Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
lehre ist nichts als ein Triumph oder richtiger eine Verirrung
der zersetzenden Kraft, sie enthält keine Götter, keine Individuen
von Fleisch und Blut, wie die griechischen, sondern ein System
von abstracten Unterscheidungen. Alle Ereignisse und Erschei-
nungen der Natur, alle Kräfte, Eigenschaften, Tugenden, Feh-
ler der Menschen, ihre Zwecke, ihre Arbeit und selbst die trivial-
sten Verrichtungen sind bis ins Kleinste hinein zergliedert, und
aus jedem Begriffsatom ein Gott geschaffen. 546) Ein Pontifex,
der einen spitzfindigen Unterschied entdeckte, hatte einem neuen
Gotte das Leben gegeben!

So widerwärtig und unnatürlich eine derartige Behand-
lungsweise am religiösen Stoff war, so vollkommen entsprechend
war sie dem rechtlichen, und wenn man den Pontifices einerseits
die abstracten Götter mit Recht zum Vorwurf machen darf, so
muß man andererseits gegen die Götter die Rechtsbegriffe in die
Wagschale werfen.

Gehen wir jetzt von der Methode zum Einzelnen über, so
findet sich auch hier eine reiche Ausbeute. Zunächst die interes-
sante Thatsache, 547) daß die oberste Eintheilung den Göttern
und dem Recht gemeinschaftlich war. Jener für die Systematik des
römischen Rechts so wichtig gewordene Gegensatz von res und
persona, nach dem von Gajus Zeit an das römische Recht Jahr-
hunderte lang vorgetragen ist, war ursprünglich ein Gesichts-
punkt zur Classification der Götter, und die actiones in rem
und in personam fanden ihr Vorbild unter den Göttern; auch
letztere gingen, mit juristischem Ausdruck gesprochen, entweder

546) S. Ambrosch in dem oben angeführten Werk, dem ich auch die im
Texte folgende Notiz über die Classification der Götter nach der Kategorie
von res und persona entnommen habe.
547) Dadurch rechtfertigt sich also wenigstens zum Theil die Vermuthung
von Hugo (Civil. Magaz. Bd. 6 S. 284), die Eintheilung in res, personae
und actiones sei ursprünglich nicht für das Recht erfunden, sondern nur auf
dasselbe übertragen, und die Bedenken, die dagegen von Andern (z. B. Savi-
gny, System Bd. 1 S. 396) ausgesprochen sind, möchten sich hiermit erledigen.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
lehre iſt nichts als ein Triumph oder richtiger eine Verirrung
der zerſetzenden Kraft, ſie enthält keine Götter, keine Individuen
von Fleiſch und Blut, wie die griechiſchen, ſondern ein Syſtem
von abſtracten Unterſcheidungen. Alle Ereigniſſe und Erſchei-
nungen der Natur, alle Kräfte, Eigenſchaften, Tugenden, Feh-
ler der Menſchen, ihre Zwecke, ihre Arbeit und ſelbſt die trivial-
ſten Verrichtungen ſind bis ins Kleinſte hinein zergliedert, und
aus jedem Begriffsatom ein Gott geſchaffen. 546) Ein Pontifex,
der einen ſpitzfindigen Unterſchied entdeckte, hatte einem neuen
Gotte das Leben gegeben!

So widerwärtig und unnatürlich eine derartige Behand-
lungsweiſe am religiöſen Stoff war, ſo vollkommen entſprechend
war ſie dem rechtlichen, und wenn man den Pontifices einerſeits
die abſtracten Götter mit Recht zum Vorwurf machen darf, ſo
muß man andererſeits gegen die Götter die Rechtsbegriffe in die
Wagſchale werfen.

