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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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2. Der Staat -- Nichtbürger -- Clientel. §. 16.
Rechts der dem Staat angehörigen Nichtbürger erkannt, und
es kann in meinen Augen nicht zweifelhaft sein, daß alle
Nichtbürger, also ursprünglich auch die Freigelassenen 139) in
diesem Verhältniß standen. Der Strenge des Rechtsbegriffs
nach war dasselbe gar kein rechtliches, aber wenn es, möchte
ich sagen, auch der Form des Rechts entbehrte, so barg es doch
eine rechtliche Substanz in sich. Die festen Grundsätze, die sich
durch die Sitte über das Verhältniß zwischen Patron und
Clienten ausgebildet hatten, der indirekte Schutz, den das Cri-
minalrecht mit seiner Bestrafung der fraus patroni gewährte,
machten die Lage des Clienten zu einer ziemlich gesicherten und
den Mangel einer Klage gegen den Patron selbst weniger fühl-
bar. Ideen von einem Recht niederer Art setzten sich dem Insti-
tut an, es condensirte und consolidirte sich in der Ansicht des
Volks zu einem Rechtsverhältniß, das nur in der Art seines
Schutzes von den übrigen abwich, 140) und so mochte ein
Schritt vorbereitet werden und als ein wenig bedeutungsvoller
erscheinen, der im Grunde die Vernichtung des Instituts selber
enthält, nämlich der, daß dem Clienten das Recht der eignen
Klage verliehen ward. Von der alten Unfähigkeit des Clien-
ten, Klage zu erheben, blieb als Reminiscenz noch die, daß
er ohne spezielle Erlaubniß des Prätors seinen Patron nicht in
jus
vociren d. h. ihn wider seinen Willen nicht verklagen durfte.
Jener Schritt selbst aber ward gewiß wesentlich beschleunigt

139) Daß ich mit Niebuhr Röm. Gesch. 4. Aufl. B. 1 S. 622,
Göttling röm. Staatsverf. S. 147 u. a. den Freigelassenen für die älteste
Zeit das Bürgerrecht abspreche, bedarf, glaube ich, keiner Rechtfertigung.
140) Hinsichtlich der persönlichen und vermögensrechtlichen Stellung
der Kinder gebraucht derselbe Prozeß der Entwicklung vom Factum zum Recht
oder von der nur durch die Sitte gebundenen Willkühr des Vaters zur Aner-
kennung der privatrechtlichen Selbständigkeit des Kindes unendlich viel längere
Zeit; es braucht wohl nicht gesagt zu werden, worin der Grund der Verschie-
denheit liegt.

2. Der Staat — Nichtbürger — Clientel. §. 16.
Rechts der dem Staat angehörigen Nichtbürger erkannt, und
es kann in meinen Augen nicht zweifelhaft ſein, daß alle
Nichtbürger, alſo urſprünglich auch die Freigelaſſenen 139) in
dieſem Verhältniß ſtanden. Der Strenge des Rechtsbegriffs
nach war daſſelbe gar kein rechtliches, aber wenn es, möchte
ich ſagen, auch der Form des Rechts entbehrte, ſo barg es doch
eine rechtliche Subſtanz in ſich. Die feſten Grundſätze, die ſich
durch die Sitte über das Verhältniß zwiſchen Patron und
Clienten ausgebildet hatten, der indirekte Schutz, den das Cri-
minalrecht mit ſeiner Beſtrafung der fraus patroni gewährte,
machten die Lage des Clienten zu einer ziemlich geſicherten und
den Mangel einer Klage gegen den Patron ſelbſt weniger fühl-
bar. Ideen von einem Recht niederer Art ſetzten ſich dem Inſti-
tut an, es condenſirte und conſolidirte ſich in der Anſicht des
Volks zu einem Rechtsverhältniß, das nur in der Art ſeines
Schutzes von den übrigen abwich, 140) und ſo mochte ein
Schritt vorbereitet werden und als ein wenig bedeutungsvoller
erſcheinen, der im Grunde die Vernichtung des Inſtituts ſelber
enthält, nämlich der, daß dem Clienten das Recht der eignen
Klage verliehen ward. Von der alten Unfähigkeit des Clien-
ten, Klage zu erheben, blieb als Reminiscenz noch die, daß
er ohne ſpezielle Erlaubniß des Prätors ſeinen Patron nicht in
jus
vociren d. h. ihn wider ſeinen Willen nicht verklagen durfte.
Jener Schritt ſelbſt aber ward gewiß weſentlich beſchleunigt

