Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite
A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. §. 32.

Ich sagte: auch die spätere Geschichte der einzelnen Gewal-
ten weise auf die ursprüngliche Einheit hin. Dies nämlich in-
sofern, als man von der Richtung, in der sie später sich bewe-
gen, auf die frühere zurückschließen darf. Sie sind divergirende
Linien, die im Laufe der Zeit immer weiter aus einander gehen,
deren Entfernung im gegenwärtigen System aber noch eine sehr
unbedeutende ist. Verlängert man die Linien rückwärts, so
trifft man bald den Punkt, wo sie sich schneiden, -- den von
uns angenommenen gemeinsamen Ausgangspunkt der haus-
herrlichen Gewalt.

schen Familiengewalten wählen. Daß manus und munt etymologisch und
sachlich ursprünglich Zwillingsschwestern waren, scheint ihm nicht bekannt ge-
wesen zu sein; bei ihm erinnert nichts auch nur an die Denkbarkeit einer Aehn-
lichkeit zwischen beiden. "Die Natur des Herrschaftsverhältnisses, das der
Mann in der strengen Ehe über die Frau hat, spricht sich auch in dem tech-
nischen Wort manus aus, das eben nichts anderes bezeichnet, als die auf
der physischen Stärke des Arms beruhende faktische Herrschaft (und die
munt?!); die Ehefrau ist in manu mariti heißt wörtlich: sie ist in der
Hand des Mannes." Schrecklich! wer malt sich nicht mit Schaudern und
Grauen dieses Bild weiter aus?
Wie geht es nun aber der glücklicheren Schwester, der guten deutschen
Munt? In naiver Unbefangenheit hat sie ihre Abkunft und die eigentliche
Bedeutung ihres Namens vergessen, verräth uns also nicht mehr, daß auch
die Germanen ihre Frauen "in der Hand" gehabt haben (was sonst vielleicht
auf die Idee gebracht haben würde, daß die manus der Römer nicht minder
wie die Munt der Germanen nicht bloß zum Prügeln, sondern auch zum
Schützen verwandt worden sein mag). Die deutsche Munt hat das Glück
uns in einem Compositum erhalten zu sein, das für sie sofort das günstige Vor-
urtheil eines edlen sittlichen Charakters erweckte, in dem der Vormundschaft.
Das ist nun ein unendlich ergiebiges Moment zur Charakteristik des deutschen
Familienrechts. Dadurch nämlich, daß die väterliche Gewalt und die Ehe
vom Verf. als Fälle der Vormundschaft angeführt werden (S. 197, 202),
hat er sich mit diesem Einen Wort einen Born erschlossen, aus dem die
Charakteristik dieser Institute schöpfen kann, ohne etwas anderes nöthig zu
haben, hat er einen Ton angeschlagen, der in verwandten Ohren lange nach-
hallt und allein schon genügt, um das ganze Geklingel germanischer Sitt-
lichkeits-Melodien hervorzurufen. -- Ob ein solches Verfahren die Behand-
lung verdient, die ich demselben hier habe angedeihen lassen, glaube ich getrost
dem Urtheil des Lesers anheimstellen zu dürfen.
A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. §. 32.

Ich ſagte: auch die ſpätere Geſchichte der einzelnen Gewal-
ten weiſe auf die urſprüngliche Einheit hin. Dies nämlich in-
ſofern, als man von der Richtung, in der ſie ſpäter ſich bewe-
gen, auf die frühere zurückſchließen darf. Sie ſind divergirende
Linien, die im Laufe der Zeit immer weiter aus einander gehen,
deren Entfernung im gegenwärtigen Syſtem aber noch eine ſehr
unbedeutende iſt. Verlängert man die Linien rückwärts, ſo
trifft man bald den Punkt, wo ſie ſich ſchneiden, — den von
uns angenommenen gemeinſamen Ausgangspunkt der haus-
herrlichen Gewalt.

ſchen Familiengewalten wählen. Daß manus und munt etymologiſch und
ſachlich urſprünglich Zwillingsſchweſtern waren, ſcheint ihm nicht bekannt ge-
weſen zu ſein; bei ihm erinnert nichts auch nur an die Denkbarkeit einer Aehn-
lichkeit zwiſchen beiden. „Die Natur des Herrſchaftsverhältniſſes, das der
Mann in der ſtrengen Ehe über die Frau hat, ſpricht ſich auch in dem tech-
niſchen Wort manus aus, das eben nichts anderes bezeichnet, als die auf
der phyſiſchen Stärke des Arms beruhende faktiſche Herrſchaft (und die
munt?!); die Ehefrau iſt in manu mariti heißt wörtlich: ſie iſt in der
Hand des Mannes.“ Schrecklich! wer malt ſich nicht mit Schaudern und
Grauen dieſes Bild weiter aus?
