Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
dies aber in späterer Zeit! In demselben Maße, in dem die
beiden Hauptquellen, aus denen Rom seine Sklaven bezog, der
Krieg und der Sklavenhandel, sich aus der Nähe von Italien
entfernten und nach Asien, Afrika u. s. w. wandten, 246) wurde
der natürliche Abstand zwischen Herrn und Sklaven ein im-
mer größerer. Es war nicht eine bloße Verschiedenheit der
Sprache, Religion, Sitte u. s. w., die beide trennte, sondern
sehr häufig 247) die viel weitere Kluft zwischen Bildung und
Rohheit, zwischen Civilisation und Barbarei, eine Kluft, die
nicht blos die Annäherung zwischen Herrn und Sklaven in
hohem Grade erschweren, sondern mit psychologischer Nothwen-
digkeit die im Charakter des Herrn etwa vorhandene Härte,
Schroffheit, Willkühr u. s. w. entfesseln mußte. Die Herr-
schaft über Völker wie Individuen wird überall einen verschie-
denen Charakter tragen, je nachdem die Beherrschten aus dem-
selben oder aus einem andern Stoffe sind, wie der Herrscher.
Der amerikanische Sklav würde ein ganz anderes Loos haben,
wenn er dieselbe Farbe trüge, wie sein Gebieter!

Ein zweites unendlich wichtiges Moment war der Umstand,
daß Kriegsgefangenschaft ursprünglich und lange Zeit
die hauptsächlichste Quelle der Sklaverei war. Von welchem
Einfluß dieser Umstand sein mußte, liegt auf der Hand. Ein-
mal nämlich galt hinsichtlich der Kriegsgefangenschaft völker-
rechtlich der Grundsatz der Reciprocität; die Römer erkannten

246) Gallus von Becker. Aufl. 2. von Rein. B. 2, S. 87 fl. (Abh.
von Rein).
247) Bei den griechischen Sklaven stellte sich das Verhältniß bekanntlich
oft gerade umgekehrt, aber der natürliche Einfluß der Bildung verläugnete
sich auch bei ihnen nicht. Zwischen einem feingebildeten griechischen Sklaven,
der dem Herrn als Vorleser, Sekretär, Erzieher seiner Kinder u. s. w. diente,
und einem rohen Barbaren, der nur zu knechtischen Dienstleistungen verwandt
werden konnte, war zwar im Recht kein Unterschied vorhanden, aber hin-
sichtlich ihrer faktischen Stellung ein ungeheurer.

Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
dies aber in ſpäterer Zeit! In demſelben Maße, in dem die
beiden Hauptquellen, aus denen Rom ſeine Sklaven bezog, der
Krieg und der Sklavenhandel, ſich aus der Nähe von Italien
entfernten und nach Aſien, Afrika u. ſ. w. wandten, 246) wurde
der natürliche Abſtand zwiſchen Herrn und Sklaven ein im-
mer größerer. Es war nicht eine bloße Verſchiedenheit der
Sprache, Religion, Sitte u. ſ. w., die beide trennte, ſondern
ſehr häufig 247) die viel weitere Kluft zwiſchen Bildung und
Rohheit, zwiſchen Civiliſation und Barbarei, eine Kluft, die
nicht blos die Annäherung zwiſchen Herrn und Sklaven in
hohem Grade erſchweren, ſondern mit pſychologiſcher Nothwen-
digkeit die im Charakter des Herrn etwa vorhandene Härte,
Schroffheit, Willkühr u. ſ. w. entfeſſeln mußte. Die Herr-
ſchaft über Völker wie Individuen wird überall einen verſchie-
denen Charakter tragen, je nachdem die Beherrſchten aus dem-
ſelben oder aus einem andern Stoffe ſind, wie der Herrſcher.
Der amerikaniſche Sklav würde ein ganz anderes Loos haben,
wenn er dieſelbe Farbe trüge, wie ſein Gebieter!

