Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
2. Die hausherrliche Gewalt insbesondere.

Das Haus ein Asyl -- äußere und innere Abgeschlossenheit des-
selben -- Die drei Gewalten des Hauses (über Sklaven, Kinder,
Frauen) -- abstract-rechtlicher Inhalt derselben -- wirkliche
Gestalt derselben im römischen Leben. Der Einfluß der
Familie.

XXXII. Das Haus hat für die privatrechtliche Herrschaft
eine hohe Bedeutung. Es ist nicht bloß der Ursitz derselben und
ihr ursprüngliches Territorium, sondern es behält auch, nach-
dem sie sich weit über die engen Gränzen desselben ausgedehnt
hat, einen besonders ausgezeichneten Charakter für sie bei, der
sich auch auf das Vermögen erstreckt, das das Haus in sich
birgt. In dieser räumlichen Gemeinschaft der Personen und
Sachen, in dieser Bestimmung der Sachen für die unmittel-
bare persönliche Existenz und das Familienleben liegt für die
Sache selbst ein sittliches Moment, das dem von dieser Aeußer-
lichkeit losgerissenen Vermögen völlig abgeht. 205) Die hervor-
ragendste Stelle nimmt aber das Haus selber ein.

An das Haus knüpft das natürliche Gefühl die Vorstel-
lung eines besondern Friedens, der hier herrschen soll, eines
Asyls, das dem Bewohner einen Schutz gegen die Außenwelt
gewähren soll. Das Verlangen nach Selbständigkeit und Un-
abhängigkeit, dem die Außenwelt so oft die Gewährung ver-
sagt, hier sucht und verlangt es um so mehr seine Befriedi-
gung; in diesem Zustande der räumlichen Abgeschiedenheit und
des natürlichen Für-Sich-Seins ist auch das Gefühl der recht-

beharrte, auch durchzusetzen, aber es war doch vorher Gelegenheit gegeben
auf ihn einzuwirken. Die alte Testamentsform ersetzte vielleicht die querela
inofficiosi testamenti,
wie umgekehrt das Aufkommen schriftlicher Testa-
mente auf die Einführung dieser Klage einen großen Einfluß geübt haben mag.
205) Beruht auf dieser Vorstellung vielleicht der Gegensatz der beiden
Ausdrücke, mit denen das ältere Recht das Vermögen bezeichnet, familia
(Ausgangspunkt: das Haus s. Note 214) und pecunia (Ausgangspunkt: pe-
cus
)? Vom Vermögen des Volks wird nur pecunia gebraucht, nicht fami-
lia,
es hat keine Beziehung zur hausherrlichen Gewalt, ist ein bloßes Werth-
objekt (wie das peculium des Sklaven).
Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
2. Die hausherrliche Gewalt insbeſondere.

Das Haus ein Aſyl — äußere und innere Abgeſchloſſenheit deſ-
ſelben — Die drei Gewalten des Hauſes (über Sklaven, Kinder,
Frauen) — abſtract-rechtlicher Inhalt derſelben — wirkliche
Geſtalt derſelben im römiſchen Leben. Der Einfluß der
Familie.

XXXII. Das Haus hat für die privatrechtliche Herrſchaft
eine hohe Bedeutung. Es iſt nicht bloß der Urſitz derſelben und
ihr urſprüngliches Territorium, ſondern es behält auch, nach-
dem ſie ſich weit über die engen Gränzen deſſelben ausgedehnt
hat, einen beſonders ausgezeichneten Charakter für ſie bei, der
ſich auch auf das Vermögen erſtreckt, das das Haus in ſich
birgt. In dieſer räumlichen Gemeinſchaft der Perſonen und
Sachen, in dieſer Beſtimmung der Sachen für die unmittel-
bare perſönliche Exiſtenz und das Familienleben liegt für die
Sache ſelbſt ein ſittliches Moment, das dem von dieſer Aeußer-
lichkeit losgeriſſenen Vermögen völlig abgeht. 205) Die hervor-
ragendſte Stelle nimmt aber das Haus ſelber ein.

