Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.Zweites Buch. Erster Abschnitt. II. Die Grundtriebe. Elemente, Aenderungen in dem Compositionsverhältniß derVolksschichten u. s. w. In Rom lag der Grund in der durch die Vertreibung der Könige verschobenen Stellung der Patricier und Plebejer, und die Plebs war es, auf deren Rechnung das Verdienst fällt, jene für die ganze römische Rechtsentwicklung unendlich folgenreiche Maßregel der Codifikation des bestehen- den Rechts erzwungen zu haben. Die Absicht war auf eine er- schöpfende Formulirung des gesammten geltenden Rechts gerich- tet, daß dieselbe aber nur annäherungsweise zu erreichen war, braucht kaum bemerkt zu werden (S. B. 1 S. 18 u. fl.) Ein näheres Eingehen auf dieses Zwölftafelngesetz ist hier nicht am Ort, da dem Gesichtspunkt, den wir gegenwärtig verfolgen, mit der Verweisung auf die bloße Thatsache jener Codifikation ein Genüge geschehen ist; nach andern Seiten hin werden wir noch öfter auf jenes Gesetz zurückkommen müssen. Wir haben bisher dem ältern Recht im allgemeinen eine Auf jenem ersten Gebiete herrschte diese Tendenz meiner An- 19) Puchta Gewohnheitsrecht B. 1 S. 16 scheint gerade entgegengesetz-
ter Ansicht zu sein, der rechtshistorischen Compendien, in denen natürlich für jede Periode die Wirksamkeit des Gewohnheitsrechts vorausgesetzt wird, gar nicht zu gedenken. Puchta meint sogar, bei den Römern habe der Gegensatz zwischen gesetzlichem und Gewohnheitsrecht durchaus nicht die Wirksamkeit erhalten, welche ihm in unserer Zeit zu Theil geworden sei. Wenn er sich dafür aber auf die interpretatio beruft, welche nur als eine Fortsetzung des Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe. Elemente, Aenderungen in dem Compoſitionsverhältniß derVolksſchichten u. ſ. w. In Rom lag der Grund in der durch die Vertreibung der Könige verſchobenen Stellung der Patricier und Plebejer, und die Plebs war es, auf deren Rechnung das Verdienſt fällt, jene für die ganze römiſche Rechtsentwicklung unendlich folgenreiche Maßregel der Codifikation des beſtehen- den Rechts erzwungen zu haben. Die Abſicht war auf eine er- ſchöpfende Formulirung des geſammten geltenden Rechts gerich- tet, daß dieſelbe aber nur annäherungsweiſe zu erreichen war, braucht kaum bemerkt zu werden (S. B. 1 S. 18 u. fl.) Ein näheres Eingehen auf dieſes Zwölftafelngeſetz iſt hier nicht am Ort, da dem Geſichtspunkt, den wir gegenwärtig verfolgen, mit der Verweiſung auf die bloße Thatſache jener Codifikation ein Genüge geſchehen iſt; nach andern Seiten hin werden wir noch öfter auf jenes Geſetz zurückkommen müſſen. Wir haben bisher dem ältern Recht im allgemeinen eine Auf jenem erſten Gebiete herrſchte dieſe Tendenz meiner An- 19) Puchta Gewohnheitsrecht B. 1 S. 16 ſcheint gerade entgegengeſetz-
ter Anſicht zu ſein, der rechtshiſtoriſchen Compendien, in denen natürlich für jede Periode die Wirkſamkeit des Gewohnheitsrechts vorausgeſetzt wird, gar nicht zu gedenken. Puchta meint ſogar, bei den Römern habe der Gegenſatz zwiſchen geſetzlichem und Gewohnheitsrecht durchaus nicht die Wirkſamkeit erhalten, welche ihm in unſerer Zeit zu Theil geworden ſei. Wenn er ſich dafür aber auf die interpretatio beruft, welche nur als eine Fortſetzung des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0050" n="36"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Grundtriebe.</fw><lb/> Elemente, Aenderungen in dem Compoſitionsverhältniß der<lb/> Volksſchichten u. ſ. w. In Rom lag der Grund in der durch<lb/> die Vertreibung der Könige verſchobenen Stellung der Patricier<lb/> und Plebejer, und die Plebs war es, auf deren Rechnung das<lb/> Verdienſt fällt, jene für die ganze römiſche Rechtsentwicklung<lb/> unendlich folgenreiche Maßregel der Codifikation des beſtehen-<lb/> den Rechts erzwungen zu haben. Die Abſicht war auf eine er-<lb/> ſchöpfende Formulirung des geſammten geltenden Rechts gerich-<lb/> tet, daß dieſelbe aber nur annäherungsweiſe zu erreichen war,<lb/> braucht