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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Einleitung -- die Methode.
ten, sich nicht für alle dieselben Perioden aufstellen ließen, be-
deutet nichts anders als: Die Rechtsinstitute haben eine Ge-
schichte, nicht aber das Recht als Ganzes. 28) Die berühmte
Rechtsgeschichte von Hugo faßt zwar die innere und äußere
Rechtsgeschichte zusammen und behandelt beide in denselben
Perioden, aber die Verbindung beider wie die Perioden selbst
sind der alleräußerlichsten Art, und das Zerstücklungssystem ist
gerade hier auf die höchste Spitze getrieben. 29)


28) Auf die Frage, ob diese Behandlung sich nicht beim akademischen
Vortrag aus methodologischen Gründen rechtfertigen lasse, kann ich hier nicht
eingehn.
29) Hugo's Perioden sind nichts als Stationen, auf denen die einzelnen
Institute sich ausruhen, um, wenn alle sich eingefunden, sich jedes für sich
allein wieder auf den Weg zu machen. Kein Institut bekümmert sich um das
andere, sie haben nur das mit einander gemein, daß sie bei derselben Sta-
tion einkehren müssen
. Manche würden gern früher einen Ruhepunkt
machen, andere umgekehrt, da sie gerade in bester Bewegung sind, noch etwas
über die Station hinausgehen, aber beides wird nicht verstattet, sie müssen
ausruhen, wo Hugo es ihnen befohlen hat. Dafür rühmt aber Hugo seinen
Perioden einen Vorzug nach, den man auch bei Poststationen möglichst zu er-
streben sucht, nämlich daß sie gleich lang seien, und sucht den Leser durch die
Bemerkung zu gewinnen, daß es "beinahe nur zur Bequemlichkeit des Lesers
(und etwa dazu, einzelne Begebenheiten recht auszuheben) dient, wenn Ab-
schnitte gemacht werden, wie viele und welche es sind." Es scheint dem die
Idee zu Grunde zu liegen, daß die Kräfte eines schwachen Menschenkindes
nicht ausreichen, um mit der Geschichte, die ohne zu ermüden, ihren Lauf un-
unterbrochen fortsetzt, gleichen Schritt zu halten. Hiernach würde es also
ganz auf das Maß der Kräfte ankommen, das der Leser mitbringt, und man
könnte, wenn es sich fragte, ob man ihn lieber bei Cicero oder Augustus, lie-
ber bei Alexander Sever oder Constantin einkehren lassen sollte, noch seine
spezielle Vorliebe für die eine oder die andere dieser Persönlichkeiten berück-
sichtigen.
Dieser Hugo'schen Willkühr und seinem Zerstücklungssystem gegenüber
verdient die herrschende Methode, die jedes Institut den ganzen Weg zwar für
sich allein, aber doch ohne Unterbrechung zurücklegen läßt, offenbar noch den
Vorzug; sie gibt, wenn auch keine Geschichte des Rechts, doch wenigstens die
der einzelnen Rechtsinstitute.

Einleitung — die Methode.
ten, ſich nicht für alle dieſelben Perioden aufſtellen ließen, be-
deutet nichts anders als: Die Rechtsinſtitute haben eine Ge-
ſchichte, nicht aber das Recht als Ganzes. 28) Die berühmte
Rechtsgeſchichte von Hugo faßt zwar die innere und äußere
Rechtsgeſchichte zuſammen und behandelt beide in denſelben
Perioden, aber die Verbindung beider wie die Perioden ſelbſt
ſind der alleräußerlichſten Art, und das Zerſtücklungsſyſtem iſt
gerade hier auf die höchſte Spitze getrieben. 29)


