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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45.
Rechtsgeschäfte verschiedene Formen festgesetzt sind, auch der
Untersuchung, welches beabsichtigt ist. Im System der Form-
losigkeit können beide Fragen mit der größten Schwierigkeit ver-
knüpft sein. Die erstere. Denn so sehr immerhin im Begriff
das Rechtsgeschäft von den vorbereitenden Handlungen, das
wirkliche Sich Binden des Willens von der bloßen Ankündigung
der vorhandenen Geneigtheit zum Binden, die Bethätigung,
Ausführung eines Entschlusses von der bloßen Mittheilung
über das innerliche Vorhandensein desselben unterschieden ist, so
sehr vermischen sich häufig die Grenzen in dem concreten Fall.
"Ich will Dir legiren, verkaufen, schenken" kann heißen: ich
thue es hiermit, oder: ich mache mich verbindlich es dem-
nächst zu thun, oder: ich habe für mich die Absicht, wovon ich
Dich in Kenntniß setze, aber in nicht anderer Weise und mit
nicht anderer Wirkung, als von irgend einem anderen Gedan-
ken, der in meiner Seele auftaucht. Angenommen nun, daß
letztwillige Verfügungen keiner Form bedürften; welche endlose
Menge von Processen würde sich über den Sinn derartiger im
Leben durchaus nicht seltener Mittheilungen erheben. Im Sy-
stem des Formalismus ist die Aeußerung der Absicht des
Wollens durchaus ungefährlich, sie läuft nie Gefahr mit dem
Wollen selbst verwechselt zu werden, im System der Formlosig-
keit hingegen droht stets die Gefahr einer solchen Verwechselung
sowohl der Absicht mit dem Willen als des Willens mit der
Absicht.

So dient also die Form zunächst als Stempel des fertigen
juristischen Willens.665) Wie sie hier nun das Juristische vom

665) Vortrefflich hat Savigny System III S. 238 dies ausgedrückt:
"Ein Entschluß, sagt er, über wichtige Dinge kömmt selten mit einemmal
zur Reife; es pflegt ihm ein Zustand der Unentschiedenheit vorauszugehen,
worin die Uebergänge allmählig und unmerklich sind, und dessen Unterschei-
dung von dem vollendeten Wollen eben so schwierig sein kann, als sie für den
später urtheilenden Richter unentbehrlich ist. Hier dient nun die Form als
untrügliches Kennzeichen des reifen Entschlusses."

Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45.
Rechtsgeſchäfte verſchiedene Formen feſtgeſetzt ſind, auch der
Unterſuchung, welches beabſichtigt iſt. Im Syſtem der Form-
loſigkeit können beide Fragen mit der größten Schwierigkeit ver-
knüpft ſein. Die erſtere. Denn ſo ſehr immerhin im Begriff
das Rechtsgeſchäft von den vorbereitenden Handlungen, das
wirkliche Sich Binden des Willens von der bloßen Ankündigung
der vorhandenen Geneigtheit zum Binden, die Bethätigung,
Ausführung eines Entſchluſſes von der bloßen Mittheilung
über das innerliche Vorhandenſein deſſelben unterſchieden iſt, ſo
ſehr vermiſchen ſich häufig die Grenzen in dem concreten Fall.
„Ich will Dir legiren, verkaufen, ſchenken“ kann heißen: ich
thue es hiermit, oder: ich mache mich verbindlich es dem-
nächſt zu thun, oder: ich habe für mich die Abſicht, wovon ich
Dich in Kenntniß ſetze, aber in nicht anderer Weiſe und mit
nicht anderer Wirkung, als von irgend einem anderen Gedan-
ken, der in meiner Seele auftaucht. Angenommen nun, daß
letztwillige Verfügungen keiner Form bedürften; welche endloſe
Menge von Proceſſen würde ſich über den Sinn derartiger im
Leben durchaus nicht ſeltener Mittheilungen erheben. Im Sy-
ſtem des Formalismus iſt die Aeußerung der Abſicht des
Wollens durchaus ungefährlich, ſie läuft nie Gefahr mit dem
Wollen ſelbſt verwechſelt zu werden, im Syſtem der Formloſig-
keit hingegen droht ſtets die Gefahr einer ſolchen Verwechſelung
ſowohl der Abſicht mit dem Willen als des Willens mit der
Abſicht.

