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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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3. Die juristische Construction. §. 41.
uns mit gerechtem Mißtrauen erfüllen. Anschaulich ist die
Construction, wenn sie das Verhältniß unter einem Gesichts-
punkt erfaßt, der unserer Vorstellung leicht zugänglich ist (wie
z. B. bei dem Begriff der univ. rerum distantium); durchsich-
tig
, wenn die Consequenzen des Verhältnisses in diesem Ge-
sichtspunkt offen hervortreten, wie in dem Begriff der juristi-
schen Person; natürlich, wenn die Construction keine Abwei-
chung von dem, was sonst in der sinnlichen oder geistigen Welt
vor sich geht, 524) postulirt. Beruht unsere ganze Construction
einmal auf einer naturhistorischen Anschauung, so ist es erklär-
lich, daß sie sich den Gesetzen und Vorgängen der Natur mög-
lichst eng anzuschließen, sie auf ihrem Gebiete und in ihrem
Stoff möglichst nachzubilden sucht, und nicht selten scheint das
"naturale" der Römer eben diese Bedeutung einer Natur-
Imitation
zu haben. 525)

Die bisherige Erörterung hat uns die Anforderungen an-
gegeben, denen die juristische Construction zu entsprechen hat,
es mögen jetzt noch einige Worte folgen über die Mittel, die
sie zu diesem Zweck in Anwendung bringt, ich nenne sie den
Constructionsapparat.

Die niederste Stufe in demselben nehmen ein die von der
Sprache recipirten Bilder, z. B. die Bezeichnung der Servi-

524) Solche der Anschauung der natürlichen Welt entnommene, von den
römischen Juristen für die juristische Construction adoptirte Sätze sind z. B.:
was einmal untergegangen, kann seine alte Existenz nicht wieder erlangen;
Geschehenes läßt sich nicht ändern (z. B. L. 2 de resc. vendit 18. 5); An-
fang und Ende, Ursache und Wirkung verstatten kein vacuum in der Mitte
(darauf beruht die logische Nothwendigkeit der rückwirkenden Kraft der Be-
dingung; s. das weitere bei der Theorie der Rechtsgeschäfte). Dahin gehört
der Gedanke vom Gleichgewicht der Kräfte, mit dem z. B. Venulejus L. 13
de duob. reis
(45. 2) operirt: cum vero ejusdem potestatis sint, non pot-
est reperiri, qua re altera potius quam altera consumatur.
525) z. B. in der freilich nicht ganz richtigen Abstraction der Gleichheit
der Entstehungs- und Endigungsarten L. 38 de R. J. (50. 17): nihil tam
naturale est, quam eo genere quidquid dissolvere, quo colligatum est.

3. Die juriſtiſche Conſtruction. §. 41.
uns mit gerechtem Mißtrauen erfüllen. Anſchaulich iſt die
Conſtruction, wenn ſie das Verhältniß unter einem Geſichts-
punkt erfaßt, der unſerer Vorſtellung leicht zugänglich iſt (wie
z. B. bei dem Begriff der univ. rerum distantium); durchſich-
tig
, wenn die Conſequenzen des Verhältniſſes in dieſem Ge-
ſichtspunkt offen hervortreten, wie in dem Begriff der juriſti-
ſchen Perſon; natürlich, wenn die Conſtruction keine Abwei-
chung von dem, was ſonſt in der ſinnlichen oder geiſtigen Welt
vor ſich geht, 524) poſtulirt. Beruht unſere ganze Conſtruction
einmal auf einer naturhiſtoriſchen Anſchauung, ſo iſt es erklär-
lich, daß ſie ſich den Geſetzen und Vorgängen der Natur mög-
lichſt eng anzuſchließen, ſie auf ihrem Gebiete und in ihrem
Stoff möglichſt nachzubilden ſucht, und nicht ſelten ſcheint das
„naturale“ der Römer eben dieſe Bedeutung einer Natur-
Imitation
zu haben. 525)

Die bisherige Erörterung hat uns die Anforderungen an-
gegeben, denen die juriſtiſche Conſtruction zu entſprechen hat,
es mögen jetzt noch einige Worte folgen über die Mittel, die
ſie zu dieſem Zweck in Anwendung bringt, ich nenne ſie den
Conſtructionsapparat.

