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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
men sollte, ein Signal für die Vornahme einer Handlung von
rechtlicher Natur und Bedeutung. Wer im Fluß der Rede
Aeußerungen gethan, Zusicherungen ertheilt hatte, die dem Geg-
ner einen rechtlichen Vortheil in Aussicht stellten, mußte stutzig
werden, sowie letzterer ihn beim Wort nehmen und die Sache
rechtlich fest (das ist die Bedeutung von stipulari) machen
wollte; mit der Frage über den rechtlichen oder nicht recht-
lichen Sinn seiner Worte, die der Gegner an ihn richtete,
trat an ihn die Nöthigung heran, sich dieselbe vorher für
sich selbst
zu beantworten, sich den Inhalt, die Tragweite
und die Folgen der proponirten Stipulation klar zu machen.
Jenes Wörtchen hatte also den unschätzbaren Werth, als
Wecker des juristischen Bewußtseins
zu dienen. Wie
manche Zusicherungen, Versprechungen u. s. w. werden heut-
zutage ertheilt, bei denen der Redende, so ernstlich er auch ge-
sonnen ist, sie zu halten, sich doch die Möglichkeit einer dem-
nächstigen zwangsweisen Geltendmachung gar nicht vergegen-
wärtigt, und bei denen, träte ihm die Hinweisung darauf durch
das Ansinnen einer formellen Bestätigung derselben von Seiten
des Gegners entgegen, er die Uebernahme einer rechtlichen
Haftung entschieden verweigern würde. Erst die Klage bringt
ihn zum Nachdenken über die Art seines Wollens. Die Ent-
scheidung einer Frage, die rechtzeitig aufgeworfen ihn ein ein-
ziges Wort gekostet hätte, ist jetzt dem Richter überwiesen und
bildet den Gegenstand eines höchst zweifelhaften Streites.
Schließt der Formalismus die Gefahr in sich, daß Jemand, der
wirklich die Absicht hatte, sich juristisch zu binden, wegen eines
Formfehlers frei kömmt, so das System der Formlosigkeit die
entgegengesetzte, daß Jemand, der nicht diese Absicht hatte,
verurtheilt wird.

Ich wende mich jetzt den besondern Vortheilen der
Form zu. Ich verstehe darunter, wie oben bemerkt, diejenigen,
die auf der besonderen Gestaltung der Form (z. B. der Schrift-
lichkeit, Oeffentlichkeit) beruhen. Bei einer Einführung der

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
men ſollte, ein Signal für die Vornahme einer Handlung von
rechtlicher Natur und Bedeutung. Wer im Fluß der Rede
Aeußerungen gethan, Zuſicherungen ertheilt hatte, die dem Geg-
ner einen rechtlichen Vortheil in Ausſicht ſtellten, mußte ſtutzig
werden, ſowie letzterer ihn beim Wort nehmen und die Sache
rechtlich feſt (das iſt die Bedeutung von stipulari) machen
wollte; mit der Frage über den rechtlichen oder nicht recht-
lichen Sinn ſeiner Worte, die der Gegner an ihn richtete,
trat an ihn die Nöthigung heran, ſich dieſelbe vorher für
ſich ſelbſt
zu beantworten, ſich den Inhalt, die Tragweite
und die Folgen der proponirten Stipulation klar zu machen.
Jenes Wörtchen hatte alſo den unſchätzbaren Werth, als
Wecker des juriſtiſchen Bewußtſeins
zu dienen. Wie
manche Zuſicherungen, Verſprechungen u. ſ. w. werden heut-
zutage ertheilt, bei denen der Redende, ſo ernſtlich er auch ge-
ſonnen iſt, ſie zu halten, ſich doch die Möglichkeit einer dem-
nächſtigen zwangsweiſen Geltendmachung gar nicht vergegen-
wärtigt, und bei denen, träte ihm die Hinweiſung darauf durch
das Anſinnen einer formellen Beſtätigung derſelben von Seiten
des Gegners entgegen, er die Uebernahme einer rechtlichen
Haftung entſchieden verweigern würde. Erſt die Klage bringt
ihn zum Nachdenken über die Art ſeines Wollens. Die Ent-
ſcheidung einer Frage, die rechtzeitig aufgeworfen ihn ein ein-
ziges Wort gekoſtet hätte, iſt jetzt dem Richter überwieſen und
bildet den Gegenſtand eines höchſt zweifelhaften Streites.
Schließt der Formalismus die Gefahr in ſich, daß Jemand, der
wirklich die Abſicht hatte, ſich juriſtiſch zu binden, wegen eines
Formfehlers frei kömmt, ſo das Syſtem der Formloſigkeit die
entgegengeſetzte, daß Jemand, der nicht dieſe Abſicht hatte,
verurtheilt wird.

Ich wende mich jetzt den beſondern Vortheilen der
Form zu. Ich verſtehe darunter, wie oben bemerkt, diejenigen,
die auf der beſonderen Geſtaltung der Form (z. B. der Schrift-
lichkeit, Oeffentlichkeit) beruhen. Bei einer Einführung der

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[524/0230] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. men ſollte, ein Signal für die Vornahme einer Handlung von rechtlicher Natur und Bedeutung. Wer im Fluß der Rede Aeußerungen gethan, Zuſicherungen ertheilt hatte, die dem Geg- ner einen rechtlichen Vortheil in Ausſicht ſtellten, mußte ſtutzig werden, ſowie letzterer ihn beim Wort nehmen und die Sache rechtlich feſt (das iſt die Bedeutung von stipulari) machen wollte; mit der Frage über den rechtlichen oder nicht recht- lichen Sinn ſeiner Worte, die der Gegner an ihn richtete, trat an ihn die Nöthigung heran, ſich dieſelbe vorher für ſich ſelbſt zu beantworten, ſich den Inhalt, die Tragweite und die Folgen der proponirten Stipulation klar zu machen. Jenes Wörtchen hatte alſo den unſchätzbaren Werth, als Wecker des juriſtiſchen Bewußtſeins zu dienen. Wie manche Zuſicherungen, Verſprechungen u. ſ. w. werden heut- zutage ertheilt, bei denen der Redende, ſo ernſtlich er auch ge- ſonnen iſt, ſie zu halten, ſich doch die Möglichkeit einer dem- nächſtigen zwangsweiſen Geltendmachung gar nicht vergegen- wärtigt, und bei denen, träte ihm die Hinweiſung darauf durch das Anſinnen einer formellen Beſtätigung derſelben von Seiten des Gegners entgegen, er die Uebernahme einer rechtlichen Haftung entſchieden verweigern würde. Erſt die Klage bringt ihn zum Nachdenken über die Art ſeines Wollens. Die Ent- ſcheidung einer Frage, die rechtzeitig aufgeworfen ihn ein ein- ziges Wort gekoſtet hätte, iſt jetzt dem Richter überwieſen und bildet den Gegenſtand eines höchſt zweifelhaften Streites. Schließt der Formalismus die Gefahr in ſich, daß Jemand, der wirklich die Abſicht hatte, ſich juriſtiſch zu binden, wegen eines Formfehlers frei kömmt, ſo das Syſtem der Formloſigkeit die entgegengeſetzte, daß Jemand, der nicht dieſe Abſicht hatte, verurtheilt wird. Ich wende mich jetzt den beſondern Vortheilen der Form zu. Ich verſtehe darunter, wie oben bemerkt, diejenigen, die auf der beſonderen Geſtaltung der Form (z. B. der Schrift- lichkeit, Oeffentlichkeit) beruhen. Bei einer Einführung der

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 524. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/230>, abgerufen am 25.11.2024.