Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

B. Stellung der Magistratur. -- Staatsrechtl. Praxis. §. 35.
Der einzige Weg, der zum Ziele führen kann, ist der, daß man
die römische staatsrechtliche Praxis ins Auge faßt. Dieser Weg
ist freilich ein unendlich weitläuftiger, und ich muß mich, wenn
ich den Zweck der Schrift nicht außer Acht lassen will, darauf
beschränken, einige Beispiele anzuführen, im übrigen aber auf
das eigne Studium jenes Gegenstandes verweisen.

Den Consuln war durch keine ausdrückliche gesetzliche Bestim-
mung vorgeschrieben, die Resultate der von ihnen abgehaltenen
Wahlcomitien zu proklamiren, es braucht aber kaum bemerkt zu
werden, daß dies nach dem Geist der Verfassung nicht Sache ihres
guten Willens sein konnte. Es mußte dies vielmehr als Pflicht
gelten, und diese Pflicht fand in der Praxis ihren Ausdruck;
ein Jahrhundert konnte vergehen, ohne daß ein Consul es ge-
wagt hätte, die Wahl zu verwerfen. Aber es war keine absolut
verbindende, keine eigentliche Rechtspflicht, sondern eine Pflicht
der Sitte; der Consul konnte sich weigern, ihr nachzukommen,
ohne daß man ihn einer Illegalität hätte zeihen können, und
einzelne derartige Fälle sind uns aufbewahrt (Anm. 416).

Die Consuln sollten vom Volk gewählt werden; dies war
aber nicht absolut Rechtens, sondern nur Herkommen. So
konnte es denn in Nothfällen vorkommen, daß die bisherigen
Consuln ohne Wahl von Seiten des Volks ihre Nachfolger
proklamirten. 434) Ebenso war es ganz entschieden gegen das
Herkommen, daß die Magistrate sich ihr Amt prolongiren ließen,
allein während des punischen Krieges setzte sich ein Consul in

rechtlicher Art. Bei einer so bekannten Sache bedarf es kaum der Zeugnisse;
beispielsweise verweise ich auf Cie. de leg. II, 24. de offic. I, 35. II, 19. Gel-
lius V,
19. Dürfte man auf das durch Servius uns aufbewahrte Zeugniß
des Varro Gewicht legen, so würde gar mos nur die Sitte in unserem Sinn,
consuetudo aber die Steigerung derselben zum eigentlichen Gewohnheitsrecht
ausdrücken. Serv. ad Aeneid. VII, 601: morem esse communem con-
sensum omnium simul habitantium, qui inveteratus consuetudi-
nem facit
.
434) Liv. epit. lib. 80.
Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 19

B. Stellung der Magiſtratur. — Staatsrechtl. Praxis. §. 35.
Der einzige Weg, der zum Ziele führen kann, iſt der, daß man
die römiſche ſtaatsrechtliche Praxis ins Auge faßt. Dieſer Weg
iſt freilich ein unendlich weitläuftiger, und ich muß mich, wenn
ich den Zweck der Schrift nicht außer Acht laſſen will, darauf
beſchränken, einige Beiſpiele anzuführen, im übrigen aber auf
das eigne Studium jenes Gegenſtandes verweiſen.

Den Conſuln war durch keine ausdrückliche geſetzliche Beſtim-
mung vorgeſchrieben, die Reſultate der von ihnen abgehaltenen
Wahlcomitien zu proklamiren, es braucht aber kaum bemerkt zu
werden, daß dies nach dem Geiſt der Verfaſſung nicht Sache ihres
guten Willens ſein konnte. Es mußte dies vielmehr als Pflicht
gelten, und dieſe Pflicht fand in der Praxis ihren Ausdruck;
ein Jahrhundert konnte vergehen, ohne daß ein Conſul es ge-
wagt hätte, die Wahl zu verwerfen. Aber es war keine abſolut
verbindende, keine eigentliche Rechtspflicht, ſondern eine Pflicht
der Sitte; der Conſul konnte ſich weigern, ihr nachzukommen,
ohne daß man ihn einer Illegalität hätte zeihen können, und
einzelne derartige Fälle ſind uns aufbewahrt (Anm. 416).

