Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. und der Drang, die Dienste zu erweisen, auf der einen sei stärkergewesen, als das Bedürfniß nach denselben auf der andern Seite. Wir können uns den thätigen Antheil, den die Jurisprudenz an dem Geschäftsleben nahm, nicht ausgedehnt genug denken, und wenn Cicero den Juristen den Vorwurf macht, sie hätten das Recht so eingerichtet, daß sie überall mit dabei sein müßten, 565) so dürfen wir demselben, indem wir ihn im übrigen auf sich beruhen lassen, jedenfalls die Thatsache entnehmen, um die es uns hier zu thun ist, die der Allgegenwart des Juristen. Nur freilich mit einer Beschränkung. Gerade da nämlich, wo wir ihn nach unsern heutigen Verhältnissen am ersten erwar- ten würden, vor Gericht als Sachwalt, trat er wenigstens spä- terhin regelmäßig zurück, um den Platz der Parthei selbst oder dem eigentlichen Redner zu überlassen. 566) Um dies zu begreifen, muß man die von unserer heutigen völlig abweichende Einrich- tung des römischen Prozesses kennen, wornach derselbe in zwei Theile zerfiel, jus und judicium, oder in ein Verfahren vor dem Prätor und vor dem Richter, judex. Dort hatte der Anspruch seine juristische Prüfung zu bestehen, ob er, das Vorbringen des Klägers als wahr angenommen, juristisch haltbar sei, ob und 565) pro Murena c. 11: notas composuerunt, ut omnibus in rebus ipsi interessent, womit er auf die Formeln zielt. Das Beispiel, das er folgen läßt, ist zwar dem Prozeß entlehnt, allein der Vorwurf selbst ein all- gemeiner. 566) So wenigstens zu Cicero's Zeit. Ob es früher anders gewesen,
und aus welcher Zeit die Trennung zwischen Juristen und Redner herrührt, läßt sich nicht bestimmen. Von dem Juristen als solchem wird auch in älterer Zeit immer nur das respondere, nie das causas orare erwähnt, und von ersterem trägt er auch seinen Namen: jure consultus. Von Tubero heißt es in L. 2 §. 46 de orig. jur. (1. 2): transiit a causis agendis ad jus civile. Aehnlich von Servius §. 43 ibid. Schon im sechsten Jahr- hundert der Stadt verbot ein Gesetz, die lex Cincia, sich pro causa oranda bezahlen oder beschenken zu lassen. Schon damals also scheint es ein Er- werbszweig gewesen zu sein, und ist es übrigens auch trotz der lex Cincia geblieben. Tac. Ann. XI, 5 -- 7. Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. und der Drang, die Dienſte zu erweiſen, auf der einen ſei ſtärkergeweſen, als das Bedürfniß nach denſelben auf der andern Seite. Wir können uns den thätigen Antheil, den die Jurisprudenz an dem Geſchäftsleben nahm, nicht ausgedehnt genug denken, und wenn Cicero den Juriſten den Vorwurf macht, ſie hätten das Recht ſo eingerichtet, daß ſie überall mit dabei ſein müßten, 565) ſo dürfen wir demſelben, indem wir ihn im übrigen auf ſich beruhen laſſen, jedenfalls die Thatſache entnehmen, um die es uns hier zu thun iſt, die der Allgegenwart des Juriſten. Nur freilich mit einer Beſchränkung. Gerade da nämlich, wo wir ihn nach unſern heutigen Verhältniſſen am erſten erwar- ten würden, vor Gericht als Sachwalt, trat er wenigſtens ſpä- terhin regelmäßig zurück, um den Platz der Parthei ſelbſt oder dem eigentlichen Redner zu überlaſſen. 