Die niederſte Stufe in demſelben nehmen ein die von der
Sprache recipirten Bilder, z. B. die Bezeichnung der Servi-

524) Solche der Anſchauung der natürlichen Welt entnommene, von den
römiſchen Juriſten für die juriſtiſche Conſtruction adoptirte Sätze ſind z. B.:
was einmal untergegangen, kann ſeine alte Exiſtenz nicht wieder erlangen;
Geſchehenes läßt ſich nicht ändern (z. B. L. 2 de resc. vendit 18. 5); An-
fang und Ende, Urſache und Wirkung verſtatten kein vacuum in der Mitte
(darauf beruht die logiſche Nothwendigkeit der rückwirkenden Kraft der Be-
dingung; ſ. das weitere bei der Theorie der Rechtsgeſchäfte). Dahin gehört
der Gedanke vom Gleichgewicht der Kräfte, mit dem z. B. Venulejus L. 13
de duob. reis
(45. 2) operirt: cum vero ejusdem potestatis sint, non pot-
est reperiri, qua re altera potius quam altera consumatur.
525) z. B. in der freilich nicht ganz richtigen Abſtraction der Gleichheit
der Entſtehungs- und Endigungsarten L. 38 de R. J. (50. 17): nihil tam
naturale est, quam eo genere quidquid dissolvere, quo colligatum est.
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[407/0113] 3. Die juriſtiſche Conſtruction. §. 41. uns mit gerechtem Mißtrauen erfüllen. Anſchaulich iſt die Conſtruction, wenn ſie das Verhältniß unter einem Geſichts- punkt erfaßt, der unſerer Vorſtellung leicht zugänglich iſt (wie z. B. bei dem Begriff der univ. rerum distantium); durchſich- tig, wenn die Conſequenzen des Verhältniſſes in dieſem Ge- ſichtspunkt offen hervortreten, wie in dem Begriff der juriſti- ſchen Perſon; natürlich, wenn die Conſtruction keine Abwei- chung von dem, was ſonſt in der ſinnlichen oder geiſtigen Welt vor ſich geht, 524) poſtulirt. Beruht unſere ganze Conſtruction einmal auf einer naturhiſtoriſchen Anſchauung, ſo iſt es erklär- lich, daß ſie ſich den Geſetzen und Vorgängen der Natur mög- lichſt eng anzuſchließen, ſie auf ihrem Gebiete und in ihrem Stoff möglichſt nachzubilden ſucht, und nicht ſelten ſcheint das „naturale“ der Römer eben dieſe Bedeutung einer Natur- Imitation zu haben. 525) Die bisherige Erörterung hat uns die Anforderungen an- gegeben, denen die juriſtiſche Conſtruction zu entſprechen hat, es mögen jetzt noch einige Worte folgen über die Mittel, die ſie zu dieſem Zweck in Anwendung bringt, ich nenne ſie den Conſtructionsapparat. Die niederſte Stufe in demſelben nehmen ein die von der Sprache recipirten Bilder, z. B. die Bezeichnung der Servi- 524) Solche der Anſchauung der natürlichen Welt entnommene, von den römiſchen Juriſten für die juriſtiſche Conſtruction adoptirte Sätze ſind z. B.: was einmal untergegangen, kann ſeine alte Exiſtenz nicht wieder erlangen; Geſchehenes läßt ſich nicht ändern (z. B. L. 2 de resc. vendit 18. 5); An- fang und Ende, Urſache und Wirkung verſtatten kein vacuum in der Mitte (darauf beruht die logiſche Nothwendigkeit der rückwirkenden Kraft der Be- dingung; ſ. das weitere bei der Theorie der Rechtsgeſchäfte). Dahin gehört der Gedanke vom Gleichgewicht der Kräfte, mit dem z. B. Venulejus L. 13 de duob. reis (45. 2) operirt: cum vero ejusdem potestatis sint, non pot- est reperiri, qua re altera potius quam altera consumatur. 525) z. B. in der freilich nicht ganz richtigen Abſtraction der Gleichheit der Entſtehungs- und Endigungsarten L. 38 de R. J. (50. 17): nihil tam naturale est, quam eo genere quidquid dissolvere, quo colligatum est.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/113>, abgerufen am 24.11.2024.