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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Die Jurisprudenz. §. 42.
Bestandtheil dieser Disciplin bildete die eigentliche Lehre, die
von den Pontifices selbst entworfene Theorie des Rechts.
Eine unabweisbare Aufforderung zur Ausarbeitung einer eige-
nen, selbständigen Theorie des Rechts lag in der religiösen Bezie-
hung desselben. Soweit diese Beziehung reichte -- und, wie wir
Bd. 1 S. 262 gesehen, reichte sie im ältern Recht sehr weit --
war das Recht der gesetzgebenden Gewalt des Volks verschlossen;
hier waren nur die Pontifices competent, das fas dürfen wir
ausschließlich als ihr Werk betrachten. Allein ihre gestaltende
und rechtsbildende Thätigkeit erstreckte sich eben so wohl auf das
jus. Ganz abgesehen davon, daß ihnen gleichmäßig die Anwen-
dung des jus wie des fas anvertraut war, und ein gewisser rechts-
bildender Einfluß von jeder Anwendung des Rechts untrennbar
ist, so ließ sich, selbst wenn sie aus irgend welchem Grunde ihre
Doctrinen auf das fas hätten beschränken wollen, doch eine
strenge Gränzlinie zwischen beiden Gebieten des Rechts in man-
chen Verhältnissen gar nicht ziehen. Wie Vieles war beiden
völlig gemeinsam (man denke z. B. an die Lehre von der Zeit)
und wie oft erforderte die Durchführung irgend eines Zwecks
oder Gesichtspunkts des fas die Unterordnung des jus d. h. eine
entsprechende Gestaltung der profanen Seite des Instituts (man
denke z. B. an das, was Gajus II, 55 über das ursprüngliche
Motiv der usucapio pro herede berichtet)! Und sodann wenn
einmal die Pontifices, wie wir nachher sehen werden, im Besitz
einer gewissen Methode und gewisser allgemeinen Anschauungen
waren, durch die sie sich bei der Gestaltung des fas bestimmen
ließen: wie kann man annehmen, daß sie dieselben beim jus hät-
ten verläugnen, oder, wenn nicht, daß letztere sich für das jus
minder fruchtbar hätten erweisen sollen, als im fas? Aber ganz
abgesehen von dieser Einwirkung des fas auf das jus, wie kann
man überhaupt nur daran zweifeln, daß eine so fest gegliederte,

keine Schriften, aber eine Reihe wichtiger Responsen kenne, einen eclatanten
Beleg. Beide Juristen trennte ein Zeitraum von vier Jahrhunderten!

Die Jurisprudenz. §. 42.
Beſtandtheil dieſer Disciplin bildete die eigentliche Lehre, die
von den Pontifices ſelbſt entworfene Theorie des Rechts.
Eine unabweisbare Aufforderung zur Ausarbeitung einer eige-
nen, ſelbſtändigen Theorie des Rechts lag in der religiöſen Bezie-
hung deſſelben. Soweit dieſe Beziehung reichte — und, wie wir
Bd. 1 S. 262 geſehen, reichte ſie im ältern Recht ſehr weit —
war das Recht der geſetzgebenden Gewalt des Volks verſchloſſen;
hier waren nur die Pontifices competent, das fas dürfen wir
ausſchließlich als ihr Werk betrachten. Allein ihre geſtaltende
und rechtsbildende Thätigkeit erſtreckte ſich eben ſo wohl auf das
jus. Ganz abgeſehen davon, daß ihnen gleichmäßig die Anwen-
dung des jus wie des fas anvertraut war, und ein gewiſſer rechts-
bildender Einfluß von jeder Anwendung des Rechts untrennbar
iſt, ſo ließ ſich, ſelbſt wenn ſie aus irgend welchem Grunde ihre
Doctrinen auf das fas hätten beſchränken wollen, doch eine
ſtrenge Gränzlinie zwiſchen beiden Gebieten des Rechts in man-
chen Verhältniſſen gar nicht ziehen. Wie Vieles war beiden
völlig gemeinſam (man denke z. B. an die Lehre von der Zeit)
und wie oft erforderte die Durchführung irgend eines Zwecks
oder Geſichtspunkts des fas die Unterordnung des jus d. h. eine
entſprechende Geſtaltung der profanen Seite des Inſtituts (man
denke z. B. an das, was Gajus II, 55 über das urſprüngliche
Motiv der usucapio pro herede berichtet)! Und ſodann wenn
einmal die Pontifices, wie wir nachher ſehen werden, im Beſitz
einer gewiſſen Methode und gewiſſer allgemeinen Anſchauungen
waren, durch die ſie ſich bei der Geſtaltung des fas beſtimmen
ließen: wie kann man annehmen, daß ſie dieſelben beim jus hät-
ten verläugnen, oder, wenn nicht, daß letztere ſich für das jus
minder fruchtbar hätten erweiſen ſollen, als im fas? Aber ganz
abgeſehen von dieſer Einwirkung des fas auf das jus, wie kann
man überhaupt nur daran zweifeln, daß eine ſo feſt gegliederte,

