Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. das absolute Recht. 468) Das ist eine arge Uebertreibung, beider eine richtige Ahnung zu Grunde liegen mag. In dem römi- schen Recht sowohl der gegenwärtigen wie der folgenden Periode steckt viel national Römisches, und die Opposition, die dies Recht von jeher erfahren hat, ist namentlich hierdurch veranlaßt und meiner Ansicht nach insoweit durchaus berechtigt. Um das Privatrecht zu gewinnen, haben wir das römische recipirt, es wäre aber falsch zu glauben, als ob die historische Form, in der der absolut richtige Gedanke zuerst zur Welt kam, gleichfalls die absolute wäre und ihn selbst für ewige Zeiten bedingte. Der absolut richtige Gedanke ist: alle privatrechtlichen Verhältnisse sind Machtverhältnisse, Willensmacht ist das Prisma der privat- rechtlichen Auffassung, und die ganze Theorie des Privatrechts hat nur die Aufgabe, das Machtelement in den Lebensverhält- nissen aufzudecken und zu bestimmen. Das Römische und mit- hin Vergängliche ist das Maß und die Ausdehnung, in der die Römer die Macht innerhalb der verschiedenen Verhältnisse zu- gelassen haben. Ich will beide Behauptungen noch einer nähe- ren Betrachtung unterwerfen. Jener erste Satz ist weit entfernt sich der allgemeinen Zu- 468) G. Lenz über die geschichtliche Entstehungsweise des Rechts.
Greifswald u. Leipz. 1854. Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. das abſolute Recht. 468) Das iſt eine arge Uebertreibung, beider eine richtige Ahnung zu Grunde liegen mag. In dem römi- ſchen Recht ſowohl der gegenwärtigen wie der folgenden Periode ſteckt viel national Römiſches, und die Oppoſition, die dies Recht von jeher erfahren hat, iſt namentlich hierdurch veranlaßt und meiner Anſicht nach inſoweit durchaus berechtigt. Um das Privatrecht zu gewinnen, haben wir das römiſche recipirt, es wäre aber falſch zu glauben, als ob die hiſtoriſche Form, in der der abſolut richtige Gedanke zuerſt zur Welt kam, gleichfalls die abſolute wäre und ihn ſelbſt für ewige Zeiten bedingte. Der abſolut richtige Gedanke iſt: alle privatrechtlichen Verhältniſſe ſind Machtverhältniſſe, Willensmacht iſt das Prisma der privat- rechtlichen Auffaſſung, und die ganze Theorie des Privatrechts hat nur die Aufgabe, das Machtelement in den Lebensverhält- niſſen aufzudecken und zu beſtimmen. Das Römiſche und mit- hin Vergängliche iſt das Maß und die Ausdehnung, in der die Römer die Macht innerhalb der verſchiedenen Verhältniſſe zu- gelaſſen haben. Ich will beide Behauptungen noch einer nähe- ren Betrachtung unterwerfen. Jener erſte Satz iſt weit entfernt ſich der allgemeinen Zu- 468) G. Lenz über die geſchichtliche Entſtehungsweiſe des Rechts.
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Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
das abſolute Recht. 468) Das iſt eine arge Uebertreibung, bei
der eine richtige Ahnung zu Grunde liegen mag. In dem römi-
ſchen Recht ſowohl der gegenwärtigen wie der folgenden Periode
ſteckt viel national Römiſches, und die Oppoſition, die dies
Recht von jeher erfahren hat, iſt namentlich hierdurch veranlaßt
und meiner Anſicht nach inſoweit durchaus berechtigt. Um das
Privatrecht zu gewinnen, haben wir das römiſche recipirt,
es wäre aber falſch zu glauben, als ob die hiſtoriſche Form, in
der der abſolut richtige Gedanke zuerſt zur Welt kam, gleichfalls
die abſolute wäre und ihn ſelbſt für ewige Zeiten bedingte. Der
abſolut richtige Gedanke iſt: alle privatrechtlichen Verhältniſſe
ſind Machtverhältniſſe, Willensmacht iſt das Prisma der privat-
rechtlichen Auffaſſung, und die ganze Theorie des Privatrechts
hat nur die Aufgabe, das Machtelement in den Lebensverhält-
niſſen aufzudecken und zu beſtimmen. Das Römiſche und mit-
hin Vergängliche iſt das Maß und die Ausdehnung, in der die
Römer die Macht innerhalb der verſchiedenen Verhältniſſe zu-
gelaſſen haben. Ich will beide Behauptungen noch einer nähe-
ren Betrachtung unterwerfen.
Jener erſte Satz iſt weit entfernt ſich der allgemeinen Zu-
ſtimmung zu erfreuen. Es gereicht unſerem wiſſenſchaftlichen
Bewußtſein gerade nicht zur Ehre, daß eine Wahrheit, die der
einfache geſunde Menſchenverſtand in Rom längſt entdeckt hatte,
von Manchen nicht bloß aus den Augen verloren, ſondern ge-
radezu als Irrthum und als ein Mangel des römiſchen Rechts
bezeichnet werden konnte. Man hat letzterem nämlich den Vor-
wurf gemacht, daß es bei der Conſtruction ſeiner Rechtsver-
hältniſſe das ſittliche Moment ganz außer Acht gelaſſen und
nennt es Romaniſiren, wenn man bei den deutſchrechtlichen
Verhältniſſen dieſelbe Methode befolgt. Ein ſolcher Tadel
bezweckt geradezu die Negation jeder Jurisprudenz, denn das
468) G. Lenz über die geſchichtliche Entſtehungsweiſe des Rechts.
Greifswald u. Leipz. 1854.
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