Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts. [Tabelle] Diese Spuren sind aber meiner Ansicht nach nicht genügend, So wenig nun auch das älteste römische Recht uns sichere 218) Man könnte fragen: woher für ein und dasselbe Volk zwei Formen
der Ehe? Allein diese Mehrheit der Eingehungsarten der Ehe ist gar nicht auffällig. Das mosaische Recht kennt zwei Eingehungsarten, mit und ohne Verkauf (Michaelis mosaisch. Recht B. II. §. 85, 86) das indische acht, frei- lich auf wunderlichen Unterschieden beruhende Arten der Ehe (von Bohlen das alte Indien B. 2 S. 141 fl.) in den slavischen Ländern findet sich in christ- licher Zeit neben der kanonischen Form der Eingehung noch die alte weltliche (Maciejowski Slavische Rechtsgeschichte B. 2 §. 194), und selbst die Gegen- wart mit ihrer Civilehe kann uns als Beispiel dienen. Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. [Tabelle] Dieſe Spuren ſind aber meiner Anſicht nach nicht genügend, So wenig nun auch das älteſte römiſche Recht uns ſichere 218) Man könnte fragen: woher für ein und daſſelbe Volk zwei Formen
der Ehe? Allein dieſe Mehrheit der Eingehungsarten der Ehe iſt gar nicht auffällig. Das moſaiſche Recht kennt zwei Eingehungsarten, mit und ohne Verkauf (Michaelis moſaiſch. Recht B. II. §. 85, 86) das indiſche acht, frei- lich auf wunderlichen Unterſchieden beruhende Arten der Ehe (von Bohlen das alte Indien B. 2 S. 141 fl.) in den ſlaviſchen Ländern findet ſich in chriſt- licher Zeit neben der kanoniſchen Form der Eingehung noch die alte weltliche (Maciejowski Slaviſche Rechtsgeſchichte B. 2 §. 194), und ſelbſt die Gegen- wart mit ihrer Civilehe kann uns als Beiſpiel dienen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0302" n="284"/> <fw place="top" type="header">Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.</fw><lb/> <table> <row> <cell/> </row> </table> <p>Dieſe Spuren ſind aber meiner Anſicht nach nicht genügend,<lb/> um darauf jenen Schluß zu bauen; höchſtens würden die beiden<lb/> Formen der Ehe einen ſchwachen Anhaltspunkt gewähren. <note place="foot" n="218)">Man könnte fragen: woher für ein und daſſelbe Volk zwei Formen<lb/> der Ehe? Allein dieſe Mehrheit der Eingehungsarten der Ehe iſt gar nicht<lb/> auffällig. Das moſaiſche Recht kennt zwei Eingehungsarten, mit und ohne<lb/> Verkauf (Michaelis moſaiſch. Recht B. <hi rendition="#aq">II.</hi> §. 85, 86) das indiſche acht, frei-<lb/> lich auf wunderlichen Unterſchieden beruhende Arten der Ehe (von Bohlen das<lb/> alte Indien B. 2 S. 141 fl.) in den ſlaviſchen Ländern findet ſich in chriſt-<lb/> licher Zeit neben der kanoniſchen Form der Eingehung noch die alte weltliche<lb/> (Maciejowski Slaviſche Rechtsgeſchichte B. 2 §. 194), und ſelbſt die Gegen-<lb/> wart mit ihrer Civilehe kann uns als Beiſpiel dienen.</note></p><lb/> <p>So wenig nun auch das älteſte römiſche Recht uns ſichere<lb/> Spuren einer ſynkretiſtiſchen Entſtehungsgeſchichte darbietet, ſo<lb/> darf man doch die Möglichkeit und Wahrſcheinlichkeit der letzte-<lb/> ren keineswegs in Abrede ſtellen, nur daß man bis jetzt wenig-<lb/> ſtens darauf verzichten muß, die urſprünglichen verſchiedenen<lb/> Elemente des Rechts nachzuweiſen. Aber die Annahme einer<lb/> ſolchen urſprünglichen Verſchiedenheit im Recht iſt mit der An-<lb/> nahme einer ethniſchen Verſchiedenheit der Urelemente der rö-<lb/> miſchen Bevölkerung hinlänglich gerechtfertigt. Für unſern jetzi-<lb/> gen Zweck genügt die Bemerkung, daß ſich eine Beziehung der<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [284/0302]
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
Dieſe Spuren ſind aber meiner Anſicht nach nicht genügend,
um darauf jenen Schluß zu bauen; höchſtens würden die beiden
Formen der Ehe einen ſchwachen Anhaltspunkt gewähren. 218)
So wenig nun auch das älteſte römiſche Recht uns ſichere
Spuren einer ſynkretiſtiſchen Entſtehungsgeſchichte darbietet, ſo
darf man doch die Möglichkeit und Wahrſcheinlichkeit der letzte-
ren keineswegs in Abrede ſtellen, nur daß man bis jetzt wenig-
ſtens darauf verzichten muß, die urſprünglichen verſchiedenen
Elemente des Rechts nachzuweiſen. Aber die Annahme einer
ſolchen urſprünglichen Verſchiedenheit im Recht iſt mit der An-
nahme einer ethniſchen Verſchiedenheit der Urelemente der rö-
miſchen Bevölkerung hinlänglich gerechtfertigt. Für unſern jetzi-
gen Zweck genügt die Bemerkung, daß ſich eine Beziehung der
218) Man könnte fragen: woher für ein und daſſelbe Volk zwei Formen
der Ehe? Allein dieſe Mehrheit der Eingehungsarten der Ehe iſt gar nicht
auffällig. Das moſaiſche Recht kennt zwei Eingehungsarten, mit und ohne
Verkauf (Michaelis moſaiſch. Recht B. II. §. 85, 86) das indiſche acht, frei-
lich auf wunderlichen Unterſchieden beruhende Arten der Ehe (von Bohlen das
alte Indien B. 2 S. 141 fl.) in den ſlaviſchen Ländern findet ſich in chriſt-
licher Zeit neben der kanoniſchen Form der Eingehung noch die alte weltliche
(Maciejowski Slaviſche Rechtsgeſchichte B. 2 §. 194), und ſelbſt die Gegen-
wart mit ihrer Civilehe kann uns als Beiſpiel dienen.
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