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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
wohl gar einen völligen Stillstand der Cultur. Daß aber jene
Bewirthschaftungsmethode für kleinere Grundstücke, die nur den
Mann selbst nährten, die Haltung eines Sklaven also weder
erforderten, noch ertrugen, ebenso unanwendbar, wie sie für
größere Güter geboten war, braucht kaum gesagt zu werden.

Diese Eine Differenz war nun äußerst folgenreich. Es ist be-
kannt, daß jeder Ausfall in der Aerndte ein Steigen der Preise zur
Folge hat. Die Entwicklung des heutigen Handels, die Sicher-
heit, Raschheit, Leichtigkeit unseres Transportsystems bewirken,
daß diese Steigerung sich heutzutage über die weitesten Kreise ver-
theilt und dadurch für die von dem Ausfall betroffenen Gegen-
den verhältnißmäßig auf ein Minimum reducirt wird. Ganz
anders im Alterthum. Der Kornhandel ward allerdings auch
damals schon mit einer gewissen Großartigkeit betrieben, aber
er hatte doch weder die Universalität hinsichtlich seiner Ausdeh-
nung, noch auch die innere Organisation gewonnen, daß er eine
solche wohlthätige Wirkung in größerm Maßstabe hätte aus-
üben können. Der Kornwucher, der heutzutage durch die mo-
derne Gestalt des Kornhandels in die engsten Gränzen einge-
schlossen ist, konnte sich aus dem Grunde im Alterthum zu
furchtbarer Höhe steigern. 364) Dazu kam ganz abgesehn von
der Unvollkommenheit des Transportsystems die völkerrechtliche
Unsicherheit des Handels, die letzteren verhinderte mit so ge-
ringen Kosten und mit der Regelmäßigkeit und Sicherheit zu
operiren, wie es der heutige Kornhandel kann. Daher dann der
lokale Charakter der Theuerungen und das enorme und fast un-
glaubliche Schwanken der Getraidepreise. 365)

364) S. darüber z. B. Böckh Staatshaushaltung der Athener Bd. 1,
Buch 1. §. 15 (der ersten Ausg.; die zweite ist mir nicht zur Hand).
365) Hinsichtlich Griechenland ist dies von Böckh a. a. O. nachgewiesen.
In Athen, wo der Medimnus unter Solon 1 Drachme gekostet hatte, stieg
er einmal auf 16. Für Rom hat C. F. L. Schultz Grundlegung zu einer
gesch. Staatswissenschaft der Römer S. 502 u. fl. das Gegentheil behaup-
tet, allein für die ältere Zeit gewiß mit Unrecht. Allerdings trat späterhin in

Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
wohl gar einen völligen Stillſtand der Cultur. Daß aber jene
Bewirthſchaftungsmethode für kleinere Grundſtücke, die nur den
Mann ſelbſt nährten, die Haltung eines Sklaven alſo weder
erforderten, noch ertrugen, ebenſo unanwendbar, wie ſie für
größere Güter geboten war, braucht kaum geſagt zu werden.

Dieſe Eine Differenz war nun äußerſt folgenreich. Es iſt be-
kannt, daß jeder Ausfall in der Aerndte ein Steigen der Preiſe zur
Folge hat. Die Entwicklung des heutigen Handels, die Sicher-
heit, Raſchheit, Leichtigkeit unſeres Transportſyſtems bewirken,
daß dieſe Steigerung ſich heutzutage über die weiteſten Kreiſe ver-
theilt und dadurch für die von dem Ausfall betroffenen Gegen-
den verhältnißmäßig auf ein Minimum reducirt wird. Ganz
anders im Alterthum. Der Kornhandel ward allerdings auch
damals ſchon mit einer gewiſſen Großartigkeit betrieben, aber
er hatte doch weder die Univerſalität hinſichtlich ſeiner Ausdeh-
nung, noch auch die innere Organiſation gewonnen, daß er eine
ſolche wohlthätige Wirkung in größerm Maßſtabe hätte aus-
üben können. Der Kornwucher, der heutzutage durch die mo-
derne Geſtalt des Kornhandels in die engſten Gränzen einge-
ſchloſſen iſt, konnte ſich aus dem Grunde im Alterthum zu
furchtbarer Höhe ſteigern. 364) Dazu kam ganz abgeſehn von
der Unvollkommenheit des Transportſyſtems die völkerrechtliche
Unſicherheit des Handels, die letzteren verhinderte mit ſo ge-
ringen Koſten und mit der Regelmäßigkeit und Sicherheit zu
operiren, wie es der heutige Kornhandel kann. Daher dann der
lokale Charakter der Theuerungen und das enorme und faſt un-
glaubliche Schwanken der Getraidepreiſe. 365)

