Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.B. Stellung der Magistratur. -- Persönlichkeit des Beamten. §. 35. die Magistratur an Kraft, sie fügt sich, wo sie es nicht nöthighätte, 457) vermeidet den Streit, und wo sie ihn dennoch auf- nimmt, unterliegt sie. Aber wenn dann einmal wieder ein gan- zer Mann, ein eiserner Charakter, ein wahrer Herrscher an ihre Stelle trat, wie schwoll dann die Würde an, zu welcher Ge- waltigkeit und Majestät! Rechte, die die Vorgänger seit Jahr- hunderten nicht mehr gewagt hatten zu benutzen, wurden der Vergessenheit entrissen,458) neue Ansprüche, oder solche, die bisher ohne Erfolg erhoben waren, geltend gemacht und durch- gesetzt, der Glanz des Amts wiederhergestellt und erhöht, kurz das Amt nahm einen mächtigen Aufschwung, und noch lange Jahre nachher zehrten die Nachfolger von dem Gewinn dieses Einen Amtsjahres. Man erinnere sich z. B. der Censur. Was war sie bei ihrer Einführung, was ein Jahrhundert später! Und wodurch? Nicht durch Unterstützung und Beihülfe von Seiten der Gesetzgebung, sondern Alles durch die Macht der Persönlichkeit. Mit jedem großen Charakter, den man mit die- sem anfänglich so unbedeutenden Amt bekleidet hatte, dehnte und weitete sich dasselbe, jeder ächte Censor war "Mehrer des Reichs", ein Stück Censur. Kein Gesetz hätte ein solches In- 457) So z. B. bei Liv. III, 26 die Consuln rücksichtlich des von den Tribunen in Anspruch genommenen jus prensionis; wenn damals andere Männer dies Amt bekleidet hätten, sie würden die tribunitische Anmaßung gewiß verdientermaßen zurückgewiesen haben. -- Wie verschieden benutzten manche Consuln die ihnen vom Volk oder Senat ertheilte Autorisation zum Abschluß eines Friedens! Einige schlossen ohne Vorbehalt und ohne vorherige Anzeige an den Senat nach eigenem Gutdünken den Vertrag ab (Beispiele bei Rubino a. a. O. S. 267, 268), andere wagten von ihrer Vollmacht kei- nen Gebrauch zu machen, sondern behielten dem Volk die schließliche Ent- scheidung vor. Liv. XXX, 43. 44. 458) Ein höchst interessantes Beispiel gewährt hier Liv. XXVII, 8.
(B. 1. S. 317.) Der flamen Dialis hatte von altersher Sitz und Stimme im Senat, allein mehre Menschenalter hindurch war dies Recht "ob indigni- tatem priorum flaminum" nicht zur Ausübung gekommen, bis einmal eine ge- achtete und entschlossene Persönlichkeit diesen Posten bekleidete und es wagte, B. Stellung der Magiſtratur. — Perſönlichkeit des Beamten. §. 35. die Magiſtratur an Kraft, ſie fügt ſich, wo ſie es nicht nöthighätte, 457) vermeidet den Streit, und wo ſie ihn dennoch auf- nimmt, unterliegt ſie. Aber wenn dann einmal wieder ein gan- zer Mann, ein eiſerner Charakter, ein wahrer Herrſcher an ihre Stelle trat, wie ſchwoll dann die Würde an, zu welcher Ge- waltigkeit und Majeſtät! Rechte, die die Vorgänger ſeit Jahr- hunderten nicht mehr gewagt hatten zu benutzen, wurden der Vergeſſenheit entriſſen,458) neue Anſprüche, oder ſolche, die bisher ohne Erfolg erhoben waren, geltend gemacht und durch- geſetzt, der Glanz des Amts wiederhergeſtellt und erhöht, kurz das Amt nahm einen mächtigen Aufſchwung, und noch lange Jahre nachher zehrten die Nachfolger von dem Gewinn dieſes Einen Amtsjahres. Man erinnere ſich z. B. der Cenſur. Was war ſie bei ihrer Einführung, was ein Jahrhundert ſpäter! Und wodurch? Nicht durch Unterſtützung und Beihülfe von Seiten der Geſetzgebung, ſondern Alles durch die Macht der Perſönlichkeit. Mit jedem großen Charakter, den man mit die- ſem anfänglich ſo unbedeutenden Amt bekleidet hatte, dehnte und weitete ſich daſſelbe, jeder ächte Cenſor war „Mehrer des Reichs“, ein Stück Cenſur. Kein Geſetz hätte ein ſolches In- 457) So z. B. bei Liv. III, 26 die Conſuln rückſichtlich des von den Tribunen in Anſpruch genommenen jus prensionis; wenn damals andere Männer dies Amt bekleidet hätten, ſie würden die tribunitiſche Anmaßung gewiß verdientermaßen zurückgewieſen haben. — Wie verſchieden benutzten manche Conſuln die ihnen vom Volk oder Senat ertheilte Autoriſation zum Abſchluß eines Friedens! Einige ſchloſſen ohne Vorbehalt und ohne vorherige Anzeige an den Senat nach eigenem Gutdünken den Vertrag ab (Beiſpiele bei Rubino a. a. O. S. 267, 268), andere wagten von ihrer Vollmacht kei- nen Gebrauch zu machen, ſondern behielten dem Volk die ſchließliche Ent- ſcheidung vor. Liv. XXX, 43. 44. 458) Ein höchſt intereſſantes Beiſpiel gewährt hier Liv. XXVII, 8.