Wie geht es nun aber der glücklicheren Schweſter, der guten deutſchen
Munt? In naiver Unbefangenheit hat ſie ihre Abkunft und die eigentliche
Bedeutung ihres Namens vergeſſen, verräth uns alſo nicht mehr, daß auch
die Germanen ihre Frauen „in der Hand“ gehabt haben (was ſonſt vielleicht
auf die Idee gebracht haben würde, daß die manus der Römer nicht minder
wie die Munt der Germanen nicht bloß zum Prügeln, ſondern auch zum
Schützen verwandt worden ſein mag). Die deutſche Munt hat das Glück
uns in einem Compoſitum erhalten zu ſein, das für ſie ſofort das günſtige Vor-
urtheil eines edlen ſittlichen Charakters erweckte, in dem der Vormundſchaft.
Das iſt nun ein unendlich ergiebiges Moment zur Charakteriſtik des deutſchen
Familienrechts. Dadurch nämlich, daß die väterliche Gewalt und die Ehe
vom Verf. als Fälle der Vormundſchaft angeführt werden (S. 197, 202),
hat er ſich mit dieſem Einen Wort einen Born erſchloſſen, aus dem die
Charakteriſtik dieſer Inſtitute ſchöpfen kann, ohne etwas anderes nöthig zu
haben, hat er einen Ton angeſchlagen, der in verwandten Ohren lange nach-
hallt und allein ſchon genügt, um das ganze Geklingel germaniſcher Sitt-
lichkeits-Melodien hervorzurufen. — Ob ein ſolches Verfahren die Behand-
lung verdient, die ich demſelben hier habe angedeihen laſſen, glaube ich getroſt
dem Urtheil des Leſers anheimſtellen zu dürfen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <pb facs="#f0185" n="171"/>
                    <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">A.</hi> Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. §. 32.</fw><lb/>
                    <p>Ich &#x017F;agte: auch die &#x017F;pätere Ge&#x017F;chichte der einzelnen Gewal-<lb/>
ten wei&#x017F;e auf die ur&#x017F;prüngliche Einheit hin. Dies nämlich in-<lb/>
&#x017F;ofern, als man von der Richtung, in der &#x017F;ie &#x017F;päter &#x017F;ich bewe-<lb/>
gen, auf die frühere zurück&#x017F;chließen darf. Sie &#x017F;ind divergirende<lb/>
Linien, die im Laufe der Zeit immer weiter aus einander gehen,<lb/>
deren Entfernung im gegenwärtigen Sy&#x017F;tem aber noch eine &#x017F;ehr<lb/>
unbedeutende i&#x017F;t. Verlängert man die Linien rückwärts, &#x017F;o<lb/>
trifft man bald den Punkt, wo &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;chneiden, &#x2014; den von<lb/>
uns angenommenen gemein&#x017F;amen Ausgangspunkt der haus-<lb/>
herrlichen Gewalt.</p><lb/>
                    <p>
                      <note xml:id="seg2pn_21_2" prev="#seg2pn_21_1" place="foot" n="223)">&#x017F;chen Familiengewalten wählen. Daß <hi rendition="#aq">manus</hi> und <hi rendition="#aq">munt</hi> etymologi&#x017F;ch und<lb/>
&#x017F;achlich ur&#x017F;prünglich Zwillings&#x017F;chwe&#x017F;tern waren, &#x017F;cheint ihm nicht bekannt ge-<lb/>
we&#x017F;en zu &#x017F;ein; bei ihm erinnert nichts auch nur an die Denkbarkeit einer Aehn-<lb/>
lichkeit zwi&#x017F;chen beiden. &#x201E;Die Natur des Herr&#x017F;chaftsverhältni&#x017F;&#x017F;es, das der<lb/>
Mann in der &#x017F;trengen Ehe über die Frau hat, &#x017F;pricht &#x017F;ich auch in dem tech-<lb/>
ni&#x017F;chen Wort <hi rendition="#aq">manus</hi> aus, das eben nichts anderes bezeichnet, als die auf<lb/>
der phy&#x017F;i&#x017F;chen Stärke des Arms beruhende fakti&#x017F;che Herr&#x017F;chaft (und die<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">munt</hi></hi>?!); die Ehefrau i&#x017F;t <hi rendition="#aq">in manu mariti</hi> heißt wörtlich: &#x017F;ie i&#x017F;t in der<lb/>
Hand des Mannes.&#x201C; Schrecklich! wer malt &#x017F;ich nicht mit Schaudern und<lb/>
Grauen die&#x017F;es Bild weiter aus?<lb/>
Wie geht es nun aber der glücklicheren Schwe&#x017F;ter, der guten deut&#x017F;chen<lb/>
Munt? In naiver Unbefangenheit hat &#x017F;ie ihre Abkunft und die eigentliche<lb/>
Bedeutung ihres Namens verge&#x017F;&#x017F;en, verräth uns al&#x017F;o nicht mehr, daß auch<lb/>
die Germanen ihre Frauen &#x201E;in der Hand&#x201C; gehabt haben (was &#x017F;on&#x017F;t vielleicht<lb/>
auf die Idee gebracht haben würde, daß die <hi rendition="#aq">manus</hi> der Römer nicht minder<lb/>
wie die Munt der Germanen nicht bloß zum Prügeln, &#x017F;ondern auch zum<lb/><hi rendition="#g">Schützen</hi> verwandt worden &#x017F;ein mag). Die deut&#x017F;che Munt hat das Glück<lb/>
