Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.Zweites Buch. Erster Abschnitt. Allgem. Charakteristik. man in offener Weise nicht zu verletzen wagte, und die erst ex-plodirt, wenn der Urheber selbst in Sicherheit ist und unter den Folgen nicht mehr zu leiden braucht. In der Kaiserzeit dienten sie oft in dieser Weise; ein in ostensibler Weise mündlich errich- tetes Testament bedachte die Personen, deren Gunst man sich erwerben wollte, ein hinterher errichtetes schriftliches hob, ohne daß sie etwas davon erfuhren, das frühere wieder auf, oder man versicherte diese Personen der geschehenen Einsetzung, und erst der Tod enthüllte den ihnen gespielten Betrug. 8) Ich kann nicht unterlassen, noch auf zwei Einrichtungen auf- 8) Schon dem August wurde ein ähnlicher Streich gespielt, wie Valerius Maximus lib. III c. 8 §. 6 mittheilt, woselbst noch mehre derartige ächte Schurkenstreiche berichtet werden. 9) Mit dem vielleicht auch die für die Bürgschaft im ältern Recht vorge-
schriebene öffentliche Verkündigung zusammenhängt. S. Note 5. Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. Allgem. Charakteriſtik. man in offener Weiſe nicht zu verletzen wagte, und die erſt ex-plodirt, wenn der Urheber ſelbſt in Sicherheit iſt und unter den Folgen nicht mehr zu leiden braucht. In der Kaiſerzeit dienten ſie oft in dieſer Weiſe; ein in oſtenſibler Weiſe mündlich errich- tetes Teſtament bedachte die Perſonen, deren Gunſt man ſich erwerben wollte, ein hinterher errichtetes ſchriftliches hob, ohne daß ſie etwas davon erfuhren, das frühere wieder auf, oder man verſicherte dieſe Perſonen der geſchehenen Einſetzung, und erſt der Tod enthüllte den ihnen geſpielten Betrug. 8) Ich kann nicht unterlaſſen, noch auf zwei Einrichtungen auf- 8) Schon dem Auguſt wurde ein ähnlicher Streich geſpielt, wie Valerius Maximus lib. III c. 8 §. 6 mittheilt, woſelbſt noch mehre derartige ächte Schurkenſtreiche berichtet werden. 9) Mit dem vielleicht auch die für die Bürgſchaft im ältern Recht vorge-
ſchriebene öffentliche Verkündigung zuſammenhängt. S. Note 5. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0028" n="14"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. Allgem. Charakteriſtik.</fw><lb/> man in offener Weiſe nicht zu verletzen wagte, und die erſt ex-<lb/> plodirt, wenn der Urheber ſelbſt in Sicherheit iſt und unter den<lb/> Folgen nicht mehr zu leiden braucht. In der Kaiſerzeit dienten<lb/> ſie oft in dieſer Weiſe; ein in oſtenſibler Weiſe mündlich errich-<lb/> tetes Teſtament bedachte die Perſonen, deren Gunſt man ſich<lb/> erwerben wollte, ein hinterher errichtetes ſchriftliches hob, ohne<lb/> daß ſie etwas davon erfuhren, das frühere wieder auf, oder man<lb/> verſicherte dieſe Perſonen der geſchehenen Einſetzung, und erſt<lb/> der Tod enthüllte den ihnen geſpielten Betrug. <note place="foot" n="8)">Schon dem Auguſt wurde ein ähnlicher Streich geſpielt, wie <hi rendition="#aq">Valerius<lb/> Maximus lib. III c.</hi> 8 §. 6 mittheilt, woſelbſt noch mehre derartige ächte<lb/> Schurkenſtreiche berichtet werden.