Ein zweites unendlich wichtiges Moment war der Umſtand,
daß Kriegsgefangenſchaft urſprünglich und lange Zeit
die hauptſächlichſte Quelle der Sklaverei war. Von welchem
Einfluß dieſer Umſtand ſein mußte, liegt auf der Hand. Ein-
mal nämlich galt hinſichtlich der Kriegsgefangenſchaft völker-
rechtlich der Grundſatz der Reciprocität; die Römer erkannten

246) Gallus von Becker. Aufl. 2. von Rein. B. 2, S. 87 fl. (Abh.
von Rein).
247) Bei den griechiſchen Sklaven ſtellte ſich das Verhältniß bekanntlich
oft gerade umgekehrt, aber der natürliche Einfluß der Bildung verläugnete
ſich auch bei ihnen nicht. Zwiſchen einem feingebildeten griechiſchen Sklaven,
der dem Herrn als Vorleſer, Sekretär, Erzieher ſeiner Kinder u. ſ. w. diente,
und einem rohen Barbaren, der nur zu knechtiſchen Dienſtleiſtungen verwandt
werden konnte, war zwar im Recht kein Unterſchied vorhanden, aber hin-
ſichtlich ihrer faktiſchen Stellung ein ungeheurer.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0194" n="180"/><fw place="top" type="header">Zweit. Buch. Er&#x017F;t. Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Grundtriebe. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Freiheitstrieb.</fw><lb/>
dies aber in &#x017F;päterer Zeit! In dem&#x017F;elben Maße, in dem die<lb/>
beiden Hauptquellen, aus denen Rom &#x017F;eine Sklaven bezog, der<lb/>
Krieg und der Sklavenhandel, &#x017F;ich aus der Nähe von Italien<lb/>
entfernten und nach A&#x017F;ien, Afrika u. &#x017F;. w. wandten, <note place="foot" n="246)">Gallus von Becker. Aufl. 2. von Rein. B. 2, S. 87 fl. (Abh.<lb/>
von Rein).</note> wurde<lb/>
der <hi rendition="#g">natürliche</hi> Ab&#x017F;tand zwi&#x017F;chen Herrn und Sklaven ein im-<lb/>
mer größerer. Es war nicht eine bloße Ver&#x017F;chiedenheit der<lb/>
Sprache, Religion, Sitte u. &#x017F;. w., die beide trennte, &#x017F;ondern<lb/>
&#x017F;ehr häufig <note place="foot" n="247)">Bei den griechi&#x017F;chen Sklaven &#x017F;tellte &#x017F;ich das Verhältniß bekanntlich<lb/>
oft gerade umgekehrt, aber der natürliche Einfluß der Bildung verläugnete<lb/>
&#x017F;ich auch bei ihnen nicht. Zwi&#x017F;chen einem feingebildeten griechi&#x017F;chen Sklaven,<lb/>
der dem Herrn als Vorle&#x017F;er, Sekretär, Erzieher &#x017F;einer Kinder u. &#x017F;. w. diente,<lb/>
und einem rohen Barbaren, der nur zu knechti&#x017F;chen Dien&#x017F;tlei&#x017F;tungen verwandt<lb/>
werden konnte, war zwar im <hi rendition="#g">Recht</hi> kein Unter&#x017F;chied vorhanden, aber hin-<lb/>
&#x017F;ichtlich ihrer fakti&#x017F;chen Stellung ein ungeheurer.</note> die viel weitere Kluft zwi&#x017F;chen Bildung und<lb/>
Rohheit, zwi&#x017F;chen Civili&#x017F;ation und Barbarei, eine Kluft, die<lb/>
nicht blos die Annäherung zwi&#x017F;chen Herrn und Sklaven in<lb/>
hohem Grade er&#x017F;chweren, &#x017F;ondern mit p&#x017F;ychologi&#x017F;cher Nothwen-<lb/>
digkeit die im Charakter des Herrn etwa vorhandene Härte,<lb/>
Schroffheit, Willkühr u. &#x017F;. w. entfe&#x017F;&#x017F;eln mußte. Die Herr-<lb/>
&#x017F;chaft über Völker wie Individuen wird überall einen ver&#x017F;chie-<lb/>
