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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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A. Stellung des Indiv. Syst. der Autonomie. Eigenthum. §. 31.
versetzen haben, hängt wesentlich von der Auffassung ab, die
man von der lex Licinia de modo agri hat. Bezieht man das
Gesetz nicht bloß auf den ager publicus, sondern auch auf das
Privateigenthum, 185) so hat jenes Uebel schon in früher Zeit
(387 der Stadt) einen bedrohlichen Charakter angenommen
gehabt, weil man sich entschloß, ein Heilmittel dagegen an-
zuwenden, das sich doch nicht anders, denn als ein Eingriff
in die Freiheit des Eigenthumsrechts bezeichnen läßt. Eben die-
ser letzte Umstand könnte von vornherein gegen jene Deutung
des Gesetzes bedenklich machen, und der Gesichtspunkt, der uns
auf dieses Gesetz bringt, würde uns am wenigsten für jene An-
sicht einnehmen, allein nach der Beschaffenheit der Quellenäuße-
rungen läßt sich, wenn man den Totaleindruck derselben im Auge
behält, die Richtigkeit derselben kaum bezweifeln. Wir müssen
also zugeben, daß die Consequenz des Eigenthumsbegriffs von
der lex Licinia durchbrochen ist, und werden von dieser An-
nahme aus in dem Gesetz nur einen neuen Beleg dafür finden,
daß der abstracte Freiheitsbegriff in Rom sich nicht auf Kosten
des Lebens rücksichtslos geltend machte, vielmehr im Fall ächter
Noth sich dem Bedürfniß desselben unterzuordnen verstand.
Schon hier aber begegnet uns jene charakteristische Erscheinung,
von der bereits oben S. 61 ein der folgenden Periode angehö-
riges Beispiel mitgetheilt wurde, und die wir erst dort im Zu-
sammenhang werden würdigen können, nämlich die Beschöni-
gung und indirekte Art der Beschränkung. Das Gesetz nämlich
machte eine Ueberschreitung seines Maßes nicht juristisch un-
möglich, sondern es setzte nur eine Strafe darauf, 186) begreif-
licherweise hoch genug, um den erwünschten Erfolg indirekt zu
erzwingen, aber immerhin doch eine Art von Concession an die

185) Ich verweise auf die bekannte Schrift von Huschke: Ueber die
Stelle des Varro von den Liciniern. Die beiden andern Beschränkungen die-
ses Gesetzes werden in §. 34 berücksichtigt werden.
186) Das Gesetz war also eine lex imperfecta. Huschke a. a. O. S.
15. Anm. 33.

A. Stellung des Indiv. Syſt. der Autonomie. Eigenthum. §. 31.
verſetzen haben, hängt weſentlich von der Auffaſſung ab, die
man von der lex Licinia de modo agri hat. Bezieht man das
Geſetz nicht bloß auf den ager publicus, ſondern auch auf das
Privateigenthum, 185) ſo hat jenes Uebel ſchon in früher Zeit
(387 der Stadt) einen bedrohlichen Charakter angenommen
gehabt, weil man ſich entſchloß, ein Heilmittel dagegen an-
zuwenden, das ſich doch nicht anders, denn als ein Eingriff
in die Freiheit des Eigenthumsrechts bezeichnen läßt. Eben die-
ſer letzte Umſtand könnte von vornherein gegen jene Deutung
des Geſetzes bedenklich machen, und der Geſichtspunkt, der uns
auf dieſes Geſetz bringt, würde uns am wenigſten für jene An-
ſicht einnehmen, allein nach der Beſchaffenheit der Quellenäuße-
rungen läßt ſich, wenn man den Totaleindruck derſelben im Auge
behält, die Richtigkeit derſelben kaum bezweifeln. Wir müſſen
alſo zugeben, daß die Conſequenz des Eigenthumsbegriffs von
der lex Licinia durchbrochen iſt, und werden von dieſer An-
nahme aus in dem Geſetz nur einen neuen Beleg dafür finden,
daß der abſtracte Freiheitsbegriff in Rom ſich nicht auf Koſten
des Lebens rückſichtslos geltend machte, vielmehr im Fall ächter
Noth ſich dem Bedürfniß deſſelben unterzuordnen verſtand.
Schon hier aber begegnet uns jene charakteriſtiſche Erſcheinung,
von der bereits oben S. 61 ein der folgenden Periode angehö-
riges Beiſpiel mitgetheilt wurde, und die wir erſt dort im Zu-
ſammenhang werden würdigen können, nämlich die Beſchöni-
gung und indirekte Art der Beſchränkung. Das Geſetz nämlich
machte eine Ueberſchreitung ſeines Maßes nicht juriſtiſch un-
möglich, ſondern es ſetzte nur eine Strafe darauf, 186) begreif-
licherweiſe hoch genug, um den erwünſchten Erfolg indirekt zu
erzwingen, aber immerhin doch eine Art von Conceſſion an die

