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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
dieser 241) Gelegenheit Forderungen und Gegenforderungen an-
erkannt, der Sklav konnte also z. B., wenn es sich um die
Abtragung der ihm auferlegten Summe handelte, Auslagen für
den Erben, wie umgekehrt letzterer Vorschüsse u. s. w. in Anrech-
nung bringen. Die Zeugnisse, deren wir uns bedient haben,
gehören zwar erst dem spätern Recht an, das Verhältniß selbst
aber dem ältesten Recht. Die XII Tafeln enthielten bereits
eine darauf bezügliche Entscheidung, 242) und wenn immerhin
die vollständige civilistische Durchbildung des Verhältnisses erst
ein Werk späterer Zeiten sein mag, so läßt es sich auch für die
älteste Zeit in seinen wesentlichen Grundzügen nicht anders
denken, als es hier geschildert ist.

Was dies Verhältniß der bedingten Freilassung für un-
sern
Zweck besonders interessant macht, ist der Umstand, daß
hier die Sklaverei gewissermaßen über sich selbst hinausgeht,
die absolute Gewalt des Herrn über die Sache sich an letzterer
selbst bis zu einem gewissen Grade bricht. 243)

So das abstracte Recht der Sklaverei! Hält man sich nun
bloß hieran, wie es die herrschende Ansicht thut, so muß
man nothwendigerweise zu einem völlig verkehrten Urtheil
über dies Institut gelangen. So hat man sich das Loos eines
römischen Sklaven wie das eines heutigen Negersklaven vorge-
stellt 244) und sich zu der Annahme verleiten lassen, als ob das

241) Wie später bei der dem dritten System angehörenden act. de pe-
culio.
242) Ulp. fr. II. §. 4 .. emptori dando pecuniam ad libertatem per-
veniet idque lex XII tab. jubet. L. 25, L. 29 §. 1 de statul.
(40. 7).
243) Ein anderes Verhältniß, in dem in Einer Beziehung wenigstens die
absolute Rechtlosigkeit der Sklaven hintenangesetzt wurde, war das der servi
publici;
sie hatten nämlich das Recht über die Hälfte ihres Vermögens zu
testiren, Ulp. fr. XX. §. 16, aber schwerlich gehört diese Singularität schon
dem ältern Recht an.
244) z. B. Schweppe röm. Rechtsgesch. §. 343, der letzteres sogar noch

Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
dieſer 241) Gelegenheit Forderungen und Gegenforderungen an-
erkannt, der Sklav konnte alſo z. B., wenn es ſich um die
Abtragung der ihm auferlegten Summe handelte, Auslagen für
den Erben, wie umgekehrt letzterer Vorſchüſſe u. ſ. w. in Anrech-
nung bringen. Die Zeugniſſe, deren wir uns bedient haben,
gehören zwar erſt dem ſpätern Recht an, das Verhältniß ſelbſt
aber dem älteſten Recht. Die XII Tafeln enthielten bereits
eine darauf bezügliche Entſcheidung, 242) und wenn immerhin
die vollſtändige civiliſtiſche Durchbildung des Verhältniſſes erſt
ein Werk ſpäterer Zeiten ſein mag, ſo läßt es ſich auch für die
älteſte Zeit in ſeinen weſentlichen Grundzügen nicht anders
denken, als es hier geſchildert iſt.

Was dies Verhältniß der bedingten Freilaſſung für un-
ſern
Zweck beſonders intereſſant macht, iſt der Umſtand, daß
hier die Sklaverei gewiſſermaßen über ſich ſelbſt hinausgeht,
die abſolute Gewalt des Herrn über die Sache ſich an letzterer
ſelbſt bis zu einem gewiſſen Grade bricht. 243)

So das abſtracte Recht der Sklaverei! Hält man ſich nun
bloß hieran, wie es die herrſchende Anſicht thut, ſo muß
man nothwendigerweiſe zu einem völlig verkehrten Urtheil
über dies Inſtitut gelangen. So hat man ſich das Loos eines
römiſchen Sklaven wie das eines heutigen Negerſklaven vorge-
ſtellt 244) und ſich zu der Annahme verleiten laſſen, als ob das

241) Wie ſpäter bei der dem dritten Syſtem angehörenden act. de pe-
culio.
242) Ulp. fr. II. §. 4 .. emptori dando pecuniam ad libertatem per-
veniet idque lex XII tab. jubet. L. 25, L. 29 §. 1 de statul.
(40. 7).
243) Ein anderes Verhältniß, in dem in Einer Beziehung wenigſtens die
abſolute Rechtloſigkeit der Sklaven hintenangeſetzt wurde, war das der servi
publici;
ſie hatten nämlich das Recht über die Hälfte ihres Vermögens zu
teſtiren, Ulp. fr. XX. §. 16, aber ſchwerlich gehört dieſe Singularität ſchon
dem ältern Recht an.
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[178/0192] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. dieſer 241) Gelegenheit Forderungen und Gegenforderungen an- erkannt, der Sklav konnte alſo z. B., wenn es ſich um die Abtragung der ihm auferlegten Summe handelte, Auslagen für den Erben, wie umgekehrt letzterer Vorſchüſſe u. ſ. w. in Anrech- nung bringen. Die Zeugniſſe, deren wir uns bedient haben, gehören zwar erſt dem ſpätern Recht an, das Verhältniß ſelbſt aber dem älteſten Recht. Die XII Tafeln enthielten bereits eine darauf bezügliche Entſcheidung, 242) und wenn immerhin die vollſtändige civiliſtiſche Durchbildung des Verhältniſſes erſt ein Werk ſpäterer Zeiten ſein mag, ſo läßt es ſich auch für die älteſte Zeit in ſeinen weſentlichen Grundzügen nicht anders denken, als es hier geſchildert iſt. Was dies Verhältniß der bedingten Freilaſſung für un- ſern Zweck beſonders intereſſant macht, iſt der Umſtand, daß hier die Sklaverei gewiſſermaßen über ſich ſelbſt hinausgeht, die abſolute Gewalt des Herrn über die Sache ſich an letzterer ſelbſt bis zu einem gewiſſen Grade bricht. 243) So das abſtracte Recht der Sklaverei! Hält man ſich nun bloß hieran, wie es die herrſchende Anſicht thut, ſo muß man nothwendigerweiſe zu einem völlig verkehrten Urtheil über dies Inſtitut gelangen. So hat man ſich das Loos eines römiſchen Sklaven wie das eines heutigen Negerſklaven vorge- ſtellt 244) und ſich zu der Annahme verleiten laſſen, als ob das 241) Wie ſpäter bei der dem dritten Syſtem angehörenden act. de pe- culio. 242) Ulp. fr. II. §. 4 .. emptori dando pecuniam ad libertatem per- veniet idque lex XII tab. jubet. L. 25, L. 29 §. 1 de statul. (40. 7). 243) Ein anderes Verhältniß, in dem in Einer Beziehung wenigſtens die abſolute Rechtloſigkeit der Sklaven hintenangeſetzt wurde, war das der servi publici; ſie hatten nämlich das Recht über die Hälfte ihres Vermögens zu teſtiren, Ulp. fr. XX. §. 16, aber ſchwerlich gehört dieſe Singularität ſchon dem ältern Recht an. 244) z. B. Schweppe röm. Rechtsgeſch. §. 343, der letzteres ſogar noch

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/192>, abgerufen am 03.05.2024.