(B. 1. S. 317.) Der flamen Dialis hatte von altersher Sitz und Stimme im Senat, allein mehre Menſchenalter hindurch war dies Recht „ob indigni- tatem priorum flaminum“ nicht zur Ausübung gekommen, bis einmal eine ge- achtete und entſchloſſene Perſönlichkeit dieſen Poſten bekleidete und es wagte, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0313" n="299"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">B.</hi> Stellung der Magiſtratur. — Perſönlichkeit des Beamten. §. 35.</fw><lb/> die Magiſtratur an Kraft, ſie fügt ſich, wo ſie es nicht nöthig<lb/> hätte, <note place="foot" n="457)">So z. B. bei <hi rendition="#aq">Liv. III,</hi> 26 die Conſuln rückſichtlich des von den<lb/> Tribunen in Anſpruch genommenen <hi rendition="#aq">jus prensionis;</hi> wenn damals andere<lb/> Männer dies Amt bekleidet hätten, ſie würden die tribunitiſche Anmaßung<lb/> gewiß verdientermaßen zurückgewieſen haben. — Wie verſchieden benutzten<lb/> manche Conſuln die ihnen vom Volk oder Senat ertheilte Autoriſation zum<lb/> Abſchluß eines Friedens! Einige ſchloſſen ohne Vorbehalt und ohne vorherige<lb/> Anzeige an den Senat nach eigenem Gutdünken den Vertrag ab (Beiſpiele<lb/> bei Rubino a. a. O. S. 267, 268), andere wagten von ihrer Vollmacht kei-<lb/> nen Gebrauch zu machen, ſondern behielten dem Volk die ſchließliche Ent-<lb/> ſcheidung vor. <hi rendition="#aq">Liv. XXX,</hi> 43. 44.</note> vermeidet den Streit, und wo ſie ihn dennoch auf-<lb/> nimmt, unterliegt ſie. Aber wenn dann einmal wieder ein gan-<lb/> zer Mann, ein eiſerner Charakter, ein wahrer Herrſcher an ihre<lb/> Stelle trat, wie ſchwoll dann die Würde an, zu welcher Ge-<lb/> waltigkeit und Majeſtät! Rechte, die die Vorgänger ſeit Jahr-<lb/> hunderten nicht mehr gewagt hatten zu benutzen, wurden der<lb/> Vergeſſenheit entriſſen,<note xml:id="seg2pn_47_1" next="#seg2pn_47_2" place="foot" n="458)">Ein höchſt intereſſantes Beiſpiel gewährt hier <hi rendition="#aq">Liv. XXVII,</hi> 8.<lb/> (B. 1. S. 317.) Der <hi rendition="#aq">flamen Dialis</hi> hatte von altersher Sitz und Stimme<lb/> im Senat, allein mehre Menſchenalter hindurch war dies Recht <hi rendition="#aq">„ob indigni-<lb/> tatem priorum flaminum“</hi> nicht zur Ausübung gekommen, bis einmal eine ge-<lb/> achtete und entſchloſſene Perſönlichkeit dieſen Poſten bekleidete und es wagte,</note> neue Anſprüche, oder ſolche, die<lb/> bisher ohne Erfolg erhoben waren, geltend gemacht und durch-<lb/> geſetzt, der Glanz des Amts wiederhergeſtellt und erhöht, kurz<lb/> das Amt nahm einen mächtigen Aufſchwung, und noch lange<lb/> Jahre nachher zehrten die Nachfolger von dem Gewinn dieſes<lb/> Einen Amtsjahres. Man erinnere ſich z. B. der Cenſur. Was<lb/> war ſie bei ihrer Einführung, was ein Jahrhundert ſpäter!<lb/> Und wodurch? Nicht durch Unterſtützung und Beihülfe von<lb/> Seiten der Geſetzgebung, ſondern Alles durch die Macht der<lb/> Perſönlichkeit. Mit jedem großen Charakter, den man mit die-<lb/> ſem anfänglich ſo unbedeutenden Amt bekleidet hatte, dehnte<lb/> und weitete ſich daſſelbe, jeder ächte Cenſor war „Mehrer des<lb/> Reichs“, ein Stück Cenſur. Kein Geſetz hätte ein ſolches In-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [299/0313]