An das Haus knüpft das natürliche Gefühl die Vorſtel-
lung eines beſondern Friedens, der hier herrſchen ſoll, eines
Aſyls, das dem Bewohner einen Schutz gegen die Außenwelt
gewähren ſoll. Das Verlangen nach Selbſtändigkeit und Un-
abhängigkeit, dem die Außenwelt ſo oft die Gewährung ver-
ſagt, hier ſucht und verlangt es um ſo mehr ſeine Befriedi-
gung; in dieſem Zuſtande der räumlichen Abgeſchiedenheit und
des natürlichen Für-Sich-Seins iſt auch das Gefühl der recht-

beharrte, auch durchzuſetzen, aber es war doch vorher Gelegenheit gegeben
auf ihn einzuwirken. Die alte Teſtamentsform erſetzte vielleicht die querela
inofficiosi testamenti,
wie umgekehrt das Aufkommen ſchriftlicher Teſta-
mente auf die Einführung dieſer Klage einen großen Einfluß geübt haben mag.
205) Beruht auf dieſer Vorſtellung vielleicht der Gegenſatz der beiden
Ausdrücke, mit denen das ältere Recht das Vermögen bezeichnet, familia
(Ausgangspunkt: das Haus ſ. Note 214) und pecunia (Ausgangspunkt: pe-
cus
)? Vom Vermögen des Volks wird nur pecunia gebraucht, nicht fami-
lia,
es hat keine Beziehung zur hausherrlichen Gewalt, iſt ein bloßes Werth-
objekt (wie das peculium des Sklaven).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <pb facs="#f0178" n="164"/>
                    <fw place="top" type="header">Zweit. Buch. Er&#x017F;t. Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Grundtriebe. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Freiheitstrieb.</fw>
                  </div><lb/>
                  <div n="7">
                    <head>2. <hi rendition="#g">Die hausherrliche Gewalt insbe&#x017F;ondere</hi>.</head><lb/>
                    <argument>
                      <p> <hi rendition="#b">Das Haus ein A&#x017F;yl &#x2014; äußere und innere Abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elben &#x2014; Die drei Gewalten des Hau&#x017F;es (über Sklaven, Kinder,<lb/>
Frauen) &#x2014; ab&#x017F;tract-rechtlicher Inhalt der&#x017F;elben &#x2014; wirkliche<lb/>
Ge&#x017F;talt der&#x017F;elben im römi&#x017F;chen Leben. Der Einfluß der<lb/>
Familie.</hi> </p>
                    </argument><lb/>
                    <p><hi rendition="#aq">XXXII.</hi> Das Haus hat für die privatrechtliche Herr&#x017F;chaft<lb/>
eine hohe Bedeutung. Es i&#x017F;t nicht bloß der Ur&#x017F;itz der&#x017F;elben und<lb/>
ihr ur&#x017F;prüngliches Territorium, &#x017F;ondern es behält auch, nach-<lb/>
dem &#x017F;ie &#x017F;ich weit über die engen Gränzen de&#x017F;&#x017F;elben ausgedehnt<lb/>
hat, einen be&#x017F;onders ausgezeichneten Charakter für &#x017F;ie bei, der<lb/>
&#x017F;ich auch auf das Vermögen er&#x017F;treckt, das das Haus in &#x017F;ich<lb/>
birgt. In die&#x017F;er räumlichen Gemein&#x017F;chaft der Per&#x017F;onen und<lb/>
Sachen, in die&#x017F;er Be&#x017F;timmung der <hi rendition="#g">Sachen</hi> für die unmittel-<lb/>
bare per&#x017F;önliche Exi&#x017F;tenz und das Familienleben liegt für die<lb/>
Sache &#x017F;elb&#x017F;t ein &#x017F;ittliches Moment, das dem von die&#x017F;er Aeußer-<lb/>
lichkeit losgeri&#x017F;&#x017F;enen Vermögen völlig abgeht. <note place="foot" n="205)">Beruht auf die&#x017F;er Vor&#x017F;tellung vielleicht der Gegen&#x017F;atz der beiden<lb/>
Ausdrücke, mit denen das ältere Recht das Vermögen bezeichnet, <hi rendition="#aq">familia</hi><lb/>
(Ausgangspunkt: das Haus &#x017F;. Note 214) und <hi rendition="#aq">pecunia</hi> (Ausgangspunkt: <hi rendition="#aq">pe-<lb/>
cus</hi>)? Vom Vermögen des Volks wird nur <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">pecunia</hi></hi> gebraucht, nicht <hi rendition="#aq">fami-<lb/>
lia,</hi> es hat keine Beziehung zur hausherrlichen Gewalt, i&#x017F;t ein bloßes Werth-<lb/>
