Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. schlüsse in der Regel bei dem Consul dieselbe Beachtung fanden,wie in der Kaiserzeit die orationes principis beim Senat, und daß dem Effekt nach der Senat eine der einflußreichsten staats- rechtlichen Gewalten war, ungeachtet er der Form, der abstract- rechtlichen Stellung nach eine bloß berathende Stimme hatte. Man darf aber die Sache nicht so ansehen, als ob das abstract- rechtliche Moment hier ein Begriff ohne alle praktische Realität gewesen, ein Moment, das bei der staatsrechtlichen Charakteri- stik des Senats außer Acht gelassen werden dürfte. Selbst für die Zeiten, als der Senat den Gipfel seiner Macht erreicht hatte, würde dies nicht zu billigen sein, geschweige für die frü- heren. Die praktische Realität jenes Moments zeigt sich darin, daß in Wirklichkeit manche Fälle vorkamen, wo die Beamten nicht bloß die wichtigsten Maßregeln ohne Zuziehung des Se- nats aus eigener Machtvollkommenheit vornahmen, sondern sich auch mit der erklärten Meinung des Senats in Widerspruch setzten, die Beschlüsse desselben mißachteten 451) (non esse in autoritate senatus), ohne daß eine solche Handlungsweise als illegal und nichtig, ja nur einmal stets als tadelnswerth ge- golten hätte. Hatte z. B. der Senat sich durch Partheileiden- schaft zu seinem Beschluß verleiten lassen, 452) so warf das mo- ralische Uebergewicht der öffentlichen Meinung sich auf Seiten des Beamten, und letzterer trug formell wie moralisch einen Sieg über den Senat davon. Abgesehen hiervon aber hatte derselbe dem Senat gegenüber einen schweren Stand, und bei einer Opposition in schlechter, dem Staat verderblicher Absicht keine Aussicht auf Erfolg. Denn wenn der Senat gleich rechtlich keine Gewalt über ihn hatte, so fehlte es ihm doch nicht an 451) Beispiele bei Appian. de bello civ. I, 19. Liv. XLII, 22. XLIII, 2. Rubino a. a. O. S. 128. Anm. 3 u. Laboulaye S. 34. 36. 452) Wie z. B. gegen den Postumius. Anm. 437, oder den Metellus,
Auct. de vir. illustr. c. 45 quum per calumniam triumphus ei a senatu negaretur, de sua sententia in Albano monte triumphavit. Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. ſchlüſſe in der Regel bei dem Conſul dieſelbe Beachtung fanden,wie in der Kaiſerzeit die orationes principis beim Senat, und daß dem Effekt nach der Senat eine der einflußreichſten ſtaats- rechtlichen Gewalten war, ungeachtet er der Form, der abſtract- rechtlichen Stellung nach eine bloß berathende Stimme hatte. Man darf aber die Sache nicht ſo anſehen, als ob das abſtract- rechtliche Moment hier ein Begriff ohne alle praktiſche Realität geweſen, ein Moment, das bei der ſtaatsrechtlichen Charakteri- ſtik des Senats außer Acht gelaſſen werden dürfte. Selbſt für die Zeiten, als der Senat den Gipfel ſeiner Macht erreicht hatte, würde dies nicht zu billigen ſein, geſchweige für die frü- heren. Die praktiſche Realität jenes Moments zeigt ſich darin, daß in Wirklichkeit manche Fälle vorkamen, wo die Beamten nicht bloß die wichtigſten Maßregeln ohne Zuziehung des Se- nats aus eigener Machtvollkommenheit vornahmen, ſondern ſich auch mit der erklärten Meinung des Senats in Widerſpruch ſetzten, die Beſchlüſſe deſſelben mißachteten 451) (non esse in autoritate senatus), ohne daß eine ſolche Handlungsweiſe als illegal und nichtig, ja nur einmal ſtets als tadelnswerth ge- golten hätte. Hatte z. B. der Senat ſich durch Partheileiden- ſchaft zu ſeinem Beſchluß verleiten laſſen, 452) ſo warf das mo- raliſche Uebergewicht der öffentlichen Meinung ſich auf Seiten des Beamten, und letzterer trug formell wie moraliſch einen Sieg über den Senat davon. Abgeſehen hiervon aber hatte derſelbe dem Senat gegenüber einen ſchweren Stand, und bei einer Oppoſition in ſchlechter, dem Staat verderblicher Abſicht keine Ausſicht auf Erfolg. Denn wenn der Senat gleich rechtlich keine Gewalt über ihn hatte, ſo fehlte es ihm doch nicht an 451) Beiſpiele bei Appian. de bello civ. I, 19. Liv. XLII, 22. XLIII, 2. Rubino a. a. O. S. 128. Anm. 3 u. Laboulaye S. 34. 36. 452) Wie z. B. gegen den Poſtumius. Anm. 437, oder den Metellus,
