Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Das Wesen des römischen Geistes. §. 20. Recht fertig da steht. Aber können wir uns die Vorgeschichtein anderer Weise ausmalen? Wenn drei Völker mit verschiede- nen Einrichtungen, Sitten und Rechtsansichten sich zu einem Staat zusammenthun, wenn schließlich nur ein einiges Recht übrig bleibt, an dem keine Spuren nationalen Gegensatzes er- kennbar sind, so muß nothwendigerweise der Widerspruch aus- geglichen, d. h. also das Eine oder Andere geopfert worden sein. Dieser Läuterungsprozeß, bei dem die Schlacken ausgeschieden wurden, und nur das Kernige zurückblieb, erforderte keine ge- waltsamen Mittel. Wo Starkes und Schwaches sich im Leben zum freien Kampf begegnen, verleiht das innere Uebergewicht, das jenem inne wohnt, von selbst den Sieg. Drücken wir diesen Vorgang, bei dem die Stammesver- Das Weſen des römiſchen Geiſtes. §. 20. Recht fertig da ſteht. Aber können wir uns die Vorgeſchichtein anderer Weiſe ausmalen? Wenn drei Völker mit verſchiede- nen Einrichtungen, Sitten und Rechtsanſichten ſich zu einem Staat zuſammenthun, wenn ſchließlich nur ein einiges Recht übrig bleibt, an dem keine Spuren nationalen Gegenſatzes er- kennbar ſind, ſo muß nothwendigerweiſe der Widerſpruch aus- geglichen, d. h. alſo das Eine oder Andere geopfert worden ſein. Dieſer Läuterungsprozeß, bei dem die Schlacken ausgeſchieden wurden, und nur das Kernige zurückblieb, erforderte keine ge- waltſamen Mittel. Wo Starkes und Schwaches ſich im Leben zum freien Kampf begegnen, verleiht das innere Uebergewicht, das jenem inne wohnt, von ſelbſt den Sieg. Drücken wir dieſen Vorgang, bei dem die Stammesver- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0305" n="287"/><fw place="top" type="header">Das Weſen des römiſchen Geiſtes. §. 20.</fw><lb/> Recht fertig da ſteht. Aber können wir uns die Vorgeſchichte<lb/> in anderer Weiſe ausmalen? Wenn drei Völker mit verſchiede-<lb/> nen Einrichtungen, Sitten und Rechtsanſichten ſich zu <hi rendition="#g">einem</hi><lb/> Staat zuſammenthun, wenn ſchließlich nur ein einiges Recht<lb/> übrig bleibt, an dem keine Spuren nationalen Gegenſatzes er-<lb/> kennbar ſind, ſo muß nothwendigerweiſe der Widerſpruch aus-<lb/> geglichen, d. h. alſo das Eine oder Andere geopfert worden ſein.<lb/> Dieſer Läuterungsprozeß, bei dem die Schlacken ausgeſchieden<lb/> wurden, und nur das Kernige zurückblieb, erforderte keine ge-<lb/> waltſamen Mittel. Wo Starkes und Schwaches ſich im Leben<lb/> zum freien Kampf begegnen, verleiht das innere Uebergewicht,<lb/> das jenem inne wohnt, von ſelbſt den Sieg.</p><lb/> <p>Drücken wir dieſen Vorgang, bei dem die Stammesver-<lb/> ſchiedenheiten im Intereſſe des <hi rendition="#g">Staats</hi> überwunden werden,<lb/> dahin aus, daß das Staats- und Rechts-Prinzip hier das der<lb/> Nationalität überwältigt, ſo haben wir damit bereits für das<lb/> erſte Auftreten Roms den Satz gewonnen, der auch die ſpätere<lb/> Bedeutung Roms, deſſen eigenthümliche univerſalhiſtoriſche<lb/> Stellung und Aufgabe bezeichnet. An keinen Namen knüpft ſich<lb/> ſo, wie an den Roms, der Gedanke eines Confliktes