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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46.
diesem Grunde bei der Mancipation thun. Primär und aus-
schließlich
konnte keine Obligation durch sie erzeugt werden.

Die hohe Bedeutung dieser Geschäftsform möge es ent-
schuldigen, daß ich mich so lange bei ihr verweilt habe, ich
werde mich bei den beiden andern um so kürzer fassen.

Die in jure cessio (Abtretung vor Gericht) bietet mir
wenig Anlaß zum nähern Eingehen dar. Sie ist das Gegen-
stück der sponsio praejudicialis; wie bei letzterer der Vertrag
dem Proceß, so hilft hier der Proceß dem Vertrage aus. Ihrer
Form nach eine Scheinvindication, bei der der Erwerber als
Vindicant auftrat, der Cedent sich der Contravindication ent-
hielt, und der Prätor jenem die in Anspruch genommene Sache
oder das Recht zusprach, fand sie nur bei solchen Rechten
Statt, die möglicherweise Gegenstand der Vindication sein
konnten. Zur Begründung obligatorischer Verhältnisse war
daher auch sie ungeeignet, ja sie schloß vermöge der Natur des
Actes, in dessen Formen sie sich kleidete, selbst die mittelbare
Begründung derselben aus. 736) An Alter steht sie hinter der
Mancipation höchst wahrscheinlich zurück, 737) an ausgedehnter
Anwendbarkeit aber nicht, wie dies die folgende tabellarische
Vergleichung ihrer beiderseitigen Anwendungsgebiete nachwei-
sen soll.

736) Von der fiducia ist oben, soweit es hier nöthig ist, bereits das
Erforderliche gesagt.
737) Die frühste Erwähnung geschieht in Anwendung auf die Manu-
mission für das erste Jahr der Republik (Liv. II, 5), und zwar verhielt sich
die manumissio per vindictam zu der bis dahin üblichen manumissio censu
in ähnlicher Weise, wie das testamentum per aes et libram zu dem in
comitiis calatis
d. h. beide stellten eine zu jeder Zeit anwendbare also be-
quemere Form der früheren an gewisse Zeiten gebundenen gegenüber. Nach
Paulus in den Vat. fr. §. 50 sollen die XII Tafeln die in jure cessio an-
erkannt haben; ob "propalam" oder "per consequentiam" (Ulp. XI, 3)
d. h. dadurch daß sie die Vindication anerkannten, stände wohl noch zur
Frage. Das "confirmat" von Paulus kann denselben Sinn haben, wie das
"jubet" von Ulp. X, 1.
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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46.
dieſem Grunde bei der Mancipation thun. Primär und aus-
ſchließlich
konnte keine Obligation durch ſie erzeugt werden.

Die hohe Bedeutung dieſer Geſchäftsform möge es ent-
ſchuldigen, daß ich mich ſo lange bei ihr verweilt habe, ich
werde mich bei den beiden andern um ſo kürzer faſſen.

Die in jure cessio (Abtretung vor Gericht) bietet mir
wenig Anlaß zum nähern Eingehen dar. Sie iſt das Gegen-
ſtück der sponsio praejudicialis; wie bei letzterer der Vertrag
dem Proceß, ſo hilft hier der Proceß dem Vertrage aus. Ihrer
Form nach eine Scheinvindication, bei der der Erwerber als
Vindicant auftrat, der Cedent ſich der Contravindication ent-
hielt, und der Prätor jenem die in Anſpruch genommene Sache
oder das Recht zuſprach, fand ſie nur bei ſolchen Rechten
Statt, die möglicherweiſe Gegenſtand der Vindication ſein
konnten. Zur Begründung obligatoriſcher Verhältniſſe war
daher auch ſie ungeeignet, ja ſie ſchloß vermöge der Natur des
Actes, in deſſen Formen ſie ſich kleidete, ſelbſt die mittelbare
Begründung derſelben aus. 736) An Alter ſteht ſie hinter der
Mancipation höchſt wahrſcheinlich zurück, 737) an ausgedehnter
Anwendbarkeit aber nicht, wie dies die folgende tabellariſche
Vergleichung ihrer beiderſeitigen Anwendungsgebiete nachwei-
ſen ſoll.