185) Ich verweiſe auf die bekannte Schrift von Huſchke: Ueber die
Stelle des Varro von den Liciniern. Die beiden andern Beſchränkungen die-
ſes Geſetzes werden in §. 34 berückſichtigt werden.
186) Das Geſetz war alſo eine lex imperfecta. Huſchke a. a. O. S.
15. Anm. 33.
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[157/0171] A. Stellung des Indiv. Syſt. der Autonomie. Eigenthum. §. 31. verſetzen haben, hängt weſentlich von der Auffaſſung ab, die man von der lex Licinia de modo agri hat. Bezieht man das Geſetz nicht bloß auf den ager publicus, ſondern auch auf das Privateigenthum, 185) ſo hat jenes Uebel ſchon in früher Zeit (387 der Stadt) einen bedrohlichen Charakter angenommen gehabt, weil man ſich entſchloß, ein Heilmittel dagegen an- zuwenden, das ſich doch nicht anders, denn als ein Eingriff in die Freiheit des Eigenthumsrechts bezeichnen läßt. Eben die- ſer letzte Umſtand könnte von vornherein gegen jene Deutung des Geſetzes bedenklich machen, und der Geſichtspunkt, der uns auf dieſes Geſetz bringt, würde uns am wenigſten für jene An- ſicht einnehmen, allein nach der Beſchaffenheit der Quellenäuße- rungen läßt ſich, wenn man den Totaleindruck derſelben im Auge behält, die Richtigkeit derſelben kaum bezweifeln. Wir müſſen alſo zugeben, daß die Conſequenz des Eigenthumsbegriffs von der lex Licinia durchbrochen iſt, und werden von dieſer An- nahme aus in dem Geſetz nur einen neuen Beleg dafür finden, daß der abſtracte Freiheitsbegriff in Rom ſich nicht auf Koſten des Lebens rückſichtslos geltend machte, vielmehr im Fall ächter Noth ſich dem Bedürfniß deſſelben unterzuordnen verſtand. Schon hier aber begegnet uns jene charakteriſtiſche Erſcheinung, von der bereits oben S. 61 ein der folgenden Periode angehö- riges Beiſpiel mitgetheilt wurde, und die wir erſt dort im Zu- ſammenhang werden würdigen können, nämlich die Beſchöni- gung und indirekte Art der Beſchränkung. Das Geſetz nämlich machte eine Ueberſchreitung ſeines Maßes nicht juriſtiſch un- möglich, ſondern es ſetzte nur eine Strafe darauf, 186) begreif- licherweiſe hoch genug, um den erwünſchten Erfolg indirekt zu erzwingen, aber immerhin doch eine Art von Conceſſion an die 185) Ich verweiſe auf die bekannte Schrift von Huſchke: Ueber die Stelle des Varro von den Liciniern. Die beiden andern Beſchränkungen die- ſes Geſetzes werden in §. 34 berückſichtigt werden. 186) Das Geſetz war alſo eine lex imperfecta. Huſchke a. a. O. S. 15. Anm. 33.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/171>, abgerufen am 27.11.2024.