Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. Wort proximus mußte als Vorwand zur Ausschließung dersuccessio graduum, die folgenden: si agnatus nec escit zur Ausschließung der successio ordinum dienen. Beide Pas- sus nahm man nämlich im absoluten Sinn, d. h. wenn ein nächster Agnat im Moment des Todes des Erblassers exi- stirte, am Leben war, mochte er im übrigen auch die Erb- schaft ausgeschlagen haben oder vor der Antretung verstorben sein, so erklärte man den nächst folgenden Agnaten nichts desto weniger für beseitigt, weil er im Moment des Todes des Erb- lassers nicht der proximus gewesen, und ebenso ließ man in dem Fall die Gentilen nicht zu, weil sie nur für den Fall: si agna- tus nec escit gerufen waren, der spätere Tod oder Verzicht des Agnaten aber die Existenz desselben nicht ungeschehen machte. Es war dies in der That ein Musterstück der Wort- interpretation, denn bei unbefangener Betrachtung kann man sich doch nicht verhehlen, daß bei der Intestaterbfolgeordnung der Entferntere nicht an sich und schlechthin, sondern nur im Interesse des Näheren ausgeschlossen ist, daß mithin, wenn letzterer später ausfällt, kein Grund abzusehen ist, warum der Entferntere nicht einrücken soll, da er, wenn auch nicht absolut, so doch relativ für diese Erbschaft jetzt der Nächste geworden ist. Wir würden daher, wenn jene Ausdrücke in einem heutigen Gesetz vorkämen, sie im relativen Sinn interpretiren d. h. sagen: der nächste Agnat ist derjenige, dem für diese Erb- schaft kein näherer im Wege steht, und ebenso sind die Genti- len zuzulassen, wenn in diesem Sinn kein Agnat existirt d. h. kein Erbrecht geltend machen kann oder will. Eine lex Atilia setzte fest, daß Personen, die eines Tutors fuerit. Mit dem moriente eo ist eben dies intestato moritur ge- meint. 31*
Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. Wort proximus mußte als Vorwand zur Ausſchließung dersuccessio graduum, die folgenden: si agnatus nec escit zur Ausſchließung der successio ordinum dienen. Beide Paſ- ſus nahm man nämlich im abſoluten Sinn, d. h. wenn ein nächſter Agnat im Moment des Todes des Erblaſſers exi- ſtirte, am Leben war, mochte er im übrigen auch die Erb- ſchaft ausgeſchlagen haben oder vor der Antretung verſtorben ſein, ſo erklärte man den nächſt folgenden Agnaten nichts deſto weniger für beſeitigt, weil er im Moment des Todes des Erb- laſſers nicht der proximus geweſen, und ebenſo ließ man in dem Fall die Gentilen nicht zu, weil ſie nur für den Fall: si agna- tus nec escit gerufen waren, der ſpätere Tod oder Verzicht des Agnaten aber die Exiſtenz deſſelben nicht ungeſchehen machte. Es war dies in der That ein Muſterſtück der Wort- interpretation, denn bei unbefangener Betrachtung kann man ſich doch nicht verhehlen, daß bei der Inteſtaterbfolgeordnung der Entferntere nicht an ſich und ſchlechthin, ſondern nur im Intereſſe des Näheren ausgeſchloſſen iſt, daß mithin, wenn letzterer ſpäter ausfällt, kein Grund abzuſehen iſt, warum der Entferntere nicht einrücken ſoll, da er, wenn auch nicht abſolut, ſo doch relativ für dieſe Erbſchaft jetzt der Nächſte geworden iſt. Wir würden daher, wenn jene Ausdrücke in einem heutigen Geſetz vorkämen, ſie im relativen Sinn interpretiren d. h. ſagen: der nächſte Agnat iſt derjenige, dem für dieſe Erb- ſchaft kein näherer im Wege ſteht, und ebenſo ſind die Genti- len zuzulaſſen, wenn in dieſem Sinn kein Agnat exiſtirt d. h. kein Erbrecht geltend machen kann oder will. Eine lex Atilia ſetzte feſt, daß Perſonen, die eines Tutors fuerit. Mit dem moriente eo iſt eben dies intestato moritur ge- meint. 31*
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Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44.
Wort proximus mußte als Vorwand zur Ausſchließung der
successio graduum, die folgenden: si agnatus nec escit
zur Ausſchließung der successio ordinum dienen. Beide Paſ-
ſus nahm man nämlich im abſoluten Sinn, d. h. wenn ein
nächſter Agnat im Moment des Todes des Erblaſſers exi-
ſtirte, am Leben war, mochte er im übrigen auch die Erb-
ſchaft ausgeſchlagen haben oder vor der Antretung verſtorben
ſein, ſo erklärte man den nächſt folgenden Agnaten nichts deſto
weniger für beſeitigt, weil er im Moment des Todes des Erb-
laſſers nicht der proximus geweſen, und ebenſo ließ man in dem
Fall die Gentilen nicht zu, weil ſie nur für den Fall: si agna-
tus nec escit gerufen waren, der ſpätere Tod oder Verzicht
des Agnaten aber die Exiſtenz deſſelben nicht ungeſchehen
machte. Es war dies in der That ein Muſterſtück der Wort-
interpretation, denn bei unbefangener Betrachtung kann man
ſich doch nicht verhehlen, daß bei der Inteſtaterbfolgeordnung
der Entferntere nicht an ſich und ſchlechthin, ſondern nur im
Intereſſe des Näheren ausgeſchloſſen iſt, daß mithin, wenn
letzterer ſpäter ausfällt, kein Grund abzuſehen iſt, warum der
Entferntere nicht einrücken ſoll, da er, wenn auch nicht abſolut,
ſo doch relativ für dieſe Erbſchaft jetzt der Nächſte geworden iſt.
Wir würden daher, wenn jene Ausdrücke in einem heutigen
Geſetz vorkämen, ſie im relativen Sinn interpretiren d. h.
ſagen: der nächſte Agnat iſt derjenige, dem für dieſe Erb-
ſchaft kein näherer im Wege ſteht, und ebenſo ſind die Genti-
len zuzulaſſen, wenn in dieſem Sinn kein Agnat exiſtirt d. h.
kein Erbrecht geltend machen kann oder will.
Eine lex Atilia ſetzte feſt, daß Perſonen, die eines Tutors
bedürften, deſſelben aber entbehrten, von Amtswegen ein ſolcher
gegeben werde. Ueber den Fall, wenn zwar ein Tutor vorhan-
den, derſelbe aber z. B. wegen Wahnſinns, Taubheit u. ſ. w.
622)
622) fuerit. Mit dem moriente eo iſt eben dies intestato moritur ge-
meint.
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