566) Um dies zu begreifen, muß man die von unſerer heutigen völlig abweichende Einrich- tung des römiſchen Prozeſſes kennen, wornach derſelbe in zwei Theile zerfiel, jus und judicium, oder in ein Verfahren vor dem Prätor und vor dem Richter, judex. Dort hatte der Anſpruch ſeine juriſtiſche Prüfung zu beſtehen, ob er, das Vorbringen des Klägers als wahr angenommen, juriſtiſch haltbar ſei, ob und 565) pro Murena c. 11: notas composuerunt, ut omnibus in rebus ipsi interessent, womit er auf die Formeln zielt. Das Beiſpiel, das er folgen läßt, iſt zwar dem Prozeß entlehnt, allein der Vorwurf ſelbſt ein all- gemeiner. 566) So wenigſtens zu Cicero’s Zeit. Ob es früher anders geweſen,
und aus welcher Zeit die Trennung zwiſchen Juriſten und Redner herrührt, läßt ſich nicht beſtimmen. Von dem Juriſten als ſolchem wird auch in älterer Zeit immer nur das respondere, nie das causas orare erwähnt, und von erſterem trägt er auch ſeinen Namen: jure consultus. Von Tubero heißt es in L. 2 §. 46 de orig. jur. (1. 2): transiit a causis agendis ad jus civile. Aehnlich von Servius §. 43 ibid. Schon im ſechſten Jahr- hundert der Stadt verbot ein Geſetz, die lex Cincia, ſich pro causa oranda bezahlen oder beſchenken zu laſſen. Schon damals alſo ſcheint es ein Er- werbszweig geweſen zu ſein, und iſt es übrigens auch trotz der lex Cincia geblieben. Tac. Ann. XI, 5 — 7. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0142" n="436"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juriſt. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/> und der Drang, die Dienſte zu erweiſen, auf der einen ſei ſtärker<lb/> geweſen, als das Bedürfniß nach denſelben auf der andern Seite.<lb/> Wir können uns den thätigen Antheil, den die Jurisprudenz an<lb/> dem Geſchäftsleben nahm, nicht ausgedehnt genug denken, und<lb/> wenn Cicero den Juriſten den Vorwurf macht, ſie hätten das<lb/> Recht ſo eingerichtet, daß ſie überall mit dabei ſein müßten, <note place="foot" n="565)"><hi rendition="#aq">pro Murena c. 11: notas composuerunt, ut omnibus in rebus<lb/> ipsi interessent,</hi> womit er auf die Formeln zielt. Das Beiſpiel, das er<lb/> folgen läßt, iſt zwar dem Prozeß entlehnt, allein der Vorwurf ſelbſt ein all-<lb/> gemeiner.</note><lb/> ſo dürfen wir demſelben, indem wir ihn im übrigen auf ſich<lb/> beruhen laſſen, jedenfalls die Thatſache entnehmen, um die es<lb/> uns hier zu thun iſt, die der <hi rendition="#g">Allgegenwart</hi> des Juriſten.<lb/> Nur freilich mit einer Beſchränkung. Gerade da nämlich, wo<lb/> wir ihn nach unſern heutigen Verhältniſſen am erſten erwar-<lb/> ten würden, vor Gericht als Sachwalt, trat er wenigſtens ſpä-<lb/> terhin regelmäßig zurück, um den Platz der Parthei ſelbſt oder<lb/> dem eigentlichen Redner zu überlaſſen. <note place="foot" n="566)">So wenigſtens zu Cicero’s Zeit. Ob es früher anders geweſen,<lb/> und aus welcher Zeit die Trennung zwiſchen Juriſten und Redner herrührt,<lb/> läßt ſich nicht beſtimmen. Von dem Juriſten als ſolchem wird auch in älterer<lb/> Zeit immer nur das <hi rendition="#aq">respondere,</hi> nie das <hi rendition="#aq">causas orare</hi> erwähnt, und von<lb/> erſterem trägt er auch ſeinen Namen: <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">jure consultus</hi>.</hi> Von Tubero<lb/> heißt es in <hi rendition="#aq">L. 2 §. 46 de orig. jur. (1. 2): transiit a causis agendis<lb/> ad jus civile.</hi> Aehnlich von Servius §. 43 <hi rendition="#aq">ibid.