364) S. darüber z. B. Böckh Staatshaushaltung der Athener Bd. 1,
Buch 1. §. 15 (der erſten Ausg.; die zweite iſt mir nicht zur Hand).
365) Hinſichtlich Griechenland iſt dies von Böckh a. a. O. nachgewieſen.
In Athen, wo der Medimnus unter Solon 1 Drachme gekoſtet hatte, ſtieg
er einmal auf 16. Für Rom hat C. F. L. Schultz Grundlegung zu einer
geſch. Staatswiſſenſchaft der Römer S. 502 u. fl. das Gegentheil behaup-
tet, allein für die ältere Zeit gewiß mit Unrecht. Allerdings trat ſpäterhin in
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[244/0258] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. wohl gar einen völligen Stillſtand der Cultur. Daß aber jene Bewirthſchaftungsmethode für kleinere Grundſtücke, die nur den Mann ſelbſt nährten, die Haltung eines Sklaven alſo weder erforderten, noch ertrugen, ebenſo unanwendbar, wie ſie für größere Güter geboten war, braucht kaum geſagt zu werden. Dieſe Eine Differenz war nun äußerſt folgenreich. Es iſt be- kannt, daß jeder Ausfall in der Aerndte ein Steigen der Preiſe zur Folge hat. Die Entwicklung des heutigen Handels, die Sicher- heit, Raſchheit, Leichtigkeit unſeres Transportſyſtems bewirken, daß dieſe Steigerung ſich heutzutage über die weiteſten Kreiſe ver- theilt und dadurch für die von dem Ausfall betroffenen Gegen- den verhältnißmäßig auf ein Minimum reducirt wird. Ganz anders im Alterthum. Der Kornhandel ward allerdings auch damals ſchon mit einer gewiſſen Großartigkeit betrieben, aber er hatte doch weder die Univerſalität hinſichtlich ſeiner Ausdeh- nung, noch auch die innere Organiſation gewonnen, daß er eine ſolche wohlthätige Wirkung in größerm Maßſtabe hätte aus- üben können. Der Kornwucher, der heutzutage durch die mo- derne Geſtalt des Kornhandels in die engſten Gränzen einge- ſchloſſen iſt, konnte ſich aus dem Grunde im Alterthum zu furchtbarer Höhe ſteigern. 364) Dazu kam ganz abgeſehn von der Unvollkommenheit des Transportſyſtems die völkerrechtliche Unſicherheit des Handels, die letzteren verhinderte mit ſo ge- ringen Koſten und mit der Regelmäßigkeit und Sicherheit zu operiren, wie es der heutige Kornhandel kann. Daher dann der lokale Charakter der Theuerungen und das enorme und faſt un- glaubliche Schwanken der Getraidepreiſe. 365) 364) S. darüber z. B. Böckh Staatshaushaltung der Athener Bd. 1, Buch 1. §. 15 (der erſten Ausg.; die zweite iſt mir nicht zur Hand). 365) Hinſichtlich Griechenland iſt dies von Böckh a. a. O. nachgewieſen. In Athen, wo der Medimnus unter Solon 1 Drachme gekoſtet hatte, ſtieg er einmal auf 16. Für Rom hat C. F. L. Schultz Grundlegung zu einer geſch. Staatswiſſenſchaft der Römer S. 502 u. fl. das Gegentheil behaup- tet, allein für die ältere Zeit gewiß mit Unrecht. Allerdings trat ſpäterhin in

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/258>, abgerufen am 17.05.2024.