Die Conſuln ſollten vom Volk gewählt werden; dies war
aber nicht abſolut Rechtens, ſondern nur Herkommen. So
konnte es denn in Nothfällen vorkommen, daß die bisherigen
Conſuln ohne Wahl von Seiten des Volks ihre Nachfolger
proklamirten. 434) Ebenſo war es ganz entſchieden gegen das
Herkommen, daß die Magiſtrate ſich ihr Amt prolongiren ließen,
allein während des puniſchen Krieges ſetzte ſich ein Conſul in

rechtlicher Art. Bei einer ſo bekannten Sache bedarf es kaum der Zeugniſſe;
beiſpielsweiſe verweiſe ich auf Cie. de leg. II, 24. de offic. I, 35. II, 19. Gel-
lius V,
19. Dürfte man auf das durch Servius uns aufbewahrte Zeugniß
des Varro Gewicht legen, ſo würde gar mos nur die Sitte in unſerem Sinn,
consuetudo aber die Steigerung derſelben zum eigentlichen Gewohnheitsrecht
ausdrücken. Serv. ad Aeneid. VII, 601: morem esse communem con-
sensum omnium simul habitantium, qui inveteratus consuetudi-
nem facit
.
434) Liv. epit. lib. 80.
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 19
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0303" n="289"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">B.</hi> Stellung der Magi&#x017F;tratur. &#x2014; Staatsrechtl. Praxis. §. 35.</fw><lb/>
Der einzige Weg, der zum Ziele führen kann, i&#x017F;t der, daß man<lb/>
die römi&#x017F;che &#x017F;taatsrechtliche Praxis ins Auge faßt. Die&#x017F;er Weg<lb/>
i&#x017F;t freilich ein unendlich weitläuftiger, und ich muß mich, wenn<lb/>
ich den Zweck der Schrift nicht außer Acht la&#x017F;&#x017F;en will, darauf<lb/>
be&#x017F;chränken, einige Bei&#x017F;piele anzuführen, im übrigen aber auf<lb/>
das eigne Studium jenes Gegen&#x017F;tandes verwei&#x017F;en.</p><lb/>
                    <p>Den Con&#x017F;uln war durch keine ausdrückliche ge&#x017F;etzliche Be&#x017F;tim-<lb/>
mung vorge&#x017F;chrieben, die Re&#x017F;ultate der von ihnen abgehaltenen<lb/>
Wahlcomitien zu proklamiren, es braucht aber kaum bemerkt zu<lb/>
werden, daß dies nach dem Gei&#x017F;t der Verfa&#x017F;&#x017F;ung nicht Sache ihres<lb/>
guten Willens &#x017F;ein konnte. Es mußte dies vielmehr als <hi rendition="#g">Pflicht</hi><lb/>
gelten, und die&#x017F;e Pflicht fand in der Praxis ihren Ausdruck;<lb/>
ein Jahrhundert konnte vergehen, ohne daß ein Con&#x017F;ul es ge-<lb/>
wagt hätte, die Wahl zu verwerfen. Aber es war keine ab&#x017F;olut<lb/>
verbindende, keine eigentliche Rechtspflicht, &#x017F;ondern eine Pflicht<lb/>
der Sitte; der Con&#x017F;ul konnte &#x017F;ich weigern, ihr nachzukommen,<lb/>
ohne daß man ihn einer Illegalität hätte zeihen können, und<lb/>
einzelne derartige Fälle &#x017F;ind uns aufbewahrt (Anm. 416).</p><lb/>
                    <p>Die Con&#x017F;uln &#x017F;ollten vom Volk gewählt werden; dies war<lb/>
aber nicht ab&#x017F;olut Rechtens, &#x017F;ondern nur Herkommen. So<lb/>
konnte es denn in Nothfällen vorkommen, daß die bisherigen<lb/>
Con&#x017F;uln ohne Wahl von Seiten des Volks ihre Nachfolger<lb/>
proklamirten. <note place="foot" n="434)"><hi rendition="#aq">Liv. epit. lib.</hi> 80.</note> Eben&#x017F;o war es ganz ent&#x017F;chieden gegen das<lb/>
Herkommen, daß die Magi&#x017F;trate &#x017F;ich ihr Amt prolongiren ließen,<lb/>
