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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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I. Gegensatz der natürl. u. jurist. Anschauungsweise. §. 37.
suchen werde, so bitte ich, nicht außer Acht zu lassen, daß diese
Ausführung nur den Zweck hat, das Verständniß der Technik
des älteren römischen Rechts vorzubereiten, daß man also
darin nichts suchen möge, was ich an dieser Stelle, ohne mei-
nen Zweck aus dem Auge zu verlieren, nicht geben kann. An
der gegenwärtigen Stelle würden Ausführungen über den Beruf
der Jurisprudenz, die durch die Entwicklungsstufe des älteren
römischen Rechts nicht geboten sind, verfrüht und ungehörig
sein. Die spätere Entwicklung der römischen Jurisprudenz
wird mir hinlängliche Gelegenheit geben, das Fehlende nachzu-
holen und dem Leser eine Anschauung von der vielseitigen Wirk-
samkeit einer ausgebildeten Jurisprudenz zu gewähren. Hier
handelt es sich zunächst nur um den Elementarunterricht in der
juristischen Kunst; denn die Kunst selbst beginnt historisch überall
mit den Elementen.

Die Theorie der Technik, die ich im Folgenden aufstellen
werde, ist zwar einer Betrachtung des römischen Rechts ent-
nommen, allein sie macht nichts desto weniger auf allgemeine
Wahrheit Anspruch. Wie den Erscheinungen, an denen uns der
vorige Abschnitt vorüberführte, bei aller national-römischen
Form, die die Sache hier angenommen hatte, dennoch Motive
von allgemeiner Wahrheit zu Grunde lagen, d. h. Aufgaben,
an deren Lösung jedes Recht sich zu versuchen hat, so auch
hier. Denn nicht blos ist die Aufgabe selbst, um die es sich hier
handelt, eine absolut nothwendige, ein mit den letzten Zwecken
des Rechts selbst gesetztes Problem, sondern es muß auch die
Art ihrer Lösung in Rom trotz aller römischen Form im Wesent-
lichen als die absolut richtige, als die einzig denkbare bezeichnet
werden. Mit derselben apodiktischen Gewißheit, mit der man
behaupten kann, daß die Grundsätze der mathematischen Me-
thode für alle Zeiten unwandelbar dieselben bleiben werden,
läßt sich ein Gleiches für die der juristischen Methode behaup-
ten. Der Weg, den das ältere römische Recht hier eingeschlagen,
ist der einer jeden Jurisprudenz; er ist so wenig ein römischer,

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I. Gegenſatz der natürl. u. juriſt. Anſchauungsweiſe. §. 37.
ſuchen werde, ſo bitte ich, nicht außer Acht zu laſſen, daß dieſe
Ausführung nur den Zweck hat, das Verſtändniß der Technik
des älteren römiſchen Rechts vorzubereiten, daß man alſo
darin nichts ſuchen möge, was ich an dieſer Stelle, ohne mei-
nen Zweck aus dem Auge zu verlieren, nicht geben kann. An
der gegenwärtigen Stelle würden Ausführungen über den Beruf
der Jurisprudenz, die durch die Entwicklungsſtufe des älteren
römiſchen Rechts nicht geboten ſind, verfrüht und ungehörig
ſein. Die ſpätere Entwicklung der römiſchen Jurisprudenz
wird mir hinlängliche Gelegenheit geben, das Fehlende nachzu-
holen und dem Leſer eine Anſchauung von der vielſeitigen Wirk-
ſamkeit einer ausgebildeten Jurisprudenz zu gewähren. Hier
handelt es ſich zunächſt nur um den Elementarunterricht in der
juriſtiſchen Kunſt; denn die Kunſt ſelbſt beginnt hiſtoriſch überall
mit den Elementen.

