Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46.
Diese Behauptung muß darauf gefaßt sein, einem hart- näckigen Widerspruch zu begegnen.
Verständigen wir uns zunächst über den Sinn derselben. Es ist nicht meine Meinung, als ob das römische Alterthum nicht von jeher formlose Geschäfte gekannt habe, denen die Ge- walten des Lebens, die Macht der Sitte, die Treue, der Credit eine factische Anerkennung und Beachtung sicherten. Ich gebe nicht bloß diese Thatsache bereitwillig zu, sondern ich erblicke in ihr sogar ein wesentliches Complement des älteren Rechts selbst. Allein warum es sich bei unserer Frage lediglich handelt, ist die rechtliche Wirksamkeit der Geschäfte, ihre gerichtliche Erzwingbarkeit, und ich kann diese läugnen und läugne sie, ohne jene Thatsache in Abrede zu stellen. Sodann aber muß ich ferner zwei Verhältnisse, die man versucht sein könnte mei- ner Behauptung entgegenzustellen, als gar nicht hierher ge- hörig ausscheiden. Zunächst den Besitz. Denn der Besitz als rein thatsächliches Verhältniß schließt seinem Begriff nach die Form aus. Wie er immerhin auch entstanden sein möge, ist gleichgültig; er ist da, und dies genügt. Sodann die Con- dictionen. Sie stützen sich, wenn man will, ebenfalls auf ein thatsächliches Moment, nämlich auf das rein sachliche (von einer Willensthätigkeit unabhängige) Moment der Vermögens- bereicherung ohne Grund. Es ist nicht der Wille, sondern das Haben, die res, welche hier die Klage begründet. Ich würde dieses Verhältnisses gar nicht gedenken, wenn nicht in manchen Fällen der Schein entstände, als ob der Wille hier ein wesent- licher Factor sei. Eine condictio indebiti oder ob causam da- torum ist nicht möglich, ohne daß ein Geschäft zwischen Kläger und Beklagten voraus gegangen ist. Aber dies Geschäft ist hier nicht selbständiger Grund der Klage, sondern letzterer besteht in der Bereicherung, die bei Gelegenheit dieses Geschäfts ein- getreten ist. Derselben Auffassung läßt sich auch das Darlehn unterstellen. Um die Verpflichtung zur Zurückforderung zu be- gründen, braucht der Kläger nicht in anderer Weise das Willens-
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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46.
Dieſe Behauptung muß darauf gefaßt ſein, einem hart- näckigen Widerſpruch zu begegnen.
Verſtändigen wir uns zunächſt über den Sinn derſelben. Es iſt nicht meine Meinung, als ob das römiſche Alterthum nicht von jeher formloſe Geſchäfte gekannt habe, denen die Ge- walten des Lebens, die Macht der Sitte, die Treue, der Credit eine factiſche Anerkennung und Beachtung ſicherten. Ich gebe nicht bloß dieſe Thatſache bereitwillig zu, ſondern ich erblicke in ihr ſogar ein weſentliches Complement des älteren Rechts ſelbſt. Allein warum es ſich bei unſerer Frage lediglich handelt, iſt die rechtliche Wirkſamkeit der Geſchäfte, ihre gerichtliche Erzwingbarkeit, und ich kann dieſe läugnen und läugne ſie, ohne jene Thatſache in Abrede zu ſtellen. Sodann aber muß ich ferner zwei Verhältniſſe, die man verſucht ſein könnte mei- ner Behauptung entgegenzuſtellen, als gar nicht hierher ge- hörig ausſcheiden. Zunächſt den Beſitz. Denn der Beſitz als rein thatſächliches Verhältniß ſchließt ſeinem Begriff nach die Form aus. Wie er immerhin auch entſtanden ſein möge, iſt gleichgültig; er iſt da, und dies genügt. Sodann die Con- dictionen. Sie ſtützen ſich, wenn man will, ebenfalls auf ein thatſächliches Moment, nämlich auf das rein ſachliche (von einer Willensthätigkeit unabhängige) Moment der Vermögens- bereicherung ohne Grund. Es iſt nicht der Wille, ſondern das Haben, die res, welche hier die Klage begründet. Ich würde dieſes Verhältniſſes gar nicht gedenken, wenn nicht in manchen Fällen der Schein entſtände, als ob der Wille hier ein weſent- licher Factor ſei. Eine condictio indebiti oder ob causam da- torum iſt nicht möglich, ohne daß ein Geſchäft zwiſchen Kläger und Beklagten voraus gegangen iſt. Aber dies Geſchäft iſt hier nicht ſelbſtändiger Grund der Klage, ſondern letzterer beſteht in der Bereicherung, die bei Gelegenheit dieſes Geſchäfts ein- getreten iſt. Derſelben Auffaſſung läßt ſich auch das Darlehn unterſtellen. Um die Verpflichtung zur Zurückforderung zu be- gründen, braucht der Kläger nicht in anderer Weiſe das Willens-
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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46.
Dieſe Behauptung muß darauf gefaßt ſein, einem hart-
näckigen Widerſpruch zu begegnen.
Verſtändigen wir uns zunächſt über den Sinn derſelben.
Es iſt nicht meine Meinung, als ob das römiſche Alterthum
nicht von jeher formloſe Geſchäfte gekannt habe, denen die Ge-
walten des Lebens, die Macht der Sitte, die Treue, der Credit
eine factiſche Anerkennung und Beachtung ſicherten. Ich gebe
nicht bloß dieſe Thatſache bereitwillig zu, ſondern ich erblicke in
ihr ſogar ein weſentliches Complement des älteren Rechts
ſelbſt. Allein warum es ſich bei unſerer Frage lediglich handelt,
iſt die rechtliche Wirkſamkeit der Geſchäfte, ihre gerichtliche
Erzwingbarkeit, und ich kann dieſe läugnen und läugne ſie,
ohne jene Thatſache in Abrede zu ſtellen. Sodann aber muß
ich ferner zwei Verhältniſſe, die man verſucht ſein könnte mei-
ner Behauptung entgegenzuſtellen, als gar nicht hierher ge-
hörig ausſcheiden. Zunächſt den Beſitz. Denn der Beſitz als
rein thatſächliches Verhältniß ſchließt ſeinem Begriff nach die
Form aus. Wie er immerhin auch entſtanden ſein möge, iſt
gleichgültig; er iſt da, und dies genügt. Sodann die Con-
dictionen. Sie ſtützen ſich, wenn man will, ebenfalls auf ein
thatſächliches Moment, nämlich auf das rein ſachliche (von
einer Willensthätigkeit unabhängige) Moment der Vermögens-
bereicherung ohne Grund. Es iſt nicht der Wille, ſondern das
Haben, die res, welche hier die Klage begründet. Ich würde
dieſes Verhältniſſes gar nicht gedenken, wenn nicht in manchen
Fällen der Schein entſtände, als ob der Wille hier ein weſent-
licher Factor ſei. Eine condictio indebiti oder ob causam da-
torum iſt nicht möglich, ohne daß ein Geſchäft zwiſchen Kläger
und Beklagten voraus gegangen iſt. Aber dies Geſchäft iſt hier
nicht ſelbſtändiger Grund der Klage, ſondern letzterer beſteht in
der Bereicherung, die bei Gelegenheit dieſes Geſchäfts ein-
getreten iſt. Derſelben Auffaſſung läßt ſich auch das Darlehn
unterſtellen. Um die Verpflichtung zur Zurückforderung zu be-
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/253>, abgerufen am 24.11.2024.
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