Zweites Buch. Erster Abschnitt. II. Die Grundtriebe.
stisches Licht auf das Verhältniß, in dem sie zum Volk zu stehen glaubten.
Einen anderweitigen sprechenden Beleg für die gesunde Be- schaffenheit des politischen Gleichheitsgefühls der Römer ge- währt die Fortdauer der servianischen Verfassung während der gegenwärtigen Periode. Dieselbe war bekanntlich eine Timo- kratie, und der Gedanke der Gleichheit kam in ihr in der Weise zur Anwendung, daß ein jeder in demselben Maße politische Rechte auszuüben hatte, in dem er an den Lasten des Staats par- ticipirte -- ein Grundsatz, der natürlich eine große Ungleichheit in den politischen Rechten zur Folge hatte. Allerdings bestanden neben den auf dieser Verfassung beruhenden Centuriatcomitien auch die auf das Prinzip der Kopfzahl gegründeten Tributco- mitien, allein das Uebergewicht des politischen Einflusses, die eigentlich bestimmende Kraft war doch lange entschieden auf Seiten der ersteren, denn außer der gesetzgebenden Gewalt, die beiden gemeinschaftlich war, und dem Uebergewicht in der Kri- minaljurisdiktion besaßen die Centuriatcomitien ausschließlich das Recht, die curulischen Magistrate zu wählen, über Krieg und Frieden zu entscheiden.
Andererseits bewährte sich die von den Plebejern errungene politische Gleichheit in glänzender Weise daran, daß seit Gleich- stellung der Stände auch dem geringsten Plebejer rechtlich kein Hinderniß im Wege stand, die höchsten Stufen der Staatsverwal- tung zu erklimmen und sich und sein Geschlecht durch eigenes Ver- dienst zu nobilitiren. Der Zuwachs seines Vermögens, den er durch Sparsamkeit und Betriebsamkeither beigeführt hatte, brachte ihn aus einer niedern in eine höhere Censusklasse, mit dem Ver- mögen mehrte sich sein politischer Einfluß, durch Auszeichnung im Felde oder daheim konnte er die Augen des Volkes auf sich ziehn und durch dessen Gunst zu den höchsten Ehrenstellen ge- tragen werden. Auch in Rom wie überall bestimmte nicht per- sönliche Tüchtigkeit allein die Erfolge des Ehrgeizes; auch hier übte die Vergangenheit d. h. das Geschlecht, sociale Stellung,
Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe.
ſtiſches Licht auf das Verhältniß, in dem ſie zum Volk zu ſtehen glaubten.
Einen anderweitigen ſprechenden Beleg für die geſunde Be- ſchaffenheit des politiſchen Gleichheitsgefühls der Römer ge- währt die Fortdauer der ſervianiſchen Verfaſſung während der gegenwärtigen Periode. Dieſelbe war bekanntlich eine Timo- kratie, und der Gedanke der Gleichheit kam in ihr in der Weiſe zur Anwendung, daß ein jeder in demſelben Maße politiſche Rechte auszuüben hatte, in dem er an den Laſten des Staats par- ticipirte — ein Grundſatz, der natürlich eine große Ungleichheit in den politiſchen Rechten zur Folge hatte. Allerdings beſtanden neben den auf dieſer Verfaſſung beruhenden Centuriatcomitien auch die auf das Prinzip der Kopfzahl gegründeten Tributco- mitien, allein das Uebergewicht des politiſchen Einfluſſes, die eigentlich beſtimmende Kraft war doch lange entſchieden auf Seiten der erſteren, denn außer der geſetzgebenden Gewalt, die beiden gemeinſchaftlich war, und dem Uebergewicht in der Kri- minaljurisdiktion beſaßen die Centuriatcomitien ausſchließlich das Recht, die curuliſchen Magiſtrate zu wählen, über Krieg und Frieden zu entſcheiden.
Andererſeits bewährte ſich die von den Plebejern errungene politiſche Gleichheit in glänzender Weiſe daran, daß ſeit Gleich- ſtellung der Stände auch dem geringſten Plebejer rechtlich kein Hinderniß im Wege ſtand, die höchſten Stufen der Staatsverwal- tung zu erklimmen und ſich und ſein Geſchlecht durch eigenes Ver- dienſt zu nobilitiren. Der Zuwachs ſeines Vermögens, den er durch Sparſamkeit und Betriebſamkeither beigeführt hatte, brachte ihn aus einer niedern in eine höhere Cenſusklaſſe, mit dem Ver- mögen mehrte ſich ſein politiſcher Einfluß, durch Auszeichnung im Felde oder daheim konnte er die Augen des Volkes auf ſich ziehn und durch deſſen Gunſt zu den höchſten Ehrenſtellen ge- tragen werden. Auch in Rom wie überall beſtimmte nicht per- ſönliche Tüchtigkeit allein die Erfolge des Ehrgeizes; auch hier übte die Vergangenheit d. h. das Geſchlecht, ſociale Stellung,
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Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe.
ſtiſches Licht auf das Verhältniß, in dem ſie zum Volk zu ſtehen
glaubten.
Einen anderweitigen ſprechenden Beleg für die geſunde Be-
ſchaffenheit des politiſchen Gleichheitsgefühls der Römer ge-
währt die Fortdauer der ſervianiſchen Verfaſſung während der
gegenwärtigen Periode. Dieſelbe war bekanntlich eine Timo-
kratie, und der Gedanke der Gleichheit kam in ihr in der Weiſe
zur Anwendung, daß ein jeder in demſelben Maße politiſche
Rechte auszuüben hatte, in dem er an den Laſten des Staats par-
ticipirte — ein Grundſatz, der natürlich eine große Ungleichheit
in den politiſchen Rechten zur Folge hatte. Allerdings beſtanden
neben den auf dieſer Verfaſſung beruhenden Centuriatcomitien
auch die auf das Prinzip der Kopfzahl gegründeten Tributco-
mitien, allein das Uebergewicht des politiſchen Einfluſſes, die
eigentlich beſtimmende Kraft war doch lange entſchieden auf
Seiten der erſteren, denn außer der geſetzgebenden Gewalt, die
beiden gemeinſchaftlich war, und dem Uebergewicht in der Kri-
minaljurisdiktion beſaßen die Centuriatcomitien ausſchließlich
das Recht, die curuliſchen Magiſtrate zu wählen, über Krieg
und Frieden zu entſcheiden.
Andererſeits bewährte ſich die von den Plebejern errungene
politiſche Gleichheit in glänzender Weiſe daran, daß ſeit Gleich-
ſtellung der Stände auch dem geringſten Plebejer rechtlich kein
Hinderniß im Wege ſtand, die höchſten Stufen der Staatsverwal-
tung zu erklimmen und ſich und ſein Geſchlecht durch eigenes Ver-
dienſt zu nobilitiren. Der Zuwachs ſeines Vermögens, den er
durch Sparſamkeit und Betriebſamkeither beigeführt hatte, brachte
ihn aus einer niedern in eine höhere Cenſusklaſſe, mit dem Ver-
mögen mehrte ſich ſein politiſcher Einfluß, durch Auszeichnung
im Felde oder daheim konnte er die Augen des Volkes auf ſich
ziehn und durch deſſen Gunſt zu den höchſten Ehrenſtellen ge-
tragen werden. Auch in Rom wie überall beſtimmte nicht per-
ſönliche Tüchtigkeit allein die Erfolge des Ehrgeizes; auch hier
übte die Vergangenheit d. h. das Geſchlecht, ſociale Stellung,
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/112>, abgerufen am 16.02.2025.
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