Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.2. Der Staat -- Der internationale Rechtsverkehr. §. 16. verkehr nur das Werk spezieller zwischen den einzelnen Staatenabgeschlossener Verträge war und der Ausdehnung wie der Art und dem Maß nach durch sie bestimmt war. Das internatio- nale Recht löste sich also auf in Rechte, die zwei Völker sich für ihren Verkehr gegenseitig eingeräumt hatten, erscheint als ein Inbegriff von Vertragsnormen, die gegenüber diesem Volke diesen, gegenüber jenem einen andern Inhalt hatten. Der Ver- trag, dessen schöpferische Kraft uns schon im Innern des Staats bei so manchem Institute begegnet ist, zeigt sich uns auch hier wieder in gleicher Weise wirksam. Wie er im Innern den Ue- bergang von der öffentlichen und Privatselbsthülfe zur Crimi- nal- und Civilgerichtsbarkeit vermittelt, so hier den von dem primitiven Kriegsfuß zur rechtlichen Organisirung des interna- tionalen Verkehrs. Vom Standpunkt unserer heutigen Rechts- ansicht aus, der nichts natürlicher erscheint, als daß auch der Fremde den Rechtsschutz unseres Staates in Anspruch nehmen könne, betrachten wir die praktische Verwirklichung dieser An- sicht, die Thatsache, daß das über den civilisirten Theil der Welt sich ausspannende Gebiet des Rechts dem Menschen als solchem, sei er Staatsbürger oder Fremder die freiste Bewegung möglich macht, als eine nothwendige, sich von selbst verstehende und denken nicht daran, wie allmählig und mühsam das Recht, nachdem es einmal sich von seiner engumgränzten Heimath, dem einzelnen Staat, loszureißen und weitere Kreise zu suchen wagte, sich jeden Zoll Landes hat erkämpfen müssen. Was uns heutzutage in der Natur des Rechts selbst zu liegen scheint, ist zum großen Theil nichts weniger als eine dem Menschen- Geschlecht von vornherein mitgegebene Anschauung und ver- dankt seine praktische Realität nicht der Macht der rechtlichen Ueberzeugung, der Idee der Gerechtigkeit, sondern ist das Werk einer durch materielle Gründe, durch die Noth des Lebens und den Drang der Umstände in Bewegung gesetzten und erhaltenen und durch Motive der Zweckmäßigkeit geleiteten mensch- lichen Thätigkeit. Erst wenn diese Kräfte die schwerste Arbeit 2. Der Staat — Der internationale Rechtsverkehr. §. 16. verkehr nur das Werk ſpezieller zwiſchen den einzelnen Staatenabgeſchloſſener Verträge war und der Ausdehnung wie der Art und dem Maß nach durch ſie beſtimmt war. Das internatio- nale Recht löſte ſich alſo auf in Rechte, die zwei Völker ſich für ihren Verkehr gegenſeitig eingeräumt hatten, erſcheint als ein Inbegriff von Vertragsnormen, die gegenüber dieſem Volke dieſen, gegenüber jenem einen andern Inhalt hatten. Der Ver- trag, deſſen ſchöpferiſche Kraft uns ſchon im Innern des Staats bei ſo manchem Inſtitute begegnet iſt, zeigt ſich uns auch hier wieder in gleicher Weiſe wirkſam. Wie er im Innern den Ue- bergang von der öffentlichen und Privatſelbſthülfe zur Crimi- nal- und Civilgerichtsbarkeit vermittelt, ſo hier den von dem primitiven Kriegsfuß zur rechtlichen Organiſirung des interna- tionalen Verkehrs. Vom Standpunkt unſerer heutigen Rechts- anſicht aus, der nichts natürlicher erſcheint, als daß auch der Fremde den Rechtsſchutz unſeres Staates in Anſpruch nehmen könne, betrachten wir die praktiſche Verwirklichung dieſer An- ſicht, die Thatſache, daß das über den civiliſirten Theil der Welt ſich