Gehen wir jetzt von der Methode zum Einzelnen über, ſo
findet ſich auch hier eine reiche Ausbeute. Zunächſt die intereſ-
ſante Thatſache, 547) daß die oberſte Eintheilung den Göttern
und dem Recht gemeinſchaftlich war. Jener für die Syſtematik des
römiſchen Rechts ſo wichtig gewordene Gegenſatz von res und
persona, nach dem von Gajus Zeit an das römiſche Recht Jahr-
hunderte lang vorgetragen iſt, war urſprünglich ein Geſichts-
punkt zur Claſſification der Götter, und die actiones in rem
und in personam fanden ihr Vorbild unter den Göttern; auch
letztere gingen, mit juriſtiſchem Ausdruck geſprochen, entweder

546) S. Ambroſch in dem oben angeführten Werk, dem ich auch die im
Texte folgende Notiz über die Claſſification der Götter nach der Kategorie
von res und persona entnommen habe.
547) Dadurch rechtfertigt ſich alſo wenigſtens zum Theil die Vermuthung
von Hugo (Civil. Magaz. Bd. 6 S. 284), die Eintheilung in res, personae
und actiones ſei urſprünglich nicht für das Recht erfunden, ſondern nur auf
daſſelbe übertragen, und die Bedenken, die dagegen von Andern (z. B. Savi-
gny, Syſtem Bd. 1 S. 396) ausgeſprochen ſind, möchten ſich hiermit erledigen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0132" n="426"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juri&#x017F;t. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/>
lehre i&#x017F;t nichts als ein Triumph oder richtiger eine Verirrung<lb/>
der zer&#x017F;etzenden Kraft, &#x017F;ie enthält keine Götter, keine Individuen<lb/>
von Flei&#x017F;ch und Blut, wie die griechi&#x017F;chen, &#x017F;ondern ein Sy&#x017F;tem<lb/>
von ab&#x017F;tracten Unter&#x017F;cheidungen. Alle Ereigni&#x017F;&#x017F;e und Er&#x017F;chei-<lb/>
nungen der Natur, alle Kräfte, Eigen&#x017F;chaften, Tugenden, Feh-<lb/>
ler der Men&#x017F;chen, ihre Zwecke, ihre Arbeit und &#x017F;elb&#x017F;t die trivial-<lb/>
&#x017F;ten Verrichtungen &#x017F;ind bis ins Klein&#x017F;te hinein zergliedert, und<lb/>
aus jedem Begriffsatom ein Gott ge&#x017F;chaffen. <note place="foot" n="546)">S. Ambro&#x017F;ch in dem oben angeführten Werk, dem ich auch die im<lb/>
Texte folgende Notiz über die Cla&#x017F;&#x017F;ification der Götter nach der Kategorie<lb/>
von <hi rendition="#aq">res</hi> und <hi rendition="#aq">persona</hi> entnommen habe.</note> Ein Pontifex,<lb/>
der einen &#x017F;pitzfindigen Unter&#x017F;chied entdeckte, hatte einem neuen<lb/>
Gotte das Leben gegeben!</p><lb/>
                <p>So widerwärtig und unnatürlich eine derartige Behand-<lb/>
lungswei&#x017F;e am religiö&#x017F;en Stoff war, &#x017F;o vollkommen ent&#x017F;prechend<lb/>
war &#x017F;ie dem rechtlichen, und wenn man den Pontifices einer&#x017F;eits<lb/>
die ab&#x017F;tracten Götter mit Recht zum Vorwurf machen darf, &#x017F;o<lb/>
muß man anderer&#x017F;eits gegen die Götter die Rechtsbegriffe in die<lb/>
Wag&#x017F;chale werfen.</p><lb/>
                <p>Gehen wir jetzt von der Methode zum Einzelnen über, &#x017F;o<lb/>
findet &#x017F;ich auch hier eine reiche Ausbeute. Zunäch&#x017F;t die intere&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ante That&#x017F;ache, <note place="foot" n="547)">Dadurch rechtfertigt &#x017F;ich al&#x017F;o wenig&#x017F;tens zum Theil die Vermuthung<lb/>
von Hugo (Civil. Magaz. Bd. 6 S. 284), die Eintheilung in <hi rendition="#aq">res, personae</hi><lb/>