139) Daß ich mit Niebuhr Röm. Geſch. 4. Aufl. B. 1 S. 622,
Göttling röm. Staatsverf. S. 147 u. a. den Freigelaſſenen für die älteſte
Zeit das Bürgerrecht abſpreche, bedarf, glaube ich, keiner Rechtfertigung.
140) Hinſichtlich der perſönlichen und vermögensrechtlichen Stellung
der Kinder gebraucht derſelbe Prozeß der Entwicklung vom Factum zum Recht
oder von der nur durch die Sitte gebundenen Willkühr des Vaters zur Aner-
kennung der privatrechtlichen Selbſtändigkeit des Kindes unendlich viel längere
Zeit; es braucht wohl nicht geſagt zu werden, worin der Grund der Verſchie-
denheit liegt.
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[237/0255] 2. Der Staat — Nichtbürger — Clientel. §. 16. Rechts der dem Staat angehörigen Nichtbürger erkannt, und es kann in meinen Augen nicht zweifelhaft ſein, daß alle Nichtbürger, alſo urſprünglich auch die Freigelaſſenen 139) in dieſem Verhältniß ſtanden. Der Strenge des Rechtsbegriffs nach war daſſelbe gar kein rechtliches, aber wenn es, möchte ich ſagen, auch der Form des Rechts entbehrte, ſo barg es doch eine rechtliche Subſtanz in ſich. Die feſten Grundſätze, die ſich durch die Sitte über das Verhältniß zwiſchen Patron und Clienten ausgebildet hatten, der indirekte Schutz, den das Cri- minalrecht mit ſeiner Beſtrafung der fraus patroni gewährte, machten die Lage des Clienten zu einer ziemlich geſicherten und den Mangel einer Klage gegen den Patron ſelbſt weniger fühl- bar. Ideen von einem Recht niederer Art ſetzten ſich dem Inſti- tut an, es condenſirte und conſolidirte ſich in der Anſicht des Volks zu einem Rechtsverhältniß, das nur in der Art ſeines Schutzes von den übrigen abwich, 140) und ſo mochte ein Schritt vorbereitet werden und als ein wenig bedeutungsvoller erſcheinen, der im Grunde die Vernichtung des Inſtituts ſelber enthält, nämlich der, daß dem Clienten das Recht der eignen Klage verliehen ward. Von der alten Unfähigkeit des Clien- ten, Klage zu erheben, blieb als Reminiscenz noch die, daß er ohne ſpezielle Erlaubniß des Prätors ſeinen Patron nicht in jus vociren d. h. ihn wider ſeinen Willen nicht verklagen durfte. Jener Schritt ſelbſt aber ward gewiß weſentlich beſchleunigt 139) Daß ich mit Niebuhr Röm. Geſch. 4. Aufl. B. 1 S. 622, Göttling röm. Staatsverf. S. 147 u. a. den Freigelaſſenen für die älteſte Zeit das Bürgerrecht abſpreche, bedarf, glaube ich, keiner Rechtfertigung. 140) Hinſichtlich der perſönlichen und vermögensrechtlichen Stellung der Kinder gebraucht derſelbe Prozeß der Entwicklung vom Factum zum Recht oder von der nur durch die Sitte gebundenen Willkühr des Vaters zur Aner- kennung der privatrechtlichen Selbſtändigkeit des Kindes unendlich viel längere Zeit; es braucht wohl nicht geſagt zu werden, worin der Grund der Verſchie- denheit liegt.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/255>, abgerufen am 22.11.2024.