keine Schriften, aber eine Reihe wichtiger Reſponſen kenne, einen eclatanten
Beleg. Beide Juriſten trennte ein Zeitraum von vier Jahrhunderten!
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[421/0127] Die Jurisprudenz. §. 42. Beſtandtheil dieſer Disciplin bildete die eigentliche Lehre, die von den Pontifices ſelbſt entworfene Theorie des Rechts. Eine unabweisbare Aufforderung zur Ausarbeitung einer eige- nen, ſelbſtändigen Theorie des Rechts lag in der religiöſen Bezie- hung deſſelben. Soweit dieſe Beziehung reichte — und, wie wir Bd. 1 S. 262 geſehen, reichte ſie im ältern Recht ſehr weit — war das Recht der geſetzgebenden Gewalt des Volks verſchloſſen; hier waren nur die Pontifices competent, das fas dürfen wir ausſchließlich als ihr Werk betrachten. Allein ihre geſtaltende und rechtsbildende Thätigkeit erſtreckte ſich eben ſo wohl auf das jus. Ganz abgeſehen davon, daß ihnen gleichmäßig die Anwen- dung des jus wie des fas anvertraut war, und ein gewiſſer rechts- bildender Einfluß von jeder Anwendung des Rechts untrennbar iſt, ſo ließ ſich, ſelbſt wenn ſie aus irgend welchem Grunde ihre Doctrinen auf das fas hätten beſchränken wollen, doch eine ſtrenge Gränzlinie zwiſchen beiden Gebieten des Rechts in man- chen Verhältniſſen gar nicht ziehen. Wie Vieles war beiden völlig gemeinſam (man denke z. B. an die Lehre von der Zeit) und wie oft erforderte die Durchführung irgend eines Zwecks oder Geſichtspunkts des fas die Unterordnung des jus d. h. eine entſprechende Geſtaltung der profanen Seite des Inſtituts (man denke z. B. an das, was Gajus II, 55 über das urſprüngliche Motiv der usucapio pro herede berichtet)! Und ſodann wenn einmal die Pontifices, wie wir nachher ſehen werden, im Beſitz einer gewiſſen Methode und gewiſſer allgemeinen Anſchauungen waren, durch die ſie ſich bei der Geſtaltung des fas beſtimmen ließen: wie kann man annehmen, daß ſie dieſelben beim jus hät- ten verläugnen, oder, wenn nicht, daß letztere ſich für das jus minder fruchtbar hätten erweiſen ſollen, als im fas? Aber ganz abgeſehen von dieſer Einwirkung des fas auf das jus, wie kann man überhaupt nur daran zweifeln, daß eine ſo feſt gegliederte, 539) 539) keine Schriften, aber eine Reihe wichtiger Reſponſen kenne, einen eclatanten Beleg. Beide Juriſten trennte ein Zeitraum von vier Jahrhunderten!

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/127>, abgerufen am 24.11.2024.