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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Die Jurisprudenz. §. 42.

Wie es sich nun auch mit dieser Theilung der Arbeit zwi-
schen dem eigentlichen Juristen und Redner verhält, der Um-
fang der Geschäftsthätigkeit des ersteren blieb immerhin noch
ein so ausgedehnter, daß der Ausdruck: Allgegenwart des Juri-
sten ein völlig angemessener ist. Der thätige Antheil, den der-
selbe am Rechtsleben nahm, beschränkte sich keineswegs auf
rein juristische Dinge, auf Ertheilung eines rechtlichen Gut-
achtens (respondere), Abfassung von Contracten, Testamenten
u. s. w. (cavere, scribere), 572) sondern er erstreckte sich auch
auf Maßregeln rein wirthschaftlicher Art, und selbst auf Fra-

theilt. Das Responsum, das der Jurist ertheilt hatte, war verum magis,
quam ad rem suam (consulentis) accommodatum.
Der Redner weiß
aber Rath: alludens varie et copiose multas similitudines afferre
multaque pro aequitate contra jus dicere
u. s. w., kurz er accommodirt
seine Ansicht dem Bedürfniß und Wunsch des Anfragenden.
572) Auf Grund der militia urbana respondendi, scribendi, cavendi
bei Cic. pro Murena c. 9 hat man die gesammte praktische Thätigkeit in drei
abgesonderte Zweige: respondere, scribere, cavere zerlegen wollen und Bach
Hist. Jurisp. II
2, §. 8--11 gibt sich die erdenklichste Mühe, dieselben zu be-
stimmen und gegen einander abzugränzen. Allein ich glaube, man hat hier
Cicero zu viel Ehre angethan; ich wenigstens kann in seiner angeblichen Clas-
sification nichts als eine höchst äußerliche, wissenschaftlich völlig werthlose
Aufzählung einzelner juristischer Geschäfte erblicken, und er selbst war wohl
weit davon entfernt ein weiteres zu beanspruchen, denn sonst hätte er doch in
seiner Schrift de oratore I, 48 das scribere nicht völlig weglassen und
dafür agere setzen können, was Puchta Curs. der Instit. I, §. 76 veranlaßt,
noch von einem "vierten Bestandtheil" zu reden. Auf Grund einer andern
Stelle, nämlich de republ. V, 3. .. responsitando et lectitando et
scriptitando
hätte Puchta noch einen fünften Bestandtheil annehmen können.
Der Versuch von Bach hätte, wie ich meine, jeden Spätern von dem Glau-
ben an den Werth dieser Eintheilung heilen sollen. Enthält denn das scri-
bere
einen Gegensatz zu cavere und selbst zu respondere? Wer ein schrift-
liches
Gutachten ausstellte, der nahm zugleich das scribere und respon-
dere
vor (L. 2 §. 47 de orig. jur. 1. 2), wer einen Contract aufsetzte,
das cavere und scribere u. s. w. Von einer solchen Eintheilung sollte man
lieber schweigen, als reden, jedenfalls aber nicht zu viel Wesens von ihr
machen.
Die Jurisprudenz. §. 42.

Wie es ſich nun auch mit dieſer Theilung der Arbeit zwi-
ſchen dem eigentlichen Juriſten und Redner verhält, der Um-
fang der Geſchäftsthätigkeit des erſteren blieb immerhin noch
ein ſo ausgedehnter, daß der Ausdruck: Allgegenwart des Juri-
ſten ein völlig angemeſſener iſt. Der thätige Antheil, den der-
ſelbe am Rechtsleben nahm, beſchränkte ſich keineswegs auf
rein juriſtiſche Dinge, auf Ertheilung eines rechtlichen Gut-
achtens (respondere), Abfaſſung von Contracten, Teſtamenten
u. ſ. w. (cavere, scribere), 572) ſondern er erſtreckte ſich auch
auf Maßregeln rein wirthſchaftlicher Art, und ſelbſt auf Fra-