B. Stellung der Magiſtratur. — Perſönlichkeit des Beamten. §. 35.
die Magiſtratur an Kraft, ſie fügt ſich, wo ſie es nicht nöthig
hätte, 457) vermeidet den Streit, und wo ſie ihn dennoch auf-
nimmt, unterliegt ſie. Aber wenn dann einmal wieder ein gan-
zer Mann, ein eiſerner Charakter, ein wahrer Herrſcher an ihre
Stelle trat, wie ſchwoll dann die Würde an, zu welcher Ge-
waltigkeit und Majeſtät! Rechte, die die Vorgänger ſeit Jahr-
hunderten nicht mehr gewagt hatten zu benutzen, wurden der
Vergeſſenheit entriſſen, 458) neue Anſprüche, oder ſolche, die
bisher ohne Erfolg erhoben waren, geltend gemacht und durch-
geſetzt, der Glanz des Amts wiederhergeſtellt und erhöht, kurz
das Amt nahm einen mächtigen Aufſchwung, und noch lange
Jahre nachher zehrten die Nachfolger von dem Gewinn dieſes
Einen Amtsjahres. Man erinnere ſich z. B. der Cenſur. Was
war ſie bei ihrer Einführung, was ein Jahrhundert ſpäter!
Und wodurch? Nicht durch Unterſtützung und Beihülfe von
Seiten der Geſetzgebung, ſondern Alles durch die Macht der
Perſönlichkeit. Mit jedem großen Charakter, den man mit die-
ſem anfänglich ſo unbedeutenden Amt bekleidet hatte, dehnte
und weitete ſich daſſelbe, jeder ächte Cenſor war „Mehrer des
Reichs“, ein Stück Cenſur. Kein Geſetz hätte ein ſolches In-
457) So z. B. bei Liv. III, 26 die Conſuln rückſichtlich des von den
Tribunen in Anſpruch genommenen jus prensionis; wenn damals andere
Männer dies Amt bekleidet hätten, ſie würden die tribunitiſche Anmaßung
gewiß verdientermaßen zurückgewieſen haben. — Wie verſchieden benutzten
manche Conſuln die ihnen vom Volk oder Senat ertheilte Autoriſation zum
Abſchluß eines Friedens! Einige ſchloſſen ohne Vorbehalt und ohne vorherige
Anzeige an den Senat nach eigenem Gutdünken den Vertrag ab (Beiſpiele
bei Rubino a. a. O. S. 267, 268), andere wagten von ihrer Vollmacht kei-
nen Gebrauch zu machen, ſondern behielten dem Volk die ſchließliche Ent-
ſcheidung vor. Liv. XXX, 43. 44.
458) Ein höchſt intereſſantes Beiſpiel gewährt hier Liv. XXVII, 8.
(B. 1. S. 317.) Der flamen Dialis hatte von altersher Sitz und Stimme
im Senat, allein mehre Menſchenalter hindurch war dies Recht „ob indigni-
tatem priorum flaminum“ nicht zur Ausübung gekommen, bis einmal eine ge-
achtete und entſchloſſene Perſönlichkeit dieſen Poſten bekleidete und es wagte,
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