und <hi rendition="#aq">actiones</hi> &#x017F;ei ur&#x017F;prünglich nicht für das Recht erfunden, &#x017F;ondern nur auf<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe übertragen, und die Bedenken, die dagegen von Andern (z. B. Savi-<lb/>
gny, Sy&#x017F;tem Bd. 1 S. 396) ausge&#x017F;prochen &#x017F;ind, möchten &#x017F;ich hiermit erledigen.</note> daß die ober&#x017F;te Eintheilung den Göttern<lb/>
und dem Recht gemein&#x017F;chaftlich war. Jener für die Sy&#x017F;tematik des<lb/>
römi&#x017F;chen Rechts &#x017F;o wichtig gewordene Gegen&#x017F;atz von <hi rendition="#aq">res</hi> und<lb/><hi rendition="#aq">persona,</hi> nach dem von Gajus Zeit an das römi&#x017F;che Recht Jahr-<lb/>
hunderte lang vorgetragen i&#x017F;t, war ur&#x017F;prünglich ein Ge&#x017F;ichts-<lb/>
punkt zur Cla&#x017F;&#x017F;ification der Götter, und die <hi rendition="#aq">actiones in rem</hi><lb/>
und <hi rendition="#aq">in personam</hi> fanden ihr Vorbild unter den Göttern; auch<lb/>
letztere gingen, mit juri&#x017F;ti&#x017F;chem Ausdruck ge&#x017F;prochen, entweder<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[426/0132] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. lehre iſt nichts als ein Triumph oder richtiger eine Verirrung der zerſetzenden Kraft, ſie enthält keine Götter, keine Individuen von Fleiſch und Blut, wie die griechiſchen, ſondern ein Syſtem von abſtracten Unterſcheidungen. Alle Ereigniſſe und Erſchei- nungen der Natur, alle Kräfte, Eigenſchaften, Tugenden, Feh- ler der Menſchen, ihre Zwecke, ihre Arbeit und ſelbſt die trivial- ſten Verrichtungen ſind bis ins Kleinſte hinein zergliedert, und aus jedem Begriffsatom ein Gott geſchaffen. 546) Ein Pontifex, der einen ſpitzfindigen Unterſchied entdeckte, hatte einem neuen Gotte das Leben gegeben! So widerwärtig und unnatürlich eine derartige Behand- lungsweiſe am religiöſen Stoff war, ſo vollkommen entſprechend war ſie dem rechtlichen, und wenn man den Pontifices einerſeits die abſtracten Götter mit Recht zum Vorwurf machen darf, ſo muß man andererſeits gegen die Götter die Rechtsbegriffe in die Wagſchale werfen. Gehen wir jetzt von der Methode zum Einzelnen über, ſo findet ſich auch hier eine reiche Ausbeute. Zunächſt die intereſ- ſante Thatſache, 547) daß die oberſte Eintheilung den Göttern und dem Recht gemeinſchaftlich war. Jener für die Syſtematik des römiſchen Rechts ſo wichtig gewordene Gegenſatz von res und persona, nach dem von Gajus Zeit an das römiſche Recht Jahr- hunderte lang vorgetragen iſt, war urſprünglich ein Geſichts- punkt zur Claſſification der Götter, und die actiones in rem und in personam fanden ihr Vorbild unter den Göttern; auch letztere gingen, mit juriſtiſchem Ausdruck geſprochen, entweder 546) S. Ambroſch in dem oben angeführten Werk, dem ich auch die im Texte folgende Notiz über die Claſſification der Götter nach der Kategorie von res und persona entnommen habe. 547) Dadurch rechtfertigt ſich alſo wenigſtens zum Theil die Vermuthung von Hugo (Civil. Magaz. Bd. 6 S. 284), die Eintheilung in res, personae und actiones ſei urſprünglich nicht für das Recht erfunden, ſondern nur auf daſſelbe übertragen, und die Bedenken, die dagegen von Andern (z. B. Savi- gny, Syſtem Bd. 1 S. 396) ausgeſprochen ſind, möchten ſich hiermit erledigen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/132
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/132>, abgerufen am 22.11.2024.