allein während des puni&#x017F;chen Krieges &#x017F;etzte &#x017F;ich ein Con&#x017F;ul in<lb/><note xml:id="seg2pn_44_2" prev="#seg2pn_44_1" place="foot" n="433)">rechtlicher Art. Bei einer &#x017F;o bekannten Sache bedarf es kaum der Zeugni&#x017F;&#x017F;e;<lb/>
bei&#x017F;pielswei&#x017F;e verwei&#x017F;e ich auf <hi rendition="#aq">Cie. de leg. II, 24. de offic. I, 35. II, 19. Gel-<lb/>
lius V,</hi> 19. Dürfte man auf das durch Servius uns aufbewahrte Zeugniß<lb/>
des Varro Gewicht legen, &#x017F;o würde gar <hi rendition="#aq">mos</hi> nur die Sitte in un&#x017F;erem Sinn,<lb/><hi rendition="#aq">consuetudo</hi> aber die Steigerung der&#x017F;elben zum eigentlichen Gewohnheitsrecht<lb/>
ausdrücken. <hi rendition="#aq">Serv. ad Aeneid. VII, 601: morem esse communem con-<lb/>
sensum omnium simul habitantium, qui <hi rendition="#g">inveteratus consuetudi-<lb/>
nem facit</hi>.</hi></note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Jhering, Gei&#x017F;t d. röm. Rechts. <hi rendition="#aq">II.</hi> 19</fw><lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[289/0303] B. Stellung der Magiſtratur. — Staatsrechtl. Praxis. §. 35. Der einzige Weg, der zum Ziele führen kann, iſt der, daß man die römiſche ſtaatsrechtliche Praxis ins Auge faßt. Dieſer Weg iſt freilich ein unendlich weitläuftiger, und ich muß mich, wenn ich den Zweck der Schrift nicht außer Acht laſſen will, darauf beſchränken, einige Beiſpiele anzuführen, im übrigen aber auf das eigne Studium jenes Gegenſtandes verweiſen. Den Conſuln war durch keine ausdrückliche geſetzliche Beſtim- mung vorgeſchrieben, die Reſultate der von ihnen abgehaltenen Wahlcomitien zu proklamiren, es braucht aber kaum bemerkt zu werden, daß dies nach dem Geiſt der Verfaſſung nicht Sache ihres guten Willens ſein konnte. Es mußte dies vielmehr als Pflicht gelten, und dieſe Pflicht fand in der Praxis ihren Ausdruck; ein Jahrhundert konnte vergehen, ohne daß ein Conſul es ge- wagt hätte, die Wahl zu verwerfen. Aber es war keine abſolut verbindende, keine eigentliche Rechtspflicht, ſondern eine Pflicht der Sitte; der Conſul konnte ſich weigern, ihr nachzukommen, ohne daß man ihn einer Illegalität hätte zeihen können, und einzelne derartige Fälle ſind uns aufbewahrt (Anm. 416). Die Conſuln ſollten vom Volk gewählt werden; dies war aber nicht abſolut Rechtens, ſondern nur Herkommen. So konnte es denn in Nothfällen vorkommen, daß die bisherigen Conſuln ohne Wahl von Seiten des Volks ihre Nachfolger proklamirten. 434) Ebenſo war es ganz entſchieden gegen das Herkommen, daß die Magiſtrate ſich ihr Amt prolongiren ließen, allein während des puniſchen Krieges ſetzte ſich ein Conſul in 433) 434) Liv. epit. lib. 80. 433) rechtlicher Art. Bei einer ſo bekannten Sache bedarf es kaum der Zeugniſſe; beiſpielsweiſe verweiſe ich auf Cie. de leg. II, 24. de offic. I, 35. II, 19. Gel- lius V, 19. Dürfte man auf das durch Servius uns aufbewahrte Zeugniß des Varro Gewicht legen, ſo würde gar mos nur die Sitte in unſerem Sinn, consuetudo aber die Steigerung derſelben zum eigentlichen Gewohnheitsrecht ausdrücken. Serv. ad Aeneid. VII, 601: morem esse communem con- sensum omnium simul habitantium, qui inveteratus consuetudi- nem facit. Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 19

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/303
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/303>, abgerufen am 22.11.2024.