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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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A. Stellung des Indiv. Die persönl. Freiheit. §. 31.
sicher zu sein. Wie sehr dieses Streben nach Herrschaft die römi-
sche Selbstsucht über das Niedrige und Gemeine des indivi-
duellen
Egoismus und eines bloßen Genußlebens zu höheren
Anschauungen erhob; welche Fülle von Tugenden, von Selbst-
verleugnung, Vaterlandsliebe, Standhaftigkeit, Tapferkeit,
würdigem Stolz u. s. w. es zum Vorschein brachte, kurz wel-
chen sittlichen Schwung es dem ganzen römischen Wesen ver-
lieh, das brauche ich hier nicht auszuführen. Ist denn die
Herrschsucht der Römer einmal ein Fehler zu nennen, so hat es
wohl nie einen Fehler gegeben, der eine so reiche Quelle von
nationalen Tugenden und großen Thaten geworden ist.

Das Recht gibt uns die Gelegenheit, die Herrschsucht so zu
sagen in ihrer Häuslichkeit zu belauschen. Es gibt kein an-
deres Gebiet geistiger Thätigkeit, das gerade so vorzugsweise
ihr gehört, und auf dem sie solche unblutige Triumphe feiern
könnte, wie auf diesem. In welchem Maße der römische Macht-
und Freiheitstrieb sich auf diesem Gebiet bethätigte, ist
theilweise sehr bekannt, und soll, so weit es dies ist, hier nicht
weiter ausgeführt werden. Dahin rechne ich z. B. den Antheil,
den die römische Verfassung dem Bürger an der Verwaltung
des Staats einräumte, das jus suffragii und honorum, also
die Theilnahme an der gesetzgebenden und strafrichterlichen Ge-
walt, an der Wahl der Beamten, selbst an der Verwaltung der
Polizei 148) u. s. w., kurz das ganze republikanische Selbstregi-
ment der Römer. Dahin zähle ich ferner den weiten Umfang,
in dem der Grundsatz der persönlichen Freiheit in Rom zur An-
erkennung gelangt war. Ich will von solchen Ausflüssen dieses
Grundsatzes gar nicht reden, deren sich die Römer selbst nicht
bewußt waren, weil ihnen eine Beschränkung nach dieser Seite
hin als undenkbar erschienen wäre (z. B. der Freiheit in der
Wahl des Lebensberufes), und für die man überhaupt erst ein
Auge bekommt, wenn man sieht, daß sie anderwärts fehlen;

148) Die act. populares s. B. 1, S. 187. B. 2, S. 83.

A. Stellung des Indiv. Die perſönl. Freiheit. §. 31.
ſicher zu ſein. Wie ſehr dieſes Streben nach Herrſchaft die römi-
ſche Selbſtſucht über das Niedrige und Gemeine des indivi-
duellen
Egoismus und eines bloßen Genußlebens zu höheren
Anſchauungen erhob; welche Fülle von Tugenden, von Selbſt-
verleugnung, Vaterlandsliebe, Standhaftigkeit, Tapferkeit,
würdigem Stolz u. ſ. w. es zum Vorſchein brachte, kurz wel-
chen ſittlichen Schwung es dem ganzen römiſchen Weſen ver-
lieh, das brauche ich hier nicht auszuführen. Iſt denn die
Herrſchſucht der Römer einmal ein Fehler zu nennen, ſo hat es
wohl nie einen Fehler gegeben, der eine ſo reiche Quelle von
nationalen Tugenden und großen Thaten geworden iſt.