</note></p><lb/> <p>Ich kann nicht unterlaſſen, noch auf zwei Einrichtungen auf-<lb/> merkſam zu machen, die beide — nur in verſchiedenen Regionen<lb/> — dieſelbe Beſtimmung haben, nämlich die Cenſusrollen und<lb/> die Hausbücher. Beide ſind hervorgegangen aus dem großen<lb/> Ordnungsſinn der Römer, und gehören inſofern hierher, als die<lb/> Cenſusrollen den Stand des Privatvermögens zur Kenntniß<lb/> des Staats bringen, die Hausbücher aber dem Eigenthümer<lb/> ſelbſt und unter Umſtänden auch dritten Perſonen eine beſtän-<lb/> dige Einſicht und Ueberſicht ſeiner Vermögensverhältniſſe ge-<lb/> währen. Solche Einrichtungen gedeihen nur bei allgemeiner<lb/> Gewiſſenhaftigkeit und Ehrlichkeit, ſie ſetzen Vertrauen und Zu-<lb/> verläßigkeit voraus; wo dieſe Eigenſchaften in der Maſſe fehlen,<lb/> wo man Urſache hat, das Tageslicht zu ſcheuen, erfüllen ſie<lb/> nicht ihren Zweck. Für das Syſtem des Perſonalcredits <note place="foot" n="9)">Mit dem vielleicht auch die für die Bürgſchaft im ältern Recht vorge-<lb/> ſchriebene öffentliche Verkündigung zuſammenhängt. S. Note 5.</note> haben<lb/> ſie ohne Zweifel eine große Bedeutung gehabt, und man darf<lb/> gewiß in dem allmähligen äußerlichen und innerlichen Abſterben<lb/> beider Einrichtungen die vorzüglichſten Urſachen erblicken, denen<lb/> das Realcredit-Syſtem ſeine in ſpäterer Zeit immer mehr Ueber-<lb/> hand nehmende Bedeutung und entſchiedene Präponderanz ver-<lb/> dankt. Letzteres iſt ebenſo ſehr wie die Heimlichkeit der Abſtim-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [14/0028]
Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. Allgem. Charakteriſtik.
man in offener Weiſe nicht zu verletzen wagte, und die erſt ex-
plodirt, wenn der Urheber ſelbſt in Sicherheit iſt und unter den
Folgen nicht mehr zu leiden braucht. In der Kaiſerzeit dienten
ſie oft in dieſer Weiſe; ein in oſtenſibler Weiſe mündlich errich-
tetes Teſtament bedachte die Perſonen, deren Gunſt man ſich
erwerben wollte, ein hinterher errichtetes ſchriftliches hob, ohne
daß ſie etwas davon erfuhren, das frühere wieder auf, oder man
verſicherte dieſe Perſonen der geſchehenen Einſetzung, und erſt
der Tod enthüllte den ihnen geſpielten Betrug. 8)
Ich kann nicht unterlaſſen, noch auf zwei Einrichtungen auf-
merkſam zu machen, die beide — nur in verſchiedenen Regionen
— dieſelbe Beſtimmung haben, nämlich die Cenſusrollen und
die Hausbücher. Beide ſind hervorgegangen aus dem großen
Ordnungsſinn der Römer, und gehören inſofern hierher, als die
Cenſusrollen den Stand des Privatvermögens zur Kenntniß
des Staats bringen, die Hausbücher aber dem Eigenthümer
ſelbſt und unter Umſtänden auch dritten Perſonen eine beſtän-
dige Einſicht und Ueberſicht ſeiner Vermögensverhältniſſe ge-
währen. Solche Einrichtungen gedeihen nur bei allgemeiner
Gewiſſenhaftigkeit und Ehrlichkeit, ſie ſetzen Vertrauen und Zu-
verläßigkeit voraus; wo dieſe Eigenſchaften in der Maſſe fehlen,
wo man Urſache hat, das Tageslicht zu ſcheuen, erfüllen ſie
nicht ihren Zweck. Für das Syſtem des Perſonalcredits 9) haben
ſie ohne Zweifel eine große Bedeutung gehabt, und man darf
gewiß in dem allmähligen äußerlichen und innerlichen Abſterben
beider Einrichtungen die vorzüglichſten Urſachen erblicken, denen
das Realcredit-Syſtem ſeine in ſpäterer Zeit immer mehr Ueber-
hand nehmende Bedeutung und entſchiedene Präponderanz ver-
dankt. Letzteres iſt ebenſo ſehr wie die Heimlichkeit der Abſtim-
8) Schon dem Auguſt wurde ein ähnlicher Streich geſpielt, wie Valerius
Maximus lib. III c. 8 §. 6 mittheilt, woſelbſt noch mehre derartige ächte
Schurkenſtreiche berichtet werden.
9) Mit dem vielleicht auch die für die Bürgſchaft im ältern Recht vorge-
ſchriebene öffentliche Verkündigung zuſammenhängt. S. Note 5.
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