Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
Indem wir nun an das ältere Recht herantreten, wollen wir uns in unseren Erwartungen möglichst herabstimmen. Daß wir eine Technik finden werden, wissen wir, denn eine Technik hat jedes Recht, auch das ungebildetste, sie ist vor aller Jurispru- denz da (S. 337). Aber ob wir bereits eine Jurisprudenz antreffen werden, davon wissen wir noch nichts, dies muß viel- mehr erst Sache der historischen Untersuchung sein. Ich halte es nun für nöthig, diese Frage gleich hier beim Eintritt in das ältere Recht zu beantworten, wäre es auch nur, um mir dadurch das Recht zu verschaffen, im Verlauf der Darstellung von Ju- risten zu sprechen, aber ich fasse sie hier ganz äußerlich, ich frage nämlich nur: kannte das ältere Recht bereits den äußern Gegen- satz zwischen Juristen und Laien, gab es eine eigene Classe von Leuten, deren Beruf in der Kenntniß und Anwendung des Rechts bestand? Ob ihnen der Name von "Juristen im eigentlichen Sinn" abzusprechen sei, 531) ob ihr Können und Wissen den Namen eines juristischen verdiene, ist eine Frage, die sich erst beantworten läßt, wenn wir mit ihren Leistungen vertraut geworden sind, also erst am Schluß dieses ganzen Abschnittes. Uebrigens ist jenes äußerliche Moment, nach dem ich die Frage hier beantworte, bei weitem nicht so äußerlich, wie es scheint. Diese äußere Ab- sperrung der Jurisprudenz ist der erste Ansatz zur inneren Ent- wickelung derselben als Wissenschaft; damit der Kern sich ent- wickele, bedarf er der Schale, und wenn die Schale sich bildet, so ist das ein Zeichen, daß der Kern sich vorbereitet.
Wer den Gegensatz zwischen Juristen und Laien als etwas Unnatürliches betrachtet, für den hat die Unnatürlichkeit in Rom schon früh begonnen, denn er ist eine der ersten rechtshistorischen
531) Wie Puchta Cursus der Instit. Bd. 1 §. 76 es will. Das Wissen der ältern Juristen hätte sich, meint er, von dem eines jeden Andern nicht qua- litativ, sondern bloß quantitativ unterschieden, Juristen im eigentlichen Sinn könne man sie nicht nennen.
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
Indem wir nun an das ältere Recht herantreten, wollen wir uns in unſeren Erwartungen möglichſt herabſtimmen. Daß wir eine Technik finden werden, wiſſen wir, denn eine Technik hat jedes Recht, auch das ungebildetſte, ſie iſt vor aller Jurispru- denz da (S. 337). Aber ob wir bereits eine Jurisprudenz antreffen werden, davon wiſſen wir noch nichts, dies muß viel- mehr erſt Sache der hiſtoriſchen Unterſuchung ſein. Ich halte es nun für nöthig, dieſe Frage gleich hier beim Eintritt in das ältere Recht zu beantworten, wäre es auch nur, um mir dadurch das Recht zu verſchaffen, im Verlauf der Darſtellung von Ju- riſten zu ſprechen, aber ich faſſe ſie hier ganz äußerlich, ich frage nämlich nur: kannte das ältere Recht bereits den äußern Gegen- ſatz zwiſchen Juriſten und Laien, gab es eine eigene Claſſe von Leuten, deren Beruf in der Kenntniß und Anwendung des Rechts beſtand? Ob ihnen der Name von „Juriſten im eigentlichen Sinn“ abzuſprechen ſei, 531) ob ihr Können und Wiſſen den Namen eines juriſtiſchen verdiene, iſt eine Frage, die ſich erſt beantworten läßt, wenn wir mit ihren Leiſtungen vertraut geworden ſind, alſo erſt am Schluß dieſes ganzen Abſchnittes. Uebrigens iſt jenes äußerliche Moment, nach dem ich die Frage hier beantworte, bei weitem nicht ſo äußerlich, wie es ſcheint. Dieſe äußere Ab- ſperrung der Jurisprudenz iſt der erſte Anſatz zur inneren Ent- wickelung derſelben als Wiſſenſchaft; damit der Kern ſich ent- wickele, bedarf er der Schale, und wenn die Schale ſich bildet, ſo iſt das ein Zeichen, daß der Kern ſich vorbereitet.
Wer den Gegenſatz zwiſchen Juriſten und Laien als etwas Unnatürliches betrachtet, für den hat die Unnatürlichkeit in Rom ſchon früh begonnen, denn er iſt eine der erſten rechtshiſtoriſchen
531) Wie Puchta Curſus der Inſtit. Bd. 1 §. 76 es will. Das Wiſſen der ältern Juriſten hätte ſich, meint er, von dem eines jeden Andern nicht qua- litativ, ſondern bloß quantitativ unterſchieden, Juriſten im eigentlichen Sinn könne man ſie nicht nennen.
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Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
Indem wir nun an das ältere Recht herantreten, wollen wir
uns in unſeren Erwartungen möglichſt herabſtimmen. Daß wir
eine Technik finden werden, wiſſen wir, denn eine Technik hat
jedes Recht, auch das ungebildetſte, ſie iſt vor aller Jurispru-
denz da (S. 337). Aber ob wir bereits eine Jurisprudenz
antreffen werden, davon wiſſen wir noch nichts, dies muß viel-
mehr erſt Sache der hiſtoriſchen Unterſuchung ſein. Ich halte es
nun für nöthig, dieſe Frage gleich hier beim Eintritt in das
ältere Recht zu beantworten, wäre es auch nur, um mir dadurch
das Recht zu verſchaffen, im Verlauf der Darſtellung von Ju-
riſten zu ſprechen, aber ich faſſe ſie hier ganz äußerlich, ich frage
nämlich nur: kannte das ältere Recht bereits den äußern Gegen-
ſatz zwiſchen Juriſten und Laien, gab es eine eigene Claſſe von
Leuten, deren Beruf in der Kenntniß und Anwendung des Rechts
beſtand? Ob ihnen der Name von „Juriſten im eigentlichen Sinn“
abzuſprechen ſei, 531) ob ihr Können und Wiſſen den Namen
eines juriſtiſchen verdiene, iſt eine Frage, die ſich erſt beantworten
läßt, wenn wir mit ihren Leiſtungen vertraut geworden ſind, alſo
erſt am Schluß dieſes ganzen Abſchnittes. Uebrigens iſt jenes
äußerliche Moment, nach dem ich die Frage hier beantworte, bei
weitem nicht ſo äußerlich, wie es ſcheint. Dieſe äußere Ab-
ſperrung der Jurisprudenz iſt der erſte Anſatz zur inneren Ent-
wickelung derſelben als Wiſſenſchaft; damit der Kern ſich ent-
wickele, bedarf er der Schale, und wenn die Schale ſich bildet,
ſo iſt das ein Zeichen, daß der Kern ſich vorbereitet.
Wer den Gegenſatz zwiſchen Juriſten und Laien als etwas
Unnatürliches betrachtet, für den hat die Unnatürlichkeit in Rom
ſchon früh begonnen, denn er iſt eine der erſten rechtshiſtoriſchen
531) Wie Puchta Curſus der Inſtit. Bd. 1 §. 76 es will. Das Wiſſen
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litativ, ſondern bloß quantitativ unterſchieden, Juriſten im eigentlichen Sinn
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/122>, abgerufen am 25.06.2024.
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