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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweites Buch. Erster Abschnitt. II. Die Grundtriebe.
zu schwächen, sicherte denselben nur noch mehr, indem es das
Gesetz immer weiter aus der subjektiven Nähe in eine objektive
Ferne rückte.

4. Sicherheit und Unabhängigkeit der Verwirk-
lichung des Rechts
.

Der Grundsatz der Unverletzlichkeit der jura quaesita -- die Un-
abhängigkeit der Justiz, innere und äußere -- Verhältniß der Po-
lizei und Verwaltung zur Justiz.

XXVIII. Der Gesichtspunkt, der unsern bisherigen Aus-
führungen über den Selbständigkeitstrieb des Rechts (§. 25 --
27) zu Grund lag, war die Bethätigung desselben an der Rechts-
bildung oder dem abstracten System der Rechtssätze, die
Tendenz des Rechts also, den ihm innewohnenden Inhalt in
möglichster Reinheit und Vollständigkeit aus sich herauszutrei-
ben und objektiv-formell zu fixiren. Wir gehen jetzt zu einer an-
dern Seite des Selbständigkeitstriebes über, der Bethätigung
desselben an der Rechtsanwendung, also der Tendenz des
Rechts, jenen abstracten Inhalt in concrete Wirklichkeit umzu-
setzen.

Ungehemmte Verwirklichung dieses seines Inhalts ist ein An-
spruch, der mit dem Recht selbst geboren ist, oder richtiger nicht
ein bloßer Anspruch, sondern es ist das Recht selbst, sein We-
sen, seine Wahrheit. Diese seine Verwirklichung besteht aber in
seinem Siege über das bloße Factum, das den Gegensatz zu
ihm bildet, in der Ueberwindung des etwaigen Widerstandes,
den die äußere Gewalt ihm entgegensetzen möchte; und da die
Gewalt nur durch Gewalt überwunden werden kann, so wird
damit vorausgesetzt, daß das Recht des physischen Uebergewichts
sicher ist. Dieses Uebergewicht befindet sich nun im normalen
Zustande immer auf Seiten des Staats gegenüber den Privat-
personen. Abgesehn also von Störungen dieses normalen Ver-

Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe.
zu ſchwächen, ſicherte denſelben nur noch mehr, indem es das
Geſetz immer weiter aus der ſubjektiven Nähe in eine objektive
Ferne rückte.

4. Sicherheit und Unabhängigkeit der Verwirk-
lichung des Rechts
.

Der Grundſatz der Unverletzlichkeit der jura quaesita — die Un-
abhängigkeit der Juſtiz, innere und äußere — Verhältniß der Po-
lizei und Verwaltung zur Juſtiz.

XXVIII. Der Geſichtspunkt, der unſern bisherigen Aus-
führungen über den Selbſtändigkeitstrieb des Rechts (§. 25 —
27) zu Grund lag, war die Bethätigung deſſelben an der Rechts-
bildung oder dem abſtracten Syſtem der Rechtsſätze, die
Tendenz des Rechts alſo, den ihm innewohnenden Inhalt in
möglichſter Reinheit und Vollſtändigkeit aus ſich herauszutrei-
ben und objektiv-formell zu fixiren. Wir gehen jetzt zu einer an-
dern Seite des Selbſtändigkeitstriebes über, der Bethätigung
deſſelben an der Rechtsanwendung, alſo der Tendenz des
Rechts, jenen abſtracten Inhalt in concrete Wirklichkeit umzu-
ſetzen.

Ungehemmte Verwirklichung dieſes ſeines Inhalts iſt ein An-
ſpruch, der mit dem Recht ſelbſt geboren iſt, oder richtiger nicht
ein bloßer Anſpruch, ſondern es iſt das Recht ſelbſt, ſein We-
ſen, ſeine Wahrheit. Dieſe ſeine Verwirklichung beſteht aber in
ſeinem Siege über das bloße Factum, das den Gegenſatz zu
ihm bildet, in der Ueberwindung des etwaigen Widerſtandes,
den die äußere Gewalt ihm entgegenſetzen möchte; und da die
Gewalt nur durch Gewalt überwunden werden kann, ſo wird
damit vorausgeſetzt, daß das Recht des phyſiſchen Uebergewichts
ſicher iſt. Dieſes Uebergewicht befindet ſich nun im normalen
Zuſtande immer auf Seiten des Staats gegenüber den Privat-
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[74/0088] Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe. zu ſchwächen, ſicherte denſelben nur noch mehr, indem es das Geſetz immer weiter aus der ſubjektiven Nähe in eine objektive Ferne rückte. 4. Sicherheit und Unabhängigkeit der Verwirk- lichung des Rechts. Der Grundſatz der Unverletzlichkeit der jura quaesita — die Un- abhängigkeit der Juſtiz, innere und äußere — Verhältniß der Po- lizei und Verwaltung zur Juſtiz. XXVIII. Der Geſichtspunkt, der unſern bisherigen Aus- führungen über den Selbſtändigkeitstrieb des Rechts (§. 25 — 27) zu Grund lag, war die Bethätigung deſſelben an der Rechts- bildung oder dem abſtracten Syſtem der Rechtsſätze, die Tendenz des Rechts alſo, den ihm innewohnenden Inhalt in möglichſter Reinheit und Vollſtändigkeit aus ſich herauszutrei- ben und objektiv-formell zu fixiren. Wir gehen jetzt zu einer an- dern Seite des Selbſtändigkeitstriebes über, der Bethätigung deſſelben an der Rechtsanwendung, alſo der Tendenz des Rechts, jenen abſtracten Inhalt in concrete Wirklichkeit umzu- ſetzen. Ungehemmte Verwirklichung dieſes ſeines Inhalts iſt ein An- ſpruch, der mit dem Recht ſelbſt geboren iſt, oder richtiger nicht ein bloßer Anſpruch, ſondern es iſt das Recht ſelbſt, ſein We- ſen, ſeine Wahrheit. Dieſe ſeine Verwirklichung beſteht aber in ſeinem Siege über das bloße Factum, das den Gegenſatz zu ihm bildet, in der Ueberwindung des etwaigen Widerſtandes, den die äußere Gewalt ihm entgegenſetzen möchte; und da die Gewalt nur durch Gewalt überwunden werden kann, ſo wird damit vorausgeſetzt, daß das Recht des phyſiſchen Uebergewichts ſicher iſt. Dieſes Uebergewicht befindet ſich nun im normalen Zuſtande immer auf Seiten des Staats gegenüber den Privat- perſonen. Abgeſehn alſo von Störungen dieſes normalen Ver-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/88>, abgerufen am 23.11.2024.