ausſpannende Gebiet des Rechts dem Menſchen als ſolchem, ſei er Staatsbürger oder Fremder die freiſte Bewegung möglich macht, als eine nothwendige, ſich von ſelbſt verſtehende und denken nicht daran, wie allmählig und mühſam das Recht, nachdem es einmal ſich von ſeiner engumgränzten Heimath, dem einzelnen Staat, loszureißen und weitere Kreiſe zu ſuchen wagte, ſich jeden Zoll Landes hat erkämpfen müſſen. Was uns heutzutage in der Natur des Rechts ſelbſt zu liegen ſcheint, iſt zum großen Theil nichts weniger als eine dem Menſchen- Geſchlecht von vornherein mitgegebene Anſchauung und ver- dankt ſeine praktiſche Realität nicht der Macht der rechtlichen Ueberzeugung, der Idee der Gerechtigkeit, ſondern iſt das Werk einer durch materielle Gründe, durch die Noth des Lebens und den Drang der Umſtände in Bewegung geſetzten und erhaltenen und durch Motive der Zweckmäßigkeit geleiteten menſch- lichen Thätigkeit. Erſt wenn dieſe Kräfte die ſchwerſte Arbeit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0247" n="229"/><fw place="top" type="header">2. Der Staat — Der internationale Rechtsverkehr. §. 16.</fw><lb/> verkehr nur das Werk ſpezieller zwiſchen den einzelnen Staaten<lb/> abgeſchloſſener Verträge war und der Ausdehnung wie der Art<lb/> und dem Maß nach durch ſie beſtimmt war. 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2. Der Staat — Der internationale Rechtsverkehr. §. 16.
verkehr nur das Werk ſpezieller zwiſchen den einzelnen Staaten
abgeſchloſſener Verträge war und der Ausdehnung wie der Art
und dem Maß nach durch ſie beſtimmt war. Das internatio-
nale Recht löſte ſich alſo auf in Rechte, die zwei Völker ſich
für ihren Verkehr gegenſeitig eingeräumt hatten, erſcheint als
ein Inbegriff von Vertragsnormen, die gegenüber dieſem Volke
dieſen, gegenüber jenem einen andern Inhalt hatten. Der Ver-
trag, deſſen ſchöpferiſche Kraft uns ſchon im Innern des Staats
bei ſo manchem Inſtitute begegnet iſt, zeigt ſich uns auch hier
wieder in gleicher Weiſe wirkſam. Wie er im Innern den Ue-
bergang von der öffentlichen und Privatſelbſthülfe zur Crimi-
nal- und Civilgerichtsbarkeit vermittelt, ſo hier den von dem
primitiven Kriegsfuß zur rechtlichen Organiſirung des interna-
tionalen Verkehrs. Vom Standpunkt unſerer heutigen Rechts-
anſicht aus, der nichts natürlicher erſcheint, als daß auch der
Fremde den Rechtsſchutz unſeres Staates in Anſpruch nehmen
könne, betrachten wir die praktiſche Verwirklichung dieſer An-
ſicht, die Thatſache, daß das über den civiliſirten Theil der
Welt ſich ausſpannende Gebiet des Rechts dem Menſchen als
ſolchem, ſei er Staatsbürger oder Fremder die freiſte Bewegung
möglich macht, als eine nothwendige, ſich von ſelbſt verſtehende
und denken nicht daran, wie allmählig und mühſam das Recht,
nachdem es einmal ſich von ſeiner engumgränzten Heimath,
dem einzelnen Staat, loszureißen und weitere Kreiſe zu ſuchen
wagte, ſich jeden Zoll Landes hat erkämpfen müſſen. Was
uns heutzutage in der Natur des Rechts ſelbſt zu liegen ſcheint,
iſt zum großen Theil nichts weniger als eine dem Menſchen-
Geſchlecht von vornherein mitgegebene Anſchauung und ver-
dankt ſeine praktiſche Realität nicht der Macht der rechtlichen
Ueberzeugung, der Idee der Gerechtigkeit, ſondern iſt das Werk
einer durch materielle Gründe, durch die Noth des Lebens und
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