Das Recht gibt uns die Gelegenheit, die Herrſchſucht ſo zu
ſagen in ihrer Häuslichkeit zu belauſchen. Es gibt kein an-
deres Gebiet geiſtiger Thätigkeit, das gerade ſo vorzugsweiſe
ihr gehört, und auf dem ſie ſolche unblutige Triumphe feiern
könnte, wie auf dieſem. In welchem Maße der römiſche Macht-
und Freiheitstrieb ſich auf dieſem Gebiet bethätigte, iſt
theilweiſe ſehr bekannt, und ſoll, ſo weit es dies iſt, hier nicht
weiter ausgeführt werden. Dahin rechne ich z. B. den Antheil,
den die römiſche Verfaſſung dem Bürger an der Verwaltung
des Staats einräumte, das jus suffragii und honorum, alſo
die Theilnahme an der geſetzgebenden und ſtrafrichterlichen Ge-
walt, an der Wahl der Beamten, ſelbſt an der Verwaltung der
Polizei 148) u. ſ. w., kurz das ganze republikaniſche Selbſtregi-
ment der Römer. Dahin zähle ich ferner den weiten Umfang,
in dem der Grundſatz der perſönlichen Freiheit in Rom zur An-
erkennung gelangt war. Ich will von ſolchen Ausflüſſen dieſes
Grundſatzes gar nicht reden, deren ſich die Römer ſelbſt nicht
bewußt waren, weil ihnen eine Beſchränkung nach dieſer Seite
hin als undenkbar erſchienen wäre (z. B. der Freiheit in der
Wahl des Lebensberufes), und für die man überhaupt erſt ein
Auge bekommt, wenn man ſieht, daß ſie anderwärts fehlen;

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[137/0151] A. Stellung des Indiv. Die perſönl. Freiheit. §. 31. ſicher zu ſein. Wie ſehr dieſes Streben nach Herrſchaft die römi- ſche Selbſtſucht über das Niedrige und Gemeine des indivi- duellen Egoismus und eines bloßen Genußlebens zu höheren Anſchauungen erhob; welche Fülle von Tugenden, von Selbſt- verleugnung, Vaterlandsliebe, Standhaftigkeit, Tapferkeit, würdigem Stolz u. ſ. w. es zum Vorſchein brachte, kurz wel- chen ſittlichen Schwung es dem ganzen römiſchen Weſen ver- lieh, das brauche ich hier nicht auszuführen. Iſt denn die Herrſchſucht der Römer einmal ein Fehler zu nennen, ſo hat es wohl nie einen Fehler gegeben, der eine ſo reiche Quelle von nationalen Tugenden und großen Thaten geworden iſt. Das Recht gibt uns die Gelegenheit, die Herrſchſucht ſo zu ſagen in ihrer Häuslichkeit zu belauſchen. Es gibt kein an- deres Gebiet geiſtiger Thätigkeit, das gerade ſo vorzugsweiſe ihr gehört, und auf dem ſie ſolche unblutige Triumphe feiern könnte, wie auf dieſem. In welchem Maße der römiſche Macht- und Freiheitstrieb ſich auf dieſem Gebiet bethätigte, iſt theilweiſe ſehr bekannt, und ſoll, ſo weit es dies iſt, hier nicht weiter ausgeführt werden. Dahin rechne ich z. B. den Antheil, den die römiſche Verfaſſung dem Bürger an der Verwaltung des Staats einräumte, das jus suffragii und honorum, alſo die Theilnahme an der geſetzgebenden und ſtrafrichterlichen Ge- walt, an der Wahl der Beamten, ſelbſt an der Verwaltung der Polizei 148) u. ſ. w., kurz das ganze republikaniſche Selbſtregi- ment der Römer. Dahin zähle ich ferner den weiten Umfang, in dem der Grundſatz der perſönlichen Freiheit in Rom zur An- erkennung gelangt war. Ich will von ſolchen Ausflüſſen dieſes Grundſatzes gar nicht reden, deren ſich die Römer ſelbſt nicht bewußt waren, weil ihnen eine Beſchränkung nach dieſer Seite hin als undenkbar erſchienen wäre (z. B. der Freiheit in der Wahl des Lebensberufes), und für die man überhaupt erſt ein Auge bekommt, wenn man ſieht, daß ſie anderwärts fehlen; 148) Die act. populares ſ. B. 1, S. 187. B. 2, S. 83.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/151>, abgerufen am 03.05.2024.