zwiſchen<lb/> dem Nationalitäts- und dem abſtrakten Staats- und Rechts-<lb/> Prinzip oder, wenn man dabei auch die kirchliche Bedeutung<lb/> des modernen Roms mit ins Auge faſſen darf, der Gedanke des<lb/> Gegenſatzes der Nationalität und allgemeiner, ſupranationaler<lb/> Tendenzen. Die geiſtige Subſtanz, die Rom in ſich birgt, iſt<lb/> ein Scheidewaſſer, das, ſowie es mit dem lebendigen Organis-<lb/> mus einer Nationalität in Berührung tritt, ihn ſchmerzhaft er-<lb/> regt, ja wohl gar zerſetzt und auflöſt. Mit der eignen nationa-<lb/> len Selbſtüberwindung beginnt die Geſchichte Roms, ihr höchſter<lb/> Glanzpunkt zeigt uns den römiſchen Staat, ſtehend an der<lb/> Gränzſcheide der antiken und modernen Welt, zu ſeinen Füßen,<lb/> zermalmt und zerrieben die Völker der damaligen Zeit. Nach<lb/> dem Sturz dieſer politiſchen Weltherrſchaft erhebt ſich auf der-<lb/> ſelben Stätte die Weltherrſchaft der Kirche, eine Herrſchaft des<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [287/0305]
Das Weſen des römiſchen Geiſtes. §. 20.
Recht fertig da ſteht. Aber können wir uns die Vorgeſchichte
in anderer Weiſe ausmalen? Wenn drei Völker mit verſchiede-
nen Einrichtungen, Sitten und Rechtsanſichten ſich zu einem
Staat zuſammenthun, wenn ſchließlich nur ein einiges Recht
übrig bleibt, an dem keine Spuren nationalen Gegenſatzes er-
kennbar ſind, ſo muß nothwendigerweiſe der Widerſpruch aus-
geglichen, d. h. alſo das Eine oder Andere geopfert worden ſein.
Dieſer Läuterungsprozeß, bei dem die Schlacken ausgeſchieden
wurden, und nur das Kernige zurückblieb, erforderte keine ge-
waltſamen Mittel. Wo Starkes und Schwaches ſich im Leben
zum freien Kampf begegnen, verleiht das innere Uebergewicht,
das jenem inne wohnt, von ſelbſt den Sieg.
Drücken wir dieſen Vorgang, bei dem die Stammesver-
ſchiedenheiten im Intereſſe des Staats überwunden werden,
dahin aus, daß das Staats- und Rechts-Prinzip hier das der
Nationalität überwältigt, ſo haben wir damit bereits für das
erſte Auftreten Roms den Satz gewonnen, der auch die ſpätere
Bedeutung Roms, deſſen eigenthümliche univerſalhiſtoriſche
Stellung und Aufgabe bezeichnet. An keinen Namen knüpft ſich
ſo, wie an den Roms, der Gedanke eines Confliktes zwiſchen
dem Nationalitäts- und dem abſtrakten Staats- und Rechts-
Prinzip oder, wenn man dabei auch die kirchliche Bedeutung
des modernen Roms mit ins Auge faſſen darf, der Gedanke des
Gegenſatzes der Nationalität und allgemeiner, ſupranationaler
Tendenzen. Die geiſtige Subſtanz, die Rom in ſich birgt, iſt
ein Scheidewaſſer, das, ſowie es mit dem lebendigen Organis-
mus einer Nationalität in Berührung tritt, ihn ſchmerzhaft er-
regt, ja wohl gar zerſetzt und auflöſt. Mit der eignen nationa-
len Selbſtüberwindung beginnt die Geſchichte Roms, ihr höchſter
Glanzpunkt zeigt uns den römiſchen Staat, ſtehend an der
Gränzſcheide der antiken und modernen Welt, zu ſeinen Füßen,
zermalmt und zerrieben die Völker der damaligen Zeit. Nach
dem Sturz dieſer politiſchen Weltherrſchaft erhebt ſich auf der-
ſelben Stätte die Weltherrſchaft der Kirche, eine Herrſchaft des
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