736) Von der fiducia iſt oben, ſoweit es hier nöthig iſt, bereits das
Erforderliche geſagt.
737) Die frühſte Erwähnung geſchieht in Anwendung auf die Manu-
miſſion für das erſte Jahr der Republik (Liv. II, 5), und zwar verhielt ſich
die manumissio per vindictam zu der bis dahin üblichen manumissio censu
in ähnlicher Weiſe, wie das testamentum per aes et libram zu dem in
comitiis calatis
d. h. beide ſtellten eine zu jeder Zeit anwendbare alſo be-
quemere Form der früheren an gewiſſe Zeiten gebundenen gegenüber. Nach
Paulus in den Vat. fr. §. 50 ſollen die XII Tafeln die in jure cessio an-
erkannt haben; ob „propalam“ oder „per consequentiam“ (Ulp. XI, 3)
d. h. dadurch daß ſie die Vindication anerkannten, ſtände wohl noch zur
Frage. Das „confirmat“ von Paulus kann denſelben Sinn haben, wie das
„jubet“ von Ulp. X, 1.
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[579/0285] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. dieſem Grunde bei der Mancipation thun. Primär und aus- ſchließlich konnte keine Obligation durch ſie erzeugt werden. Die hohe Bedeutung dieſer Geſchäftsform möge es ent- ſchuldigen, daß ich mich ſo lange bei ihr verweilt habe, ich werde mich bei den beiden andern um ſo kürzer faſſen. Die in jure cessio (Abtretung vor Gericht) bietet mir wenig Anlaß zum nähern Eingehen dar. Sie iſt das Gegen- ſtück der sponsio praejudicialis; wie bei letzterer der Vertrag dem Proceß, ſo hilft hier der Proceß dem Vertrage aus. Ihrer Form nach eine Scheinvindication, bei der der Erwerber als Vindicant auftrat, der Cedent ſich der Contravindication ent- hielt, und der Prätor jenem die in Anſpruch genommene Sache oder das Recht zuſprach, fand ſie nur bei ſolchen Rechten Statt, die möglicherweiſe Gegenſtand der Vindication ſein konnten. Zur Begründung obligatoriſcher Verhältniſſe war daher auch ſie ungeeignet, ja ſie ſchloß vermöge der Natur des Actes, in deſſen Formen ſie ſich kleidete, ſelbſt die mittelbare Begründung derſelben aus. 736) An Alter ſteht ſie hinter der Mancipation höchſt wahrſcheinlich zurück, 737) an ausgedehnter Anwendbarkeit aber nicht, wie dies die folgende tabellariſche Vergleichung ihrer beiderſeitigen Anwendungsgebiete nachwei- ſen ſoll. 736) Von der fiducia iſt oben, ſoweit es hier nöthig iſt, bereits das Erforderliche geſagt. 737) Die frühſte Erwähnung geſchieht in Anwendung auf die Manu- miſſion für das erſte Jahr der Republik (Liv. II, 5), und zwar verhielt ſich die manumissio per vindictam zu der bis dahin üblichen manumissio censu in ähnlicher Weiſe, wie das testamentum per aes et libram zu dem in comitiis calatis d. h. beide ſtellten eine zu jeder Zeit anwendbare alſo be- quemere Form der früheren an gewiſſe Zeiten gebundenen gegenüber. Nach Paulus in den Vat. fr. §. 50 ſollen die XII Tafeln die in jure cessio an- erkannt haben; ob „propalam“ oder „per consequentiam“ (Ulp. XI, 3) d. h. dadurch daß ſie die Vindication anerkannten, ſtände wohl noch zur Frage. Das „confirmat“ von Paulus kann denſelben Sinn haben, wie das „jubet“ von Ulp. X, 1. 37*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/285>, abgerufen am 16.07.2024.