Auct. de vir. illustr. c. 45 quum per calumniam triumphus ei a senatu negaretur, de sua sententia in Albano monte triumphavit. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0308" n="294"/><fw place="top" type="header">Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Grundtriebe. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Freiheitstrieb.</fw><lb/> ſchlüſſe in der Regel bei dem Conſul dieſelbe Beachtung fanden,<lb/> wie in der Kaiſerzeit die <hi rendition="#aq">orationes principis</hi> beim Senat, und<lb/> daß dem Effekt nach der Senat eine der einflußreichſten ſtaats-<lb/> rechtlichen Gewalten war, ungeachtet er der Form, der abſtract-<lb/> rechtlichen Stellung nach eine bloß berathende Stimme hatte.<lb/> Man darf aber die Sache nicht ſo anſehen, als ob das abſtract-<lb/> rechtliche Moment hier ein Begriff ohne alle praktiſche Realität<lb/> geweſen, ein Moment, das bei der ſtaatsrechtlichen Charakteri-<lb/> ſtik des Senats außer Acht gelaſſen werden dürfte. Selbſt für<lb/> die Zeiten, als der Senat den Gipfel ſeiner Macht erreicht<lb/> hatte, würde dies nicht zu billigen ſein, geſchweige für die frü-<lb/> heren. Die praktiſche Realität jenes Moments zeigt ſich darin,<lb/> daß in Wirklichkeit manche Fälle vorkamen, wo die Beamten<lb/> nicht bloß die wichtigſten Maßregeln ohne Zuziehung des Se-<lb/> nats aus eigener Machtvollkommenheit vornahmen, ſondern ſich<lb/> auch mit der erklärten Meinung des Senats in Widerſpruch<lb/> ſetzten, die Beſchlüſſe deſſelben mißachteten <note place="foot" n="451)">Beiſpiele bei <hi rendition="#aq">Appian. de bello civ. I, 19. Liv. XLII, 22. XLIII,</hi><lb/> 2. Rubino a. a. O. S. 128. Anm. 3 u. <hi rendition="#aq">Laboulaye</hi> S. 34. 36.</note> (<hi rendition="#aq">non esse in<lb/> autoritate senatus</hi>), ohne daß eine ſolche Handlungsweiſe als<lb/><hi rendition="#g">illegal</hi> und nichtig, ja nur einmal ſtets als tadelnswerth ge-<lb/> golten hätte. Hatte z. B. der Senat ſich durch Partheileiden-<lb/> ſchaft zu ſeinem Beſchluß verleiten laſſen, <note place="foot" n="452)">Wie z. B. gegen den Poſtumius. Anm. 437, oder den Metellus,<lb/><hi rendition="#aq">Auct. de vir. illustr. c. 45 quum per calumniam triumphus ei a senatu<lb/> negaretur, de sua sententia in Albano monte triumphavit.</hi></note> ſo warf das mo-<lb/> raliſche Uebergewicht der öffentlichen Meinung ſich auf Seiten<lb/> des Beamten, und letzterer trug formell wie moraliſch einen Sieg<lb/> über den Senat davon. Abgeſehen hiervon aber hatte derſelbe<lb/> dem Senat gegenüber einen ſchweren Stand, und bei einer<lb/> Oppoſition in ſchlechter, dem Staat verderblicher Abſicht keine<lb/> Ausſicht auf Erfolg. Denn wenn der Senat gleich rechtlich<lb/> keine Gewalt über ihn hatte, ſo fehlte es ihm doch nicht an<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [294/0308]
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ſchlüſſe in der Regel bei dem Conſul dieſelbe Beachtung fanden,
wie in der Kaiſerzeit die orationes principis beim Senat, und
daß dem Effekt nach der Senat eine der einflußreichſten ſtaats-
rechtlichen Gewalten war, ungeachtet er der Form, der abſtract-
rechtlichen Stellung nach eine bloß berathende Stimme hatte.
Man darf aber die Sache nicht ſo anſehen, als ob das abſtract-
rechtliche Moment hier ein Begriff ohne alle praktiſche Realität
geweſen, ein Moment, das bei der ſtaatsrechtlichen Charakteri-
ſtik des Senats außer Acht gelaſſen werden dürfte. Selbſt für
die Zeiten, als der Senat den Gipfel ſeiner Macht erreicht
hatte, würde dies nicht zu billigen ſein, geſchweige für die frü-
heren. Die praktiſche Realität jenes Moments zeigt ſich darin,
daß in Wirklichkeit manche Fälle vorkamen, wo die Beamten
nicht bloß die wichtigſten Maßregeln ohne Zuziehung des Se-
nats aus eigener Machtvollkommenheit vornahmen, ſondern ſich
auch mit der erklärten Meinung des Senats in Widerſpruch
ſetzten, die Beſchlüſſe deſſelben mißachteten 451) (non esse in
autoritate senatus), ohne daß eine ſolche Handlungsweiſe als
illegal und nichtig, ja nur einmal ſtets als tadelnswerth ge-
golten hätte. Hatte z. B. der Senat ſich durch Partheileiden-
ſchaft zu ſeinem Beſchluß verleiten laſſen, 452) ſo warf das mo-
raliſche Uebergewicht der öffentlichen Meinung ſich auf Seiten
des Beamten, und letzterer trug formell wie moraliſch einen Sieg
über den Senat davon. Abgeſehen hiervon aber hatte derſelbe
dem Senat gegenüber einen ſchweren Stand, und bei einer
Oppoſition in ſchlechter, dem Staat verderblicher Abſicht keine
Ausſicht auf Erfolg. Denn wenn der Senat gleich rechtlich
keine Gewalt über ihn hatte, ſo fehlte es ihm doch nicht an
451) Beiſpiele bei Appian. de bello civ. I, 19. Liv. XLII, 22. XLIII,
2. Rubino a. a. O. S. 128. Anm. 3 u. Laboulaye S. 34. 36.
452) Wie z. B. gegen den Poſtumius. Anm. 437, oder den Metellus,
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