28) Auf die Frage, ob dieſe Behandlung ſich nicht beim akademiſchen
Vortrag aus methodologiſchen Gründen rechtfertigen laſſe, kann ich hier nicht
eingehn.
29) Hugo’s Perioden ſind nichts als Stationen, auf denen die einzelnen
Inſtitute ſich ausruhen, um, wenn alle ſich eingefunden, ſich jedes für ſich
allein wieder auf den Weg zu machen. Kein Inſtitut bekümmert ſich um das
andere, ſie haben nur das mit einander gemein, daß ſie bei derſelben Sta-
tion einkehren müſſen
. Manche würden gern früher einen Ruhepunkt
machen, andere umgekehrt, da ſie gerade in beſter Bewegung ſind, noch etwas
über die Station hinausgehen, aber beides wird nicht verſtattet, ſie müſſen
ausruhen, wo Hugo es ihnen befohlen hat. Dafür rühmt aber Hugo ſeinen
Perioden einen Vorzug nach, den man auch bei Poſtſtationen möglichſt zu er-
ſtreben ſucht, nämlich daß ſie gleich lang ſeien, und ſucht den Leſer durch die
Bemerkung zu gewinnen, daß es „beinahe nur zur Bequemlichkeit des Leſers
(und etwa dazu, einzelne Begebenheiten recht auszuheben) dient, wenn Ab-
ſchnitte gemacht werden, wie viele und welche es ſind.“ Es ſcheint dem die
Idee zu Grunde zu liegen, daß die Kräfte eines ſchwachen Menſchenkindes
nicht ausreichen, um mit der Geſchichte, die ohne zu ermüden, ihren Lauf un-
unterbrochen fortſetzt, gleichen Schritt zu halten. Hiernach würde es alſo
ganz auf das Maß der Kräfte ankommen, das der Leſer mitbringt, und man
könnte, wenn es ſich fragte, ob man ihn lieber bei Cicero oder Auguſtus, lie-
ber bei Alexander Sever oder Conſtantin einkehren laſſen ſollte, noch ſeine
ſpezielle Vorliebe für die eine oder die andere dieſer Perſönlichkeiten berück-
ſichtigen.
Dieſer Hugo’ſchen Willkühr und ſeinem Zerſtücklungsſyſtem gegenüber
verdient die herrſchende Methode, die jedes Inſtitut den ganzen Weg zwar für
ſich allein, aber doch ohne Unterbrechung zurücklegen läßt, offenbar noch den
Vorzug; ſie gibt, wenn auch keine Geſchichte des Rechts, doch wenigſtens die
der einzelnen Rechtsinſtitute.
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[56/0074] Einleitung — die Methode. ten, ſich nicht für alle dieſelben Perioden aufſtellen ließen, be- deutet nichts anders als: Die Rechtsinſtitute haben eine Ge- ſchichte, nicht aber das Recht als Ganzes. 28) Die berühmte Rechtsgeſchichte von Hugo faßt zwar die innere und äußere Rechtsgeſchichte zuſammen und behandelt beide in denſelben Perioden, aber die Verbindung beider wie die Perioden ſelbſt ſind der alleräußerlichſten Art, und das Zerſtücklungsſyſtem iſt gerade hier auf die höchſte Spitze getrieben. 29) 28) Auf die Frage, ob dieſe Behandlung ſich nicht beim akademiſchen Vortrag aus methodologiſchen Gründen rechtfertigen laſſe, kann ich hier nicht eingehn. 29) Hugo’s Perioden ſind nichts als Stationen, auf denen die einzelnen Inſtitute ſich ausruhen, um, wenn alle ſich eingefunden, ſich jedes für ſich allein wieder auf den Weg zu machen. Kein Inſtitut bekümmert ſich um das andere, ſie haben nur das mit einander gemein, daß ſie bei derſelben Sta- tion einkehren müſſen. Manche würden gern früher einen Ruhepunkt machen, andere umgekehrt, da ſie gerade in beſter Bewegung ſind, noch etwas über die Station hinausgehen, aber beides wird nicht verſtattet, ſie müſſen ausruhen, wo Hugo es ihnen befohlen hat. Dafür rühmt aber Hugo ſeinen Perioden einen Vorzug nach, den man auch bei Poſtſtationen möglichſt zu er- ſtreben ſucht, nämlich daß ſie gleich lang ſeien, und ſucht den Leſer durch die Bemerkung zu gewinnen, daß es „beinahe nur zur Bequemlichkeit des Leſers (und etwa dazu, einzelne Begebenheiten recht auszuheben) dient, wenn Ab- ſchnitte gemacht werden, wie viele und welche es ſind.“ Es ſcheint dem die Idee zu Grunde zu liegen, daß die Kräfte eines ſchwachen Menſchenkindes nicht ausreichen, um mit der Geſchichte, die ohne zu ermüden, ihren Lauf un- unterbrochen fortſetzt, gleichen Schritt zu halten. Hiernach würde es alſo ganz auf das Maß der Kräfte ankommen, das der Leſer mitbringt, und man könnte, wenn es ſich fragte, ob man ihn lieber bei Cicero oder Auguſtus, lie- ber bei Alexander Sever oder Conſtantin einkehren laſſen ſollte, noch ſeine ſpezielle Vorliebe für die eine oder die andere dieſer Perſönlichkeiten berück- ſichtigen. Dieſer Hugo’ſchen Willkühr und ſeinem Zerſtücklungsſyſtem gegenüber verdient die herrſchende Methode, die jedes Inſtitut den ganzen Weg zwar für ſich allein, aber doch ohne Unterbrechung zurücklegen läßt, offenbar noch den Vorzug; ſie gibt, wenn auch keine Geſchichte des Rechts, doch wenigſtens die der einzelnen Rechtsinſtitute.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/74>, abgerufen am 27.11.2024.