. 38) u. a.</note> Rückſichtlich der einzelnen im römiſchen Recht ent-<lb/> haltenen Vermuthungen ſind wir heutzutage zwar gebunden,<lb/> allein nichts hindert uns, für Fragen, bei denen wir freie Hand<lb/> haben, Präſumtionen aufzuſtellen. Unſere heutige Jurisprudenz<lb/> hat aber dieſe Aufgabe viel zu wenig beachtet; es wäre zu wün-<lb/> ſchen, daß Jeder, der uns einen neuen Begriff bietet, auch Rede<lb/> und Antwort ſtände, woran wir denſelben im concreten Fall<lb/> erkennen, und was wir im Zweifel vermuthen ſollen. <note place="foot" n="494)">Wie wichtig iſt die Frage z. B. bei der Stellvertretung; iſt hier im<lb/> Zweifel für den Boten oder für den Stellvertreter zu präſumiren? u. ſ. w.</note> An<lb/> der Vernachläſſigung dieſer Aufgabe merkt man, daß unſer heuti-<lb/> ges Recht mehr <hi rendition="#g">von</hi> Theoretikern als Praktikern bearbeitet wird;<lb/> dem Theoretiker kömmt jene Frage nie, dem Praktiker täglich.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Es ſollen jetzt die drei oben genannten Operationen, die man<lb/><hi rendition="#g">Fundamental-Operationen der juriſtiſchen Technik</hi><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [358/0064]
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. A. Im allgem.
das Recht dieſe Beſtimmung? Offenbar daher, daß dieſe Art
der Uebertragung im Leben die gewöhnlichere und wahrſchein-
lich auch die angemeſſenere war. Denn das Gewöhnliche,
Regelmäßige iſt muthmaßlich auch das dem Verhältniß Entſpre-
chende, Richtige, wenigſtens das von dem allgemeinen Urtheil
dafür Angeſehene und Gebilligte. Der Geſetzgeber könnte die
Aufſtellung derartiger Vermuthungen im Einzelnen ganz der
Jurisprudenz überlaſſen. Letztere iſt nicht bloß völlig in der Lage
die Aufgabe zu löſen, ſondern ſie iſt es oft beſſer, als der Geſetz-
geber, und in der guten Zeit der römiſchen Jurisprudenz blieb
in der That die Aufgabe rein der Wiſſenſchaft und Praxis über-
laſſen. Juſtinian aber hielt es für nöthig ſelbſt vielfach einzu-
greifen. 493) Rückſichtlich der einzelnen im römiſchen Recht ent-
haltenen Vermuthungen ſind wir heutzutage zwar gebunden,
allein nichts hindert uns, für Fragen, bei denen wir freie Hand
haben, Präſumtionen aufzuſtellen. Unſere heutige Jurisprudenz
hat aber dieſe Aufgabe viel zu wenig beachtet; es wäre zu wün-
ſchen, daß Jeder, der uns einen neuen Begriff bietet, auch Rede
und Antwort ſtände, woran wir denſelben im concreten Fall
erkennen, und was wir im Zweifel vermuthen ſollen. 494) An
der Vernachläſſigung dieſer Aufgabe merkt man, daß unſer heuti-
ges Recht mehr von Theoretikern als Praktikern bearbeitet wird;
dem Theoretiker kömmt jene Frage nie, dem Praktiker täglich.
Es ſollen jetzt die drei oben genannten Operationen, die man
Fundamental-Operationen der juriſtiſchen Technik
493) z. B. bei den Novationen L. ult. Cod. de novat. (8. 42), bei der
Frage, ob die von den Partheien verabredete ſchriftliche Abfaſſung des Con-
tracts der Perfection deſſelben oder dem Beweis gelten ſoll L. 17 Cod. de fide
instrum. (4. 21), bei der Frage, ob beim Abſchluß eines Contracts das in
Bezug genommene arbitrium tertii als arbitrium boni viri oder als perſön-
liches gemeint ſei. L. ult. Cod. de cont. emt. (4. 38) u. a.
494) Wie wichtig iſt die Frage z. B. bei der Stellvertretung; iſt hier im
Zweifel für den Boten oder für den Stellvertreter zu präſumiren? u. ſ. w.
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