</hi> Schon im ſechſten Jahr-<lb/> hundert der Stadt verbot ein Geſetz, die <hi rendition="#aq">lex Cincia,</hi> ſich <hi rendition="#aq">pro causa oranda</hi><lb/> bezahlen oder beſchenken zu laſſen. Schon damals alſo ſcheint es ein Er-<lb/> werbszweig geweſen zu ſein, und iſt es übrigens auch trotz der <hi rendition="#aq">lex Cincia</hi><lb/> geblieben. <hi rendition="#aq">Tac. Ann. XI,</hi> 5 — 7.</note> Um dies zu begreifen,<lb/> muß man die von unſerer heutigen völlig abweichende Einrich-<lb/> tung des römiſchen Prozeſſes kennen, wornach derſelbe in zwei<lb/> Theile zerfiel, <hi rendition="#aq">jus</hi> und <hi rendition="#aq">judicium,</hi> oder in ein Verfahren vor dem<lb/> Prätor und vor dem Richter, <hi rendition="#aq">judex.</hi> Dort hatte der Anſpruch ſeine<lb/><hi rendition="#g">juriſtiſche</hi> Prüfung zu beſtehen, ob er, das Vorbringen des<lb/> Klägers als wahr angenommen, juriſtiſch haltbar ſei, ob und<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [436/0142]
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
und der Drang, die Dienſte zu erweiſen, auf der einen ſei ſtärker
geweſen, als das Bedürfniß nach denſelben auf der andern Seite.
Wir können uns den thätigen Antheil, den die Jurisprudenz an
dem Geſchäftsleben nahm, nicht ausgedehnt genug denken, und
wenn Cicero den Juriſten den Vorwurf macht, ſie hätten das
Recht ſo eingerichtet, daß ſie überall mit dabei ſein müßten, 565)
ſo dürfen wir demſelben, indem wir ihn im übrigen auf ſich
beruhen laſſen, jedenfalls die Thatſache entnehmen, um die es
uns hier zu thun iſt, die der Allgegenwart des Juriſten.
Nur freilich mit einer Beſchränkung. Gerade da nämlich, wo
wir ihn nach unſern heutigen Verhältniſſen am erſten erwar-
ten würden, vor Gericht als Sachwalt, trat er wenigſtens ſpä-
terhin regelmäßig zurück, um den Platz der Parthei ſelbſt oder
dem eigentlichen Redner zu überlaſſen. 566) Um dies zu begreifen,
muß man die von unſerer heutigen völlig abweichende Einrich-
tung des römiſchen Prozeſſes kennen, wornach derſelbe in zwei
Theile zerfiel, jus und judicium, oder in ein Verfahren vor dem
Prätor und vor dem Richter, judex. Dort hatte der Anſpruch ſeine
juriſtiſche Prüfung zu beſtehen, ob er, das Vorbringen des
Klägers als wahr angenommen, juriſtiſch haltbar ſei, ob und
565) pro Murena c. 11: notas composuerunt, ut omnibus in rebus
ipsi interessent, womit er auf die Formeln zielt. Das Beiſpiel, das er
folgen läßt, iſt zwar dem Prozeß entlehnt, allein der Vorwurf ſelbſt ein all-
gemeiner.
566) So wenigſtens zu Cicero’s Zeit. Ob es früher anders geweſen,
und aus welcher Zeit die Trennung zwiſchen Juriſten und Redner herrührt,
läßt ſich nicht beſtimmen. Von dem Juriſten als ſolchem wird auch in älterer
Zeit immer nur das respondere, nie das causas orare erwähnt, und von
erſterem trägt er auch ſeinen Namen: jure consultus. Von Tubero
heißt es in L. 2 §. 46 de orig. jur. (1. 2): transiit a causis agendis
ad jus civile. Aehnlich von Servius §. 43 ibid. Schon im ſechſten Jahr-
hundert der Stadt verbot ein Geſetz, die lex Cincia, ſich pro causa oranda
bezahlen oder beſchenken zu laſſen. Schon damals alſo ſcheint es ein Er-
werbszweig geweſen zu ſein, und iſt es übrigens auch trotz der lex Cincia
geblieben. Tac. Ann. XI, 5 — 7.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |