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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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A. Stellung des Indiv. Die persönl. Freiheit. §. 31.
sacris, hatte mehr den Charakter einer vermögensrechtli-
chen
Last, als einer religiösen Nöthigung. Kein Wunder,
daß der Römer sich Jahrhunderte hindurch mit diesem weiten
Maß religiöser Freiheit leicht begnügen, daß selbst der Unglaube
der spätern Zeit sich damit vertragen konnte; erst das Christen-
thum bereitete dem alten System seinen Untergang.

Indem wir nun die bisher genannten Ausflüsse unseres Prin-
zips im Wesentlichen als bekannt voraussetzen, beschränken wir
unsere Darstellung auf zwei Punkte, die eines nähern Eingehens
besonders würdig scheinen, nämlich die Verwirklichung unseres
Grundtriebes innerhalb des Privatrechts (§. 31--34) und die
Einwirkung desselben auf die Gestaltung, den Zuschnitt und
Inhalt der öffentlichen Gewalten (§. 35); der abgesonder-
ten Darstellung beider Punkte werden wir schließlich (§. 36)
eine allgemeinere Betrachtung über die historische Bedeutung
des gesammten Freiheits-Systems folgen lassen.

Für jenen ersten Punkt gibt uns der Verlauf unseres Wer-
kes bereits mannigfache Anknüpfungspunkte, namentlich ver-
weise ich auf das Prinzip des subjektiven Willens (B. 1, S.
104 fl. 205 fl. B. 2, S. 57 fl.) und die gesetzliche Anerkennung
der subjektiven Autonomie in den XII Tafeln (B. 2, S. 68 fl.).
Dasselbe Prinzip, das wir im ersten System in seiner ur-
sprünglichen
Bedeutung als einen der Ausgangspunkte des
Rechts auf etwas künstlichem und theilweise constructivem Wege
zu bestimmen versuchten, haben wir an der gegenwärtigen Stelle
wieder aufzunehmen, und zwar in seiner völlig entwickelten,
historisch beglaubigten Gestalt. Ich werde bei meinem Leser
das Resultat meiner früheren Ausführungen voraussetzen dür-
fen, jenen Fundamentalsatz nämlich, daß das Subjekt die
Quelle und der Grund seines Rechtes ist, der Staat also nicht
das Recht selbst, sondern nur die Anerkennung und den Schutz
desselben gewährt. Diese Grundanschauung durchdringt das
römische Recht so sehr nach allen Seiten hin, daß ein öfteres
Zurückkommen auf dieselbe völlig unvermeidlich ist. Für das

A. Stellung des Indiv. Die perſönl. Freiheit. §. 31.
sacris, hatte mehr den Charakter einer vermögensrechtli-
chen
Laſt, als einer religiöſen Nöthigung. Kein Wunder,
daß der Römer ſich Jahrhunderte hindurch mit dieſem weiten
Maß religiöſer Freiheit leicht begnügen, daß ſelbſt der Unglaube
der ſpätern Zeit ſich damit vertragen konnte; erſt das Chriſten-
thum bereitete dem alten Syſtem ſeinen Untergang.

Indem wir nun die bisher genannten Ausflüſſe unſeres Prin-
zips im Weſentlichen als bekannt vorausſetzen, beſchränken wir
unſere Darſtellung auf zwei Punkte, die eines nähern Eingehens
beſonders würdig ſcheinen, nämlich die Verwirklichung unſeres
Grundtriebes innerhalb des Privatrechts (§. 31—34) und die
Einwirkung deſſelben auf die Geſtaltung, den Zuſchnitt und
Inhalt der öffentlichen Gewalten (§. 35); der abgeſonder-
ten Darſtellung beider Punkte werden wir ſchließlich (§. 36)
eine allgemeinere Betrachtung über die hiſtoriſche Bedeutung
des geſammten Freiheits-Syſtems folgen laſſen.

Für jenen erſten Punkt gibt uns der Verlauf unſeres Wer-
kes bereits mannigfache Anknüpfungspunkte, namentlich ver-
weiſe ich auf das Prinzip des ſubjektiven Willens (B. 1, S.
104 fl. 205 fl. B. 2, S. 57 fl.) und die geſetzliche Anerkennung
der ſubjektiven Autonomie in den XII Tafeln (B. 2, S. 68 fl.).
Daſſelbe Prinzip, das wir im erſten Syſtem in ſeiner ur-
ſprünglichen
Bedeutung als einen der Ausgangspunkte des
Rechts auf etwas künſtlichem und theilweiſe conſtructivem Wege
zu beſtimmen verſuchten, haben wir an der gegenwärtigen Stelle
wieder aufzunehmen, und zwar in ſeiner völlig entwickelten,
hiſtoriſch beglaubigten Geſtalt. Ich werde bei meinem Leſer
das Reſultat meiner früheren Ausführungen vorausſetzen dür-
fen, jenen Fundamentalſatz nämlich, daß das Subjekt die
Quelle und der Grund ſeines Rechtes iſt, der Staat alſo nicht
das Recht ſelbſt, ſondern nur die Anerkennung und den Schutz
deſſelben gewährt. Dieſe Grundanſchauung durchdringt das
römiſche Recht ſo ſehr nach allen Seiten hin, daß ein öfteres
Zurückkommen auf dieſelbe völlig unvermeidlich iſt. Für das

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[141/0155] A. Stellung des Indiv. Die perſönl. Freiheit. §. 31. sacris, hatte mehr den Charakter einer vermögensrechtli- chen Laſt, als einer religiöſen Nöthigung. Kein Wunder, daß der Römer ſich Jahrhunderte hindurch mit dieſem weiten Maß religiöſer Freiheit leicht begnügen, daß ſelbſt der Unglaube der ſpätern Zeit ſich damit vertragen konnte; erſt das Chriſten- thum bereitete dem alten Syſtem ſeinen Untergang. Indem wir nun die bisher genannten Ausflüſſe unſeres Prin- zips im Weſentlichen als bekannt vorausſetzen, beſchränken wir unſere Darſtellung auf zwei Punkte, die eines nähern Eingehens beſonders würdig ſcheinen, nämlich die Verwirklichung unſeres Grundtriebes innerhalb des Privatrechts (§. 31—34) und die Einwirkung deſſelben auf die Geſtaltung, den Zuſchnitt und Inhalt der öffentlichen Gewalten (§. 35); der abgeſonder- ten Darſtellung beider Punkte werden wir ſchließlich (§. 36) eine allgemeinere Betrachtung über die hiſtoriſche Bedeutung des geſammten Freiheits-Syſtems folgen laſſen. Für jenen erſten Punkt gibt uns der Verlauf unſeres Wer- kes bereits mannigfache Anknüpfungspunkte, namentlich ver- weiſe ich auf das Prinzip des ſubjektiven Willens (B. 1, S. 104 fl. 205 fl. B. 2, S. 57 fl.) und die geſetzliche Anerkennung der ſubjektiven Autonomie in den XII Tafeln (B. 2, S. 68 fl.). Daſſelbe Prinzip, das wir im erſten Syſtem in ſeiner ur- ſprünglichen Bedeutung als einen der Ausgangspunkte des Rechts auf etwas künſtlichem und theilweiſe conſtructivem Wege zu beſtimmen verſuchten, haben wir an der gegenwärtigen Stelle wieder aufzunehmen, und zwar in ſeiner völlig entwickelten, hiſtoriſch beglaubigten Geſtalt. Ich werde bei meinem Leſer das Reſultat meiner früheren Ausführungen vorausſetzen dür- fen, jenen Fundamentalſatz nämlich, daß das Subjekt die Quelle und der Grund ſeines Rechtes iſt, der Staat alſo nicht das Recht ſelbſt, ſondern nur die Anerkennung und den Schutz deſſelben gewährt. Dieſe Grundanſchauung durchdringt das römiſche Recht ſo ſehr nach allen Seiten hin, daß ein öfteres Zurückkommen auf dieſelbe völlig unvermeidlich iſt. Für das

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/155>, abgerufen am 23.11.2024.