So dient alſo die Form zunächſt als Stempel des fertigen
juriſtiſchen Willens.665) Wie ſie hier nun das Juriſtiſche vom

665) Vortrefflich hat Savigny Syſtem III S. 238 dies ausgedrückt:
„Ein Entſchluß, ſagt er, über wichtige Dinge kömmt ſelten mit einemmal
zur Reife; es pflegt ihm ein Zuſtand der Unentſchiedenheit vorauszugehen,
worin die Uebergänge allmählig und unmerklich ſind, und deſſen Unterſchei-
dung von dem vollendeten Wollen eben ſo ſchwierig ſein kann, als ſie für den
ſpäter urtheilenden Richter unentbehrlich iſt. Hier dient nun die Form als
untrügliches Kennzeichen des reifen Entſchluſſes.“
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[521/0227] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. Rechtsgeſchäfte verſchiedene Formen feſtgeſetzt ſind, auch der Unterſuchung, welches beabſichtigt iſt. Im Syſtem der Form- loſigkeit können beide Fragen mit der größten Schwierigkeit ver- knüpft ſein. Die erſtere. Denn ſo ſehr immerhin im Begriff das Rechtsgeſchäft von den vorbereitenden Handlungen, das wirkliche Sich Binden des Willens von der bloßen Ankündigung der vorhandenen Geneigtheit zum Binden, die Bethätigung, Ausführung eines Entſchluſſes von der bloßen Mittheilung über das innerliche Vorhandenſein deſſelben unterſchieden iſt, ſo ſehr vermiſchen ſich häufig die Grenzen in dem concreten Fall. „Ich will Dir legiren, verkaufen, ſchenken“ kann heißen: ich thue es hiermit, oder: ich mache mich verbindlich es dem- nächſt zu thun, oder: ich habe für mich die Abſicht, wovon ich Dich in Kenntniß ſetze, aber in nicht anderer Weiſe und mit nicht anderer Wirkung, als von irgend einem anderen Gedan- ken, der in meiner Seele auftaucht. Angenommen nun, daß letztwillige Verfügungen keiner Form bedürften; welche endloſe Menge von Proceſſen würde ſich über den Sinn derartiger im Leben durchaus nicht ſeltener Mittheilungen erheben. Im Sy- ſtem des Formalismus iſt die Aeußerung der Abſicht des Wollens durchaus ungefährlich, ſie läuft nie Gefahr mit dem Wollen ſelbſt verwechſelt zu werden, im Syſtem der Formloſig- keit hingegen droht ſtets die Gefahr einer ſolchen Verwechſelung ſowohl der Abſicht mit dem Willen als des Willens mit der Abſicht. So dient alſo die Form zunächſt als Stempel des fertigen juriſtiſchen Willens. 665) Wie ſie hier nun das Juriſtiſche vom 665) Vortrefflich hat Savigny Syſtem III S. 238 dies ausgedrückt: „Ein Entſchluß, ſagt er, über wichtige Dinge kömmt ſelten mit einemmal zur Reife; es pflegt ihm ein Zuſtand der Unentſchiedenheit vorauszugehen, worin die Uebergänge allmählig und unmerklich ſind, und deſſen Unterſchei- dung von dem vollendeten Wollen eben ſo ſchwierig ſein kann, als ſie für den ſpäter urtheilenden Richter unentbehrlich iſt. Hier dient nun die Form als untrügliches Kennzeichen des reifen Entſchluſſes.“

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 521. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/227>, abgerufen am 25.11.2024.