theilt. Das Reſponſum, das der Juriſt ertheilt hatte, war verum magis,
quam ad rem suam (consulentis) accommodatum.
Der Redner weiß
aber Rath: alludens varie et copiose multas similitudines afferre
multaque pro aequitate contra jus dicere
u. ſ. w., kurz er accommodirt
ſeine Anſicht dem Bedürfniß und Wunſch des Anfragenden.
572) Auf Grund der militia urbana respondendi, scribendi, cavendi
bei Cic. pro Murena c. 9 hat man die geſammte praktiſche Thätigkeit in drei
abgeſonderte Zweige: respondere, scribere, cavere zerlegen wollen und Bach
Hist. Jurisp. II
2, §. 8—11 gibt ſich die erdenklichſte Mühe, dieſelben zu be-
ſtimmen und gegen einander abzugränzen. Allein ich glaube, man hat hier
Cicero zu viel Ehre angethan; ich wenigſtens kann in ſeiner angeblichen Claſ-
ſification nichts als eine höchſt äußerliche, wiſſenſchaftlich völlig werthloſe
Aufzählung einzelner juriſtiſcher Geſchäfte erblicken, und er ſelbſt war wohl
weit davon entfernt ein weiteres zu beanſpruchen, denn ſonſt hätte er doch in
ſeiner Schrift de oratore I, 48 das scribere nicht völlig weglaſſen und
dafür agere ſetzen können, was Puchta Curſ. der Inſtit. I, §. 76 veranlaßt,
noch von einem „vierten Beſtandtheil“ zu reden. Auf Grund einer andern
Stelle, nämlich de republ. V, 3. .. responsitando et lectitando et
scriptitando
hätte Puchta noch einen fünften Beſtandtheil annehmen können.
Der Verſuch von Bach hätte, wie ich meine, jeden Spätern von dem Glau-
ben an den Werth dieſer Eintheilung heilen ſollen. Enthält denn das scri-
bere
einen Gegenſatz zu cavere und ſelbſt zu respondere? Wer ein ſchrift-
liches
Gutachten ausſtellte, der nahm zugleich das scribere und respon-
dere
vor (L. 2 §. 47 de orig. jur. 1. 2), wer einen Contract aufſetzte,
das cavere und scribere u. ſ. w. Von einer ſolchen Eintheilung ſollte man
lieber ſchweigen, als reden, jedenfalls aber nicht zu viel Weſens von ihr
machen.
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[439/0145] Die Jurisprudenz. §. 42. Wie es ſich nun auch mit dieſer Theilung der Arbeit zwi- ſchen dem eigentlichen Juriſten und Redner verhält, der Um- fang der Geſchäftsthätigkeit des erſteren blieb immerhin noch ein ſo ausgedehnter, daß der Ausdruck: Allgegenwart des Juri- ſten ein völlig angemeſſener iſt. Der thätige Antheil, den der- ſelbe am Rechtsleben nahm, beſchränkte ſich keineswegs auf rein juriſtiſche Dinge, auf Ertheilung eines rechtlichen Gut- achtens (respondere), Abfaſſung von Contracten, Teſtamenten u. ſ. w. (cavere, scribere), 572) ſondern er erſtreckte ſich auch auf Maßregeln rein wirthſchaftlicher Art, und ſelbſt auf Fra- 571) 572) Auf Grund der militia urbana respondendi, scribendi, cavendi bei Cic. pro Murena c. 9 hat man die geſammte praktiſche Thätigkeit in drei abgeſonderte Zweige: respondere, scribere, cavere zerlegen wollen und Bach Hist. Jurisp. II 2, §. 8—11 gibt ſich die erdenklichſte Mühe, dieſelben zu be- ſtimmen und gegen einander abzugränzen. Allein ich glaube, man hat hier Cicero zu viel Ehre angethan; ich wenigſtens kann in ſeiner angeblichen Claſ- ſification nichts als eine höchſt äußerliche, wiſſenſchaftlich völlig werthloſe Aufzählung einzelner juriſtiſcher Geſchäfte erblicken, und er ſelbſt war wohl weit davon entfernt ein weiteres zu beanſpruchen, denn ſonſt hätte er doch in ſeiner Schrift de oratore I, 48 das scribere nicht völlig weglaſſen und dafür agere ſetzen können, was Puchta Curſ. der Inſtit. I, §. 76 veranlaßt, noch von einem „vierten Beſtandtheil“ zu reden. Auf Grund einer andern Stelle, nämlich de republ. V, 3. .. responsitando et lectitando et scriptitando hätte Puchta noch einen fünften Beſtandtheil annehmen können. Der Verſuch von Bach hätte, wie ich meine, jeden Spätern von dem Glau- ben an den Werth dieſer Eintheilung heilen ſollen. Enthält denn das scri- bere einen Gegenſatz zu cavere und ſelbſt zu respondere? Wer ein ſchrift- liches Gutachten ausſtellte, der nahm zugleich das scribere und respon- dere vor (L. 2 §. 47 de orig. jur. 1. 2), wer einen Contract aufſetzte, das cavere und scribere u. ſ. w. Von einer ſolchen Eintheilung ſollte man lieber ſchweigen, als reden, jedenfalls aber nicht zu viel Weſens von ihr machen. 571) theilt. Das Reſponſum, das der Juriſt ertheilt hatte, war verum magis, quam ad rem suam (consulentis) accommodatum. Der Redner weiß aber Rath: alludens varie et copiose multas similitudines afferre multaque pro aequitate contra jus dicere u. ſ. w., kurz er accommodirt ſeine Anſicht dem Bedürfniß und Wunſch des Anfragenden.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/145>, abgerufen am 19.05.2024.