uns in einem Compo&#x017F;itum erhalten zu &#x017F;ein, das für &#x017F;ie &#x017F;ofort das gün&#x017F;tige Vor-<lb/>
urtheil eines edlen &#x017F;ittlichen Charakters erweckte, in dem der Vormund&#x017F;chaft.<lb/>
Das i&#x017F;t nun ein unendlich ergiebiges Moment zur Charakteri&#x017F;tik des deut&#x017F;chen<lb/>
Familienrechts. Dadurch nämlich, daß die väterliche Gewalt und die Ehe<lb/>
vom Verf. als Fälle der Vormund&#x017F;chaft angeführt werden (S. 197, 202),<lb/>
hat er &#x017F;ich mit die&#x017F;em <hi rendition="#g">Einen</hi> Wort einen Born er&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, aus dem die<lb/>
Charakteri&#x017F;tik die&#x017F;er In&#x017F;titute &#x017F;chöpfen kann, ohne etwas anderes nöthig zu<lb/>
haben, hat er einen Ton ange&#x017F;chlagen, der in verwandten Ohren lange nach-<lb/>
hallt und allein &#x017F;chon genügt, um das ganze Geklingel germani&#x017F;cher Sitt-<lb/>
lichkeits-Melodien hervorzurufen. &#x2014; Ob ein &#x017F;olches Verfahren die Behand-<lb/>
lung verdient, die ich dem&#x017F;elben hier habe angedeihen la&#x017F;&#x017F;en, glaube ich getro&#x017F;t<lb/>
dem Urtheil des Le&#x017F;ers anheim&#x017F;tellen zu dürfen.</note>
                    </p><lb/>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[171/0185] A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. §. 32. Ich ſagte: auch die ſpätere Geſchichte der einzelnen Gewal- ten weiſe auf die urſprüngliche Einheit hin. Dies nämlich in- ſofern, als man von der Richtung, in der ſie ſpäter ſich bewe- gen, auf die frühere zurückſchließen darf. Sie ſind divergirende Linien, die im Laufe der Zeit immer weiter aus einander gehen, deren Entfernung im gegenwärtigen Syſtem aber noch eine ſehr unbedeutende iſt. Verlängert man die Linien rückwärts, ſo trifft man bald den Punkt, wo ſie ſich ſchneiden, — den von uns angenommenen gemeinſamen Ausgangspunkt der haus- herrlichen Gewalt. 223) 223) ſchen Familiengewalten wählen. Daß manus und munt etymologiſch und ſachlich urſprünglich Zwillingsſchweſtern waren, ſcheint ihm nicht bekannt ge- weſen zu ſein; bei ihm erinnert nichts auch nur an die Denkbarkeit einer Aehn- lichkeit zwiſchen beiden. „Die Natur des Herrſchaftsverhältniſſes, das der Mann in der ſtrengen Ehe über die Frau hat, ſpricht ſich auch in dem tech- niſchen Wort manus aus, das eben nichts anderes bezeichnet, als die auf der phyſiſchen Stärke des Arms beruhende faktiſche Herrſchaft (und die munt?!); die Ehefrau iſt in manu mariti heißt wörtlich: ſie iſt in der Hand des Mannes.“ Schrecklich! wer malt ſich nicht mit Schaudern und Grauen dieſes Bild weiter aus? Wie geht es nun aber der glücklicheren Schweſter, der guten deutſchen Munt? In naiver Unbefangenheit hat ſie ihre Abkunft und die eigentliche Bedeutung ihres Namens vergeſſen, verräth uns alſo nicht mehr, daß auch die Germanen ihre Frauen „in der Hand“ gehabt haben (was ſonſt vielleicht auf die Idee gebracht haben würde, daß die manus der Römer nicht minder wie die Munt der Germanen nicht bloß zum Prügeln, ſondern auch zum Schützen verwandt worden ſein mag). Die deutſche Munt hat das Glück uns in einem Compoſitum erhalten zu ſein, das für ſie ſofort das günſtige Vor- urtheil eines edlen ſittlichen Charakters erweckte, in dem der Vormundſchaft. Das iſt nun ein unendlich ergiebiges Moment zur Charakteriſtik des deutſchen Familienrechts. Dadurch nämlich, daß die väterliche Gewalt und die Ehe vom Verf. als Fälle der Vormundſchaft angeführt werden (S. 197, 202), hat er ſich mit dieſem Einen Wort einen Born erſchloſſen, aus dem die Charakteriſtik dieſer Inſtitute ſchöpfen kann, ohne etwas anderes nöthig zu haben, hat er einen Ton angeſchlagen, der in verwandten Ohren lange nach- hallt und allein ſchon genügt, um das ganze Geklingel germaniſcher Sitt- lichkeits-Melodien hervorzurufen. — Ob ein ſolches Verfahren die Behand- lung verdient, die ich demſelben hier habe angedeihen laſſen, glaube ich getroſt dem Urtheil des Leſers anheimſtellen zu dürfen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/185
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/185>, abgerufen am 27.11.2024.