kaum bemerkt zu werden (S. B. 1 S. 18 u. fl.) Ein<lb/> näheres Eingehen auf dieſes Zwölftafelngeſetz iſt hier nicht am<lb/> Ort, da dem Geſichtspunkt, den wir gegenwärtig verfolgen, mit<lb/> der Verweiſung auf die bloße Thatſache jener Codifikation ein<lb/> Genüge geſchehen iſt; nach andern Seiten hin werden wir noch<lb/> öfter auf jenes Geſetz zurückkommen müſſen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Wir haben bisher dem ältern Recht im allgemeinen eine<lb/> Hinneigung zum Syſtem des geſchriebenen Rechts vindicirt,<lb/> dieſe Behauptung bedarf aber einer nähern Beſtimmung hinſicht-<lb/> lich der einzelnen Theile des Rechts. Auf dem Gebiete des Pri-<lb/> vatrechts und Civilprozeſſes tritt jene Tendenz am entſchieden-<lb/> ſten hervor, weniger im Staatsrecht, am wenigſten im Krimi-<lb/> nalrecht.</p><lb/> <p>Auf jenem erſten Gebiete herrſchte dieſe Tendenz meiner An-<lb/> ſicht nach völlig exkluſiv d. h. das Geſetz war hier die einzige<lb/> Rechtsquelle, das Gewohnheitsrecht war prinzipiell ausgeſchloſ-<lb/> ſen.<note xml:id="seg2pn_1_1" next="#seg2pn_1_2" place="foot" n="19)">Puchta Gewohnheitsrecht B. 1 S. 16 ſcheint gerade entgegengeſetz-<lb/> ter Anſicht zu ſein, der rechtshiſtoriſchen Compendien, in denen natürlich für<lb/> jede Periode die Wirkſamkeit des Gewohnheitsrechts vorausgeſetzt wird, gar<lb/> nicht zu gedenken. Puchta meint ſogar, bei den Römern habe der Gegenſatz<lb/> zwiſchen geſetzlichem und Gewohnheitsrecht durchaus nicht die Wirkſamkeit<lb/> erhalten, welche ihm in unſerer Zeit zu Theil geworden ſei. Wenn er ſich<lb/> dafür aber auf die <hi rendition="#aq">interpretatio</hi> beruft, welche nur als eine Fortſetzung des</note> Dieſe Behauptung bedarf freilich, um nicht mißverſtan-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [36/0050]
Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe.
Elemente, Aenderungen in dem Compoſitionsverhältniß der
Volksſchichten u. ſ. w. In Rom lag der Grund in der durch
die Vertreibung der Könige verſchobenen Stellung der Patricier
und Plebejer, und die Plebs war es, auf deren Rechnung das
Verdienſt fällt, jene für die ganze römiſche Rechtsentwicklung
unendlich folgenreiche Maßregel der Codifikation des beſtehen-
den Rechts erzwungen zu haben. Die Abſicht war auf eine er-
ſchöpfende Formulirung des geſammten geltenden Rechts gerich-
tet, daß dieſelbe aber nur annäherungsweiſe zu erreichen war,
braucht kaum bemerkt zu werden (S. B. 1 S. 18 u. fl.) Ein
näheres Eingehen auf dieſes Zwölftafelngeſetz iſt hier nicht am
Ort, da dem Geſichtspunkt, den wir gegenwärtig verfolgen, mit
der Verweiſung auf die bloße Thatſache jener Codifikation ein
Genüge geſchehen iſt; nach andern Seiten hin werden wir noch
öfter auf jenes Geſetz zurückkommen müſſen.
Wir haben bisher dem ältern Recht im allgemeinen eine
Hinneigung zum Syſtem des geſchriebenen Rechts vindicirt,
dieſe Behauptung bedarf aber einer nähern Beſtimmung hinſicht-
lich der einzelnen Theile des Rechts. Auf dem Gebiete des Pri-
vatrechts und Civilprozeſſes tritt jene Tendenz am entſchieden-
ſten hervor, weniger im Staatsrecht, am wenigſten im Krimi-
nalrecht.
Auf jenem erſten Gebiete herrſchte dieſe Tendenz meiner An-
ſicht nach völlig exkluſiv d. h. das Geſetz war hier die einzige
Rechtsquelle, das Gewohnheitsrecht war prinzipiell ausgeſchloſ-
ſen. 19) Dieſe Behauptung bedarf freilich, um nicht mißverſtan-
19) Puchta Gewohnheitsrecht B. 1 S. 16 ſcheint gerade entgegengeſetz-
ter Anſicht zu ſein, der rechtshiſtoriſchen Compendien, in denen natürlich für
jede Periode die Wirkſamkeit des Gewohnheitsrechts vorausgeſetzt wird, gar
nicht zu gedenken. Puchta meint ſogar, bei den Römern habe der Gegenſatz
zwiſchen geſetzlichem und Gewohnheitsrecht durchaus nicht die Wirkſamkeit
erhalten, welche ihm in unſerer Zeit zu Theil geworden ſei. Wenn er ſich
dafür aber auf die interpretatio beruft, welche nur als eine Fortſetzung des
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