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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
Nur dann würde die jenseitige Annahme gerechtfertigt sein, wenn
Gajus unter den "ceterae actiones" nicht, wie der Zusammen-
hang es ergibt, die vier Arten des Verfahrens ("modi"), son-
dern sämmtliche einzelne Handlungen, die bei Gelegenheit
derselben vorkamen, verstanden hätte. Selbst in diesem Fall aber
bliebe immerhin noch der Ausweg, daß zwar außergerichtliche
Handlungen bei ihnen möglich gewesen, allein nur nicht legis
actiones
genannt worden seien.

Setzen wir die Frage, ob sie so genannt worden seien, zu-
nächst aus. Constatiren wir vorläufig, einmal: daß sie in
der That vorkamen und zweitens: daß sie die oben angege-
benen wesentlichen Kriterien des Begriffs der legis actio theilten,
der Grundsatz der Correspondenz zwischen der Formel und dem
Gesetz auch bei ihnen Anwendung fand.

Wir können im ganzen drei Classen der außergerichtlichen
rechtsverfolgenden Handlungen unterscheiden; sie griffen Platz:
anstatt des Processes (die pignoris capio) beim Beginn und
im Lauf des Processes.

Zu den außergerichtlichen Acten bei Beginn des Processes
zähle ich 1) die in jus vocatio, 2) die im Fall ihrer Erfolglosig-
keit eintretende manus injectio, und 3) die condictio bei der legis
actio per condictionem.

Daß der erstere Act ein außergerichtlicher war, ist bekannt;
daß er mit den Worten des Gesetzes erfolgte, ergibt sich aus der
Vergleichung seiner Formel mit den Worten der XII Tafeln. Er-
stere lautete: in jus te voco,882) letztere si in jus vocat.883)

882) Für die in jus vocatio kommen bei den Dichtern noch verschiedene
Formeln vor: z. B. ambula in jus, eamus in jus u. a. s. bei Briss. V. 1.
Seltsamer Weise hält dieser Schriftsteller diese Formeln für die ächten, dage-
gen die obige, welche bei Plautus an vier verschiedenen Stellen sich wieder-
holt und das unverkennbare Gepräge der Aechtheit an sich trägt, für eine Er-
findung des Plautus.
883) Die Zeugnisse für dieses und die folgenden Beispiele bei Dirksen
Uebersicht u. s. w. der Zwölftafel-Fragmente. Tafel I.
Thering, Geist d. röm. Rechts. II. 42

Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
Nur dann würde die jenſeitige Annahme gerechtfertigt ſein, wenn
Gajus unter den „ceterae actiones“ nicht, wie der Zuſammen-
hang es ergibt, die vier Arten des Verfahrens („modi“), ſon-
dern ſämmtliche einzelne Handlungen, die bei Gelegenheit
derſelben vorkamen, verſtanden hätte. Selbſt in dieſem Fall aber
bliebe immerhin noch der Ausweg, daß zwar außergerichtliche
Handlungen bei ihnen möglich geweſen, allein nur nicht legis
actiones
genannt worden ſeien.

Setzen wir die Frage, ob ſie ſo genannt worden ſeien, zu-
nächſt aus. Conſtatiren wir vorläufig, einmal: daß ſie in
der That vorkamen und zweitens: daß ſie die oben angege-
benen weſentlichen Kriterien des Begriffs der legis actio theilten,
der Grundſatz der Correſpondenz zwiſchen der Formel und dem
Geſetz auch bei ihnen Anwendung fand.

Wir können im ganzen drei Claſſen der außergerichtlichen
rechtsverfolgenden Handlungen unterſcheiden; ſie griffen Platz:
anſtatt des Proceſſes (die pignoris capio) beim Beginn und
im Lauf des Proceſſes.

Zu den außergerichtlichen Acten bei Beginn des Proceſſes
zähle ich 1) die in jus vocatio, 2) die im Fall ihrer Erfolgloſig-
keit eintretende manus injectio, und 3) die condictio bei der legis
actio per condictionem.

Daß der erſtere Act ein außergerichtlicher war, iſt bekannt;
daß er mit den Worten des Geſetzes erfolgte, ergibt ſich aus der
Vergleichung ſeiner Formel mit den Worten der XII Tafeln. Er-
ſtere lautete: in jus te voco,882) letztere si in jus vocat.883)

882) Für die in jus vocatio kommen bei den Dichtern noch verſchiedene
Formeln vor: z. B. ambula in jus, eamus in jus u. a. ſ. bei Briss. V. 1.
Seltſamer Weiſe hält dieſer Schriftſteller dieſe Formeln für die ächten, dage-
gen die obige, welche bei Plautus an vier verſchiedenen Stellen ſich wieder-
holt und das unverkennbare Gepräge der Aechtheit an ſich trägt, für eine Er-
findung des Plautus.
883) Die Zeugniſſe für dieſes und die folgenden Beiſpiele bei Dirkſen
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Thering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 42
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[657/0363] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Nur dann würde die jenſeitige Annahme gerechtfertigt ſein, wenn Gajus unter den „ceterae actiones“ nicht, wie der Zuſammen- hang es ergibt, die vier Arten des Verfahrens („modi“), ſon- dern ſämmtliche einzelne Handlungen, die bei Gelegenheit derſelben vorkamen, verſtanden hätte. Selbſt in dieſem Fall aber bliebe immerhin noch der Ausweg, daß zwar außergerichtliche Handlungen bei ihnen möglich geweſen, allein nur nicht legis actiones genannt worden ſeien. Setzen wir die Frage, ob ſie ſo genannt worden ſeien, zu- nächſt aus. Conſtatiren wir vorläufig, einmal: daß ſie in der That vorkamen und zweitens: daß ſie die oben angege- benen weſentlichen Kriterien des Begriffs der legis actio theilten, der Grundſatz der Correſpondenz zwiſchen der Formel und dem Geſetz auch bei ihnen Anwendung fand. Wir können im ganzen drei Claſſen der außergerichtlichen rechtsverfolgenden Handlungen unterſcheiden; ſie griffen Platz: anſtatt des Proceſſes (die pignoris capio) beim Beginn und im Lauf des Proceſſes. Zu den außergerichtlichen Acten bei Beginn des Proceſſes zähle ich 1) die in jus vocatio, 2) die im Fall ihrer Erfolgloſig- keit eintretende manus injectio, und 3) die condictio bei der legis actio per condictionem. Daß der erſtere Act ein außergerichtlicher war, iſt bekannt; daß er mit den Worten des Geſetzes erfolgte, ergibt ſich aus der Vergleichung ſeiner Formel mit den Worten der XII Tafeln. Er- ſtere lautete: in jus te voco, 882) letztere si in jus vocat. 883) 882) Für die in jus vocatio kommen bei den Dichtern noch verſchiedene Formeln vor: z. B. ambula in jus, eamus in jus u. a. ſ. bei Briss. V. 1. Seltſamer Weiſe hält dieſer Schriftſteller dieſe Formeln für die ächten, dage- gen die obige, welche bei Plautus an vier verſchiedenen Stellen ſich wieder- holt und das unverkennbare Gepräge der Aechtheit an ſich trägt, für eine Er- findung des Plautus. 883) Die Zeugniſſe für dieſes und die folgenden Beiſpiele bei Dirkſen Ueberſicht u. ſ. w. der Zwölftafel-Fragmente. Tafel I. Thering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 42

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 657. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/363>, abgerufen am 24.11.2024.