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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweites Buch. Erster Abschnitt. Allgem. Charakteristik.
man dies hervorheben und immerhin ersterer den Vorwurf der
Nüchternheit machen und letzterer den Vorzug "der Poesie im
Recht" lassen. Aber es ist schon oben bemerkt, daß dies den prak-
tischen Werth der Plastik des Rechts gar nicht berührt, und man
darf gerade in der Einfachheit, Nüchternheit und Dürftigkeit der
römischen Plastik eine Bethätigung der rein juristischen Anschau-
ungsweise der Römer erblicken. Von welchem Nutzen die Spar-
samkeit im Recht ist, 12) liegt auf der Hand; der Verkehr be-
herrscht leichter zwei Formen, als zwanzig, und die Jurispru-
denz kann die Theorie derselben um so schärfer und genauer aus-
bilden, je weniger ihrer sind.

Wenn nun aber verschiedene Geschäfte mittelst derselben
Form abgeschlossen wurden, worin lag denn das Unterscheidende
derselben? In der Verschiedenheit des Inhalts und der derselben
entsprechenden Formel. Die Gefahr der Verwechslung war für
jeden, der das Geschäft mit angesehen und angehört hatte, un-
denkbar. Daß ein Rechtsgeschäft vor sich gehe, verkündete die
Form; welches, der Gegenstand und Inhalt, und damit war
den Anforderungen des Verkehrs vollkommen genügt. Unserm
heutigen Recht läßt sich ein Gleiches nicht nachrühmen. Unsere
Formlosigkeit, vor der nur einige Geschäfte wie das Testament und
der Wechsel sich bewahrt haben, macht es oft sehr schwer, wenn
nicht unmöglich, zu bestimmen, ob ein Rechtsgeschäft und wel-
ches
von den Partheien intendirt war. Auch bei den Römern ka-
men in älterer Zeit Geschäfte vor, die nicht in eine rechtliche Form
eingekleidet zu werden pflegten; wir werden sie an einer andern
Stelle betrachten und zu zeigen versuchen, daß es keine Rechts-
geschäfte im Sinne des ältern Rechts waren und der Beihülfe
desselben weder theilhaftig waren, noch auch derselben bedurften.
Ein wahrhaftes Rechtsgeschäft ist für die ältere Zeit nur das,
was in Form Rechtens auftritt, äußerlich sich als solches kund
gibt. Formlosigkeit widerstrebt der innersten Natur der alten

12) In §. 27 werden wir darauf zurückkommen.

Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. Allgem. Charakteriſtik.
man dies hervorheben und immerhin erſterer den Vorwurf der
Nüchternheit machen und letzterer den Vorzug „der Poeſie im
Recht“ laſſen. Aber es iſt ſchon oben bemerkt, daß dies den prak-
tiſchen Werth der Plaſtik des Rechts gar nicht berührt, und man
darf gerade in der Einfachheit, Nüchternheit und Dürftigkeit der
römiſchen Plaſtik eine Bethätigung der rein juriſtiſchen Anſchau-
ungsweiſe der Römer erblicken. Von welchem Nutzen die Spar-
ſamkeit im Recht iſt, 12) liegt auf der Hand; der Verkehr be-
herrſcht leichter zwei Formen, als zwanzig, und die Jurispru-
denz kann die Theorie derſelben um ſo ſchärfer und genauer aus-
bilden, je weniger ihrer ſind.

Wenn nun aber verſchiedene Geſchäfte mittelſt derſelben
Form abgeſchloſſen wurden, worin lag denn das Unterſcheidende
derſelben? In der Verſchiedenheit des Inhalts und der derſelben
entſprechenden Formel. Die Gefahr der Verwechslung war für
jeden, der das Geſchäft mit angeſehen und angehört hatte, un-
denkbar. Daß ein Rechtsgeſchäft vor ſich gehe, verkündete die
Form; welches, der Gegenſtand und Inhalt, und damit war
den Anforderungen des Verkehrs vollkommen genügt. Unſerm
heutigen Recht läßt ſich ein Gleiches nicht nachrühmen. Unſere
Formloſigkeit, vor der nur einige Geſchäfte wie das Teſtament und
der Wechſel ſich bewahrt haben, macht es oft ſehr ſchwer, wenn
nicht unmöglich, zu beſtimmen, ob ein Rechtsgeſchäft und wel-
ches
von den Partheien intendirt war. Auch bei den Römern ka-
men in älterer Zeit Geſchäfte vor, die nicht in eine rechtliche Form
eingekleidet zu werden pflegten; wir werden ſie an einer andern
Stelle betrachten und zu zeigen verſuchen, daß es keine Rechts-
geſchäfte im Sinne des ältern Rechts waren und der Beihülfe
deſſelben weder theilhaftig waren, noch auch derſelben bedurften.
Ein wahrhaftes Rechtsgeſchäft iſt für die ältere Zeit nur das,
was in Form Rechtens auftritt, äußerlich ſich als ſolches kund
gibt. Formloſigkeit widerſtrebt der innerſten Natur der alten

12) In §. 27 werden wir darauf zurückkommen.
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[18/0032] Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. Allgem. Charakteriſtik. man dies hervorheben und immerhin erſterer den Vorwurf der Nüchternheit machen und letzterer den Vorzug „der Poeſie im Recht“ laſſen. Aber es iſt ſchon oben bemerkt, daß dies den prak- tiſchen Werth der Plaſtik des Rechts gar nicht berührt, und man darf gerade in der Einfachheit, Nüchternheit und Dürftigkeit der römiſchen Plaſtik eine Bethätigung der rein juriſtiſchen Anſchau- ungsweiſe der Römer erblicken. Von welchem Nutzen die Spar- ſamkeit im Recht iſt, 12) liegt auf der Hand; der Verkehr be- herrſcht leichter zwei Formen, als zwanzig, und die Jurispru- denz kann die Theorie derſelben um ſo ſchärfer und genauer aus- bilden, je weniger ihrer ſind. Wenn nun aber verſchiedene Geſchäfte mittelſt derſelben Form abgeſchloſſen wurden, worin lag denn das Unterſcheidende derſelben? In der Verſchiedenheit des Inhalts und der derſelben entſprechenden Formel. Die Gefahr der Verwechslung war für jeden, der das Geſchäft mit angeſehen und angehört hatte, un- denkbar. Daß ein Rechtsgeſchäft vor ſich gehe, verkündete die Form; welches, der Gegenſtand und Inhalt, und damit war den Anforderungen des Verkehrs vollkommen genügt. Unſerm heutigen Recht läßt ſich ein Gleiches nicht nachrühmen. Unſere Formloſigkeit, vor der nur einige Geſchäfte wie das Teſtament und der Wechſel ſich bewahrt haben, macht es oft ſehr ſchwer, wenn nicht unmöglich, zu beſtimmen, ob ein Rechtsgeſchäft und wel- ches von den Partheien intendirt war. Auch bei den Römern ka- men in älterer Zeit Geſchäfte vor, die nicht in eine rechtliche Form eingekleidet zu werden pflegten; wir werden ſie an einer andern Stelle betrachten und zu zeigen verſuchen, daß es keine Rechts- geſchäfte im Sinne des ältern Rechts waren und der Beihülfe deſſelben weder theilhaftig waren, noch auch derſelben bedurften. Ein wahrhaftes Rechtsgeſchäft iſt für die ältere Zeit nur das, was in Form Rechtens auftritt, äußerlich ſich als ſolches kund gibt. Formloſigkeit widerſtrebt der innerſten Natur der alten 12) In §. 27 werden wir darauf zurückkommen.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/32>, abgerufen am 16.04.2024.