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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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B. Stellung der Magistratur. -- Machtfülle. §. 35.
und Polybius konnte die Bemerkung machen, daß der römische
Staat, wenn man die Magistraturen ins Auge fasse, den Ein-
druck einer Monarchie mache.412) Die Machtfülle, mit der das
Beamtenthum von altersher ausgestattet war, blieb seit dem
vierten Jahrhundert bis zu Ende der Republik nicht bloß unver-
mindert, sondern auch völlig unangefochten bestehen; denn die
Demokratie gefiel sich hier nicht, wie bei uns, darin, die Macht
der Regierung zu schwächen und die Autorität des Beamten-
thums im vermeintlichen Interesse der Volkssouveränetät herab-
zusetzen. Wie günstig der Boden für das Gedeihen der Macht
der Beamten war, zeigte sich namentlich daran, daß es den Ma-
gistraturen, die erst seit Anfang des vierten Jahrhunderts ins
Leben gerufen wurden, möglich war, ihr ursprüngliches Macht-
gebiet ohne Hülfe der gesetzgebenden Gewalt bloß durch eigene
Kraft im weitesten Maße auszudehnen.

Diese Popularität der Gewalt und diese Autorität des Be-
amtenthums in Rom erklärt sich zur Genüge aus dem angebor-
nen Sinn der Römer für Macht, Disciplin und Unterordnung,
und es thut nicht Noth, zur Erklärung dieser Thatsache zu dem
Königthum zurückzugreifen. Es gibt bekanntlich eine Auffassung
des römischen Königthums, die in demselben eine theokratische
Institution, ein Hohenpriesterthum erblickt, ja, bei der Betrach-
tung desselben in eine Art von religiöser Verzückung geräth.413)
Von der Idee ausgehend, als ob die einfach sittlich-natürliche
Anschauung der Verhältnisse es nicht zu dem Gedanken der
Nothwendigkeit der Autorität und Obrigkeit zu bringen ver-
möge, hat sie hier nun jenes Königthum zu Hülfe genommen,
um die Magistratur daran anzulehnen und sie auf diese Weise
mit dem Nimbus göttlicher Weihe auszustatten. Selbst wenn
ich den Glauben an jenes Königthum theilen würde, so könnte

412) VI. 11, 5. 12, 9.
413) Gerlach u. Bachofen. Geschichte der Römer. B. 1. Abth. 2.
Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 18

B. Stellung der Magiſtratur. — Machtfülle. §. 35.
und Polybius konnte die Bemerkung machen, daß der römiſche
Staat, wenn man die Magiſtraturen ins Auge faſſe, den Ein-
druck einer Monarchie mache.412) Die Machtfülle, mit der das
Beamtenthum von altersher ausgeſtattet war, blieb ſeit dem
vierten Jahrhundert bis zu Ende der Republik nicht bloß unver-
mindert, ſondern auch völlig unangefochten beſtehen; denn die
Demokratie gefiel ſich hier nicht, wie bei uns, darin, die Macht
der Regierung zu ſchwächen und die Autorität des Beamten-
thums im vermeintlichen Intereſſe der Volksſouveränetät herab-
zuſetzen. Wie günſtig der Boden für das Gedeihen der Macht
der Beamten war, zeigte ſich namentlich daran, daß es den Ma-
giſtraturen, die erſt ſeit Anfang des vierten Jahrhunderts ins
Leben gerufen wurden, möglich war, ihr urſprüngliches Macht-
gebiet ohne Hülfe der geſetzgebenden Gewalt bloß durch eigene
Kraft im weiteſten Maße auszudehnen.

Dieſe Popularität der Gewalt und dieſe Autorität des Be-
amtenthums in Rom erklärt ſich zur Genüge aus dem angebor-
nen Sinn der Römer für Macht, Disciplin und Unterordnung,
und es thut nicht Noth, zur Erklärung dieſer Thatſache zu dem
Königthum zurückzugreifen. Es gibt bekanntlich eine Auffaſſung
des römiſchen Königthums, die in demſelben eine theokratiſche
Inſtitution, ein Hohenprieſterthum erblickt, ja, bei der Betrach-
tung deſſelben in eine Art von religiöſer Verzückung geräth.413)
Von der Idee ausgehend, als ob die einfach ſittlich-natürliche
Anſchauung der Verhältniſſe es nicht zu dem Gedanken der
Nothwendigkeit der Autorität und Obrigkeit zu bringen ver-
möge, hat ſie hier nun jenes Königthum zu Hülfe genommen,
um die Magiſtratur daran anzulehnen und ſie auf dieſe Weiſe
mit dem Nimbus göttlicher Weihe auszuſtatten. Selbſt wenn
ich den Glauben an jenes Königthum theilen würde, ſo könnte

412) VI. 11, 5. 12, 9.
413) Gerlach u. Bachofen. Geſchichte der Römer. B. 1. Abth. 2.
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 18
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[273/0287] B. Stellung der Magiſtratur. — Machtfülle. §. 35. und Polybius konnte die Bemerkung machen, daß der römiſche Staat, wenn man die Magiſtraturen ins Auge faſſe, den Ein- druck einer Monarchie mache. 412) Die Machtfülle, mit der das Beamtenthum von altersher ausgeſtattet war, blieb ſeit dem vierten Jahrhundert bis zu Ende der Republik nicht bloß unver- mindert, ſondern auch völlig unangefochten beſtehen; denn die Demokratie gefiel ſich hier nicht, wie bei uns, darin, die Macht der Regierung zu ſchwächen und die Autorität des Beamten- thums im vermeintlichen Intereſſe der Volksſouveränetät herab- zuſetzen. Wie günſtig der Boden für das Gedeihen der Macht der Beamten war, zeigte ſich namentlich daran, daß es den Ma- giſtraturen, die erſt ſeit Anfang des vierten Jahrhunderts ins Leben gerufen wurden, möglich war, ihr urſprüngliches Macht- gebiet ohne Hülfe der geſetzgebenden Gewalt bloß durch eigene Kraft im weiteſten Maße auszudehnen. Dieſe Popularität der Gewalt und dieſe Autorität des Be- amtenthums in Rom erklärt ſich zur Genüge aus dem angebor- nen Sinn der Römer für Macht, Disciplin und Unterordnung, und es thut nicht Noth, zur Erklärung dieſer Thatſache zu dem Königthum zurückzugreifen. Es gibt bekanntlich eine Auffaſſung des römiſchen Königthums, die in demſelben eine theokratiſche Inſtitution, ein Hohenprieſterthum erblickt, ja, bei der Betrach- tung deſſelben in eine Art von religiöſer Verzückung geräth. 413) Von der Idee ausgehend, als ob die einfach ſittlich-natürliche Anſchauung der Verhältniſſe es nicht zu dem Gedanken der Nothwendigkeit der Autorität und Obrigkeit zu bringen ver- möge, hat ſie hier nun jenes Königthum zu Hülfe genommen, um die Magiſtratur daran anzulehnen und ſie auf dieſe Weiſe mit dem Nimbus göttlicher Weihe auszuſtatten. Selbſt wenn ich den Glauben an jenes Königthum theilen würde, ſo könnte 412) VI. 11, 5. 12, 9. 413) Gerlach u. Bachofen. Geſchichte der Römer. B. 1. Abth. 2. Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 18

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/287>, abgerufen am 25.11.2024.