denen Charakter tragen, je nachdem die Beherr&#x017F;chten aus dem-<lb/>
&#x017F;elben oder aus einem andern Stoffe &#x017F;ind, wie der Herr&#x017F;cher.<lb/>
Der amerikani&#x017F;che Sklav würde ein ganz anderes Loos haben,<lb/>
wenn er die&#x017F;elbe Farbe trüge, wie &#x017F;ein Gebieter!</p><lb/>
                      <p>Ein zweites unendlich wichtiges Moment war der Um&#x017F;tand,<lb/>
daß <hi rendition="#g">Kriegsgefangen&#x017F;chaft</hi> ur&#x017F;prünglich und lange Zeit<lb/>
die haupt&#x017F;ächlich&#x017F;te Quelle der Sklaverei war. Von welchem<lb/>
Einfluß die&#x017F;er Um&#x017F;tand &#x017F;ein mußte, liegt auf der Hand. Ein-<lb/>
mal nämlich galt hin&#x017F;ichtlich der Kriegsgefangen&#x017F;chaft völker-<lb/>
rechtlich der Grund&#x017F;atz der Reciprocität; die Römer erkannten<lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0194] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. dies aber in ſpäterer Zeit! In demſelben Maße, in dem die beiden Hauptquellen, aus denen Rom ſeine Sklaven bezog, der Krieg und der Sklavenhandel, ſich aus der Nähe von Italien entfernten und nach Aſien, Afrika u. ſ. w. wandten, 246) wurde der natürliche Abſtand zwiſchen Herrn und Sklaven ein im- mer größerer. Es war nicht eine bloße Verſchiedenheit der Sprache, Religion, Sitte u. ſ. w., die beide trennte, ſondern ſehr häufig 247) die viel weitere Kluft zwiſchen Bildung und Rohheit, zwiſchen Civiliſation und Barbarei, eine Kluft, die nicht blos die Annäherung zwiſchen Herrn und Sklaven in hohem Grade erſchweren, ſondern mit pſychologiſcher Nothwen- digkeit die im Charakter des Herrn etwa vorhandene Härte, Schroffheit, Willkühr u. ſ. w. entfeſſeln mußte. Die Herr- ſchaft über Völker wie Individuen wird überall einen verſchie- denen Charakter tragen, je nachdem die Beherrſchten aus dem- ſelben oder aus einem andern Stoffe ſind, wie der Herrſcher. Der amerikaniſche Sklav würde ein ganz anderes Loos haben, wenn er dieſelbe Farbe trüge, wie ſein Gebieter! Ein zweites unendlich wichtiges Moment war der Umſtand, daß Kriegsgefangenſchaft urſprünglich und lange Zeit die hauptſächlichſte Quelle der Sklaverei war. Von welchem Einfluß dieſer Umſtand ſein mußte, liegt auf der Hand. Ein- mal nämlich galt hinſichtlich der Kriegsgefangenſchaft völker- rechtlich der Grundſatz der Reciprocität; die Römer erkannten 246) Gallus von Becker. Aufl. 2. von Rein. B. 2, S. 87 fl. (Abh. von Rein). 247) Bei den griechiſchen Sklaven ſtellte ſich das Verhältniß bekanntlich oft gerade umgekehrt, aber der natürliche Einfluß der Bildung verläugnete ſich auch bei ihnen nicht. Zwiſchen einem feingebildeten griechiſchen Sklaven, der dem Herrn als Vorleſer, Sekretär, Erzieher ſeiner Kinder u. ſ. w. diente, und einem rohen Barbaren, der nur zu knechtiſchen Dienſtleiſtungen verwandt werden konnte, war zwar im Recht kein Unterſchied vorhanden, aber hin- ſichtlich ihrer faktiſchen Stellung ein ungeheurer.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/194
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/194>, abgerufen am 03.05.2024.