objekt (wie das <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">peculium</hi></hi> des Sklaven).</note> Die hervor-<lb/>
ragend&#x017F;te Stelle nimmt aber das Haus &#x017F;elber ein.</p><lb/>
                    <p>An das Haus knüpft das natürliche Gefühl die Vor&#x017F;tel-<lb/>
lung eines be&#x017F;ondern Friedens, der hier herr&#x017F;chen &#x017F;oll, eines<lb/>
A&#x017F;yls, das dem Bewohner einen Schutz gegen die Außenwelt<lb/>
gewähren &#x017F;oll. Das Verlangen nach Selb&#x017F;tändigkeit und Un-<lb/>
abhängigkeit, dem die Außenwelt &#x017F;o oft die Gewährung ver-<lb/>
&#x017F;agt, <hi rendition="#g">hier</hi> &#x017F;ucht und verlangt es um &#x017F;o mehr &#x017F;eine Befriedi-<lb/>
gung; in die&#x017F;em Zu&#x017F;tande der räumlichen Abge&#x017F;chiedenheit und<lb/>
des natürlichen Für-Sich-Seins i&#x017F;t auch das Gefühl der recht-<lb/><note xml:id="seg2pn_20_2" prev="#seg2pn_20_1" place="foot" n="204)">beharrte, auch durchzu&#x017F;etzen, aber es war doch vorher Gelegenheit gegeben<lb/>
auf ihn einzuwirken. Die alte Te&#x017F;tamentsform er&#x017F;etzte vielleicht die <hi rendition="#aq">querela<lb/>
inofficiosi testamenti,</hi> wie umgekehrt das Aufkommen <hi rendition="#g">&#x017F;chriftlicher</hi> Te&#x017F;ta-<lb/>
mente auf die Einführung die&#x017F;er Klage einen großen Einfluß geübt haben mag.</note><lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[164/0178] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. 2. Die hausherrliche Gewalt insbeſondere. Das Haus ein Aſyl — äußere und innere Abgeſchloſſenheit deſ- ſelben — Die drei Gewalten des Hauſes (über Sklaven, Kinder, Frauen) — abſtract-rechtlicher Inhalt derſelben — wirkliche Geſtalt derſelben im römiſchen Leben. Der Einfluß der Familie. XXXII. Das Haus hat für die privatrechtliche Herrſchaft eine hohe Bedeutung. Es iſt nicht bloß der Urſitz derſelben und ihr urſprüngliches Territorium, ſondern es behält auch, nach- dem ſie ſich weit über die engen Gränzen deſſelben ausgedehnt hat, einen beſonders ausgezeichneten Charakter für ſie bei, der ſich auch auf das Vermögen erſtreckt, das das Haus in ſich birgt. In dieſer räumlichen Gemeinſchaft der Perſonen und Sachen, in dieſer Beſtimmung der Sachen für die unmittel- bare perſönliche Exiſtenz und das Familienleben liegt für die Sache ſelbſt ein ſittliches Moment, das dem von dieſer Aeußer- lichkeit losgeriſſenen Vermögen völlig abgeht. 205) Die hervor- ragendſte Stelle nimmt aber das Haus ſelber ein. An das Haus knüpft das natürliche Gefühl die Vorſtel- lung eines beſondern Friedens, der hier herrſchen ſoll, eines Aſyls, das dem Bewohner einen Schutz gegen die Außenwelt gewähren ſoll. Das Verlangen nach Selbſtändigkeit und Un- abhängigkeit, dem die Außenwelt ſo oft die Gewährung ver- ſagt, hier ſucht und verlangt es um ſo mehr ſeine Befriedi- gung; in dieſem Zuſtande der räumlichen Abgeſchiedenheit und des natürlichen Für-Sich-Seins iſt auch das Gefühl der recht- 204) 205) Beruht auf dieſer Vorſtellung vielleicht der Gegenſatz der beiden Ausdrücke, mit denen das ältere Recht das Vermögen bezeichnet, familia (Ausgangspunkt: das Haus ſ. Note 214) und pecunia (Ausgangspunkt: pe- cus)? Vom Vermögen des Volks wird nur pecunia gebraucht, nicht fami- lia, es hat keine Beziehung zur hausherrlichen Gewalt, iſt ein bloßes Werth- objekt (wie das peculium des Sklaven). 204) beharrte, auch durchzuſetzen, aber es war doch vorher Gelegenheit gegeben auf ihn einzuwirken. Die alte Teſtamentsform erſetzte vielleicht die querela inofficiosi testamenti, wie umgekehrt das Aufkommen ſchriftlicher Teſta- mente auf die Einführung dieſer Klage einen großen Einfluß geübt haben mag.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/178
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/178>, abgerufen am 23.11.2024.