Die Theorie der Technik, die ich im Folgenden aufſtellen
werde, iſt zwar einer Betrachtung des römiſchen Rechts ent-
nommen, allein ſie macht nichts deſto weniger auf allgemeine
Wahrheit Anſpruch. Wie den Erſcheinungen, an denen uns der
vorige Abſchnitt vorüberführte, bei aller national-römiſchen
Form, die die Sache hier angenommen hatte, dennoch Motive
von allgemeiner Wahrheit zu Grunde lagen, d. h. Aufgaben,
an deren Löſung jedes Recht ſich zu verſuchen hat, ſo auch
hier. Denn nicht blos iſt die Aufgabe ſelbſt, um die es ſich hier
handelt, eine abſolut nothwendige, ein mit den letzten Zwecken
des Rechts ſelbſt geſetztes Problem, ſondern es muß auch die
Art ihrer Löſung in Rom trotz aller römiſchen Form im Weſent-
lichen als die abſolut richtige, als die einzig denkbare bezeichnet
werden. Mit derſelben apodiktiſchen Gewißheit, mit der man
behaupten kann, daß die Grundſätze der mathematiſchen Me-
thode für alle Zeiten unwandelbar dieſelben bleiben werden,
läßt ſich ein Gleiches für die der juriſtiſchen Methode behaup-
ten. Der Weg, den das ältere römiſche Recht hier eingeſchlagen,
iſt der einer jeden Jurisprudenz; er iſt ſo wenig ein römiſcher,

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[323/0029] I. Gegenſatz der natürl. u. juriſt. Anſchauungsweiſe. §. 37. ſuchen werde, ſo bitte ich, nicht außer Acht zu laſſen, daß dieſe Ausführung nur den Zweck hat, das Verſtändniß der Technik des älteren römiſchen Rechts vorzubereiten, daß man alſo darin nichts ſuchen möge, was ich an dieſer Stelle, ohne mei- nen Zweck aus dem Auge zu verlieren, nicht geben kann. An der gegenwärtigen Stelle würden Ausführungen über den Beruf der Jurisprudenz, die durch die Entwicklungsſtufe des älteren römiſchen Rechts nicht geboten ſind, verfrüht und ungehörig ſein. Die ſpätere Entwicklung der römiſchen Jurisprudenz wird mir hinlängliche Gelegenheit geben, das Fehlende nachzu- holen und dem Leſer eine Anſchauung von der vielſeitigen Wirk- ſamkeit einer ausgebildeten Jurisprudenz zu gewähren. Hier handelt es ſich zunächſt nur um den Elementarunterricht in der juriſtiſchen Kunſt; denn die Kunſt ſelbſt beginnt hiſtoriſch überall mit den Elementen. Die Theorie der Technik, die ich im Folgenden aufſtellen werde, iſt zwar einer Betrachtung des römiſchen Rechts ent- nommen, allein ſie macht nichts deſto weniger auf allgemeine Wahrheit Anſpruch. Wie den Erſcheinungen, an denen uns der vorige Abſchnitt vorüberführte, bei aller national-römiſchen Form, die die Sache hier angenommen hatte, dennoch Motive von allgemeiner Wahrheit zu Grunde lagen, d. h. Aufgaben, an deren Löſung jedes Recht ſich zu verſuchen hat, ſo auch hier. Denn nicht blos iſt die Aufgabe ſelbſt, um die es ſich hier handelt, eine abſolut nothwendige, ein mit den letzten Zwecken des Rechts ſelbſt geſetztes Problem, ſondern es muß auch die Art ihrer Löſung in Rom trotz aller römiſchen Form im Weſent- lichen als die abſolut richtige, als die einzig denkbare bezeichnet werden. Mit derſelben apodiktiſchen Gewißheit, mit der man behaupten kann, daß die Grundſätze der mathematiſchen Me- thode für alle Zeiten unwandelbar dieſelben bleiben werden, läßt ſich ein Gleiches für die der juriſtiſchen Methode behaup- ten. Der Weg, den das ältere römiſche Recht hier eingeſchlagen, iſt der einer jeden Jurisprudenz; er iſt ſo wenig ein römiſcher, 21*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/29>, abgerufen am 23.11.2024.