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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts.

An die bisher erörterte ursprüngliche Rechtlosigkeit des
Nichtbürgers knüpft die fernere Entwicklung des römischen
Rechts in mannigfacher Weise an. Zuerst nämlich das Sachen-
recht mit seinem Recht der Beute, das wir früher (§. 10) als die
Wurzel des römischen Eigenthumsbegriffs bezeichnet haben.
Das römische Eigenthum entsteht durch die Bethätigung römi-
scher Kraft am rechtlosen Fremden. Aber wenn es einerseits
sich auf den Krieg stützt und ihn veranlaßt, so birgt es anderer-
seits in sich auch die Keime des friedlichen Verkehrs. Austausch
der Eigenthumsgegenstände baut die Brücke zwischen den isolir-
ten oder befeindeten Völkern, und dem Soldaten, der den Krieg
brachte, folgt der Kaufmann, der den Frieden sucht. Der Han-
del ist nicht bloß daheim für die Entwicklung des Privatrechts
die treibende Kraft, sondern auch für die Ausbildung des Völ-
kerrechts. Für den Handel mit seiner unaufhaltsam thätigen,
expansiven Tendenz ist die auf die Scholle beschränkte Natur des
Rechts am fühlbarsten und lästigsten; wie er die Hemmnisse des
freien Verkehrs hinwegzuräumen strebt, die die Natur ihm ent-
gegensetzt, so auch die, welche eine beschränkte Rechtsansicht ihm
bereitet. Er ist es, der gegenüber der Exklusivität der nationa-
len Rechtsansicht das kosmopolitische Element im römischen
Recht zur Existenz und Ausbildung gebracht hat. Ein Zwischen-
händler war der erste Vorkämpfer der Cultur; er vermittelte mit
dem Austausch der materiellen Güter auch den der geistigen 128)

Staatsregierung abgeschlossener Allianzvertrag. Das materielle Interesse des
Auslands, das durch dieses und andere Mittel an dem Bestehen unseres
Staats betheiligt wird, ist ein mächtigerer Bundesgenosse, als nationale
Sympathieen, und unter den Friedensaposteln einer der wirksamsten.
128) Ich kann mir nicht versagen darauf aufmerksam zu machen, wie
die lateinische Sprache selbst darauf hinweist. Ihr Interpres, der Vermittler
und Ausleger, ist ursprünglich nichts, als unser "Zwischenhändler." Das
Wort stammt her von inter und pretium, bezeichnet also einen, der den Preis
zwischen trägt. Dieser Zwischenhändler war der erste Dollmetsch und Ver-
mittler, und auf diese besonders in die Augen fallende Eigenschaft hat sich
später der Sinn des Wortes reducirt.
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.

An die bisher erörterte urſprüngliche Rechtloſigkeit des
Nichtbürgers knüpft die fernere Entwicklung des römiſchen
Rechts in mannigfacher Weiſe an. Zuerſt nämlich das Sachen-
recht mit ſeinem Recht der Beute, das wir früher (§. 10) als die
Wurzel des römiſchen Eigenthumsbegriffs bezeichnet haben.
Das römiſche Eigenthum entſteht durch die Bethätigung römi-
ſcher Kraft am rechtloſen Fremden. Aber wenn es einerſeits
ſich auf den Krieg ſtützt und ihn veranlaßt, ſo birgt es anderer-
ſeits in ſich auch die Keime des friedlichen Verkehrs. Austauſch
der Eigenthumsgegenſtände baut die Brücke zwiſchen den iſolir-
ten oder befeindeten Völkern, und dem Soldaten, der den Krieg
brachte, folgt der Kaufmann, der den Frieden ſucht. Der Han-
del iſt nicht bloß daheim für die Entwicklung des Privatrechts
die treibende Kraft, ſondern auch für die Ausbildung des Völ-
kerrechts. Für den Handel mit ſeiner unaufhaltſam thätigen,
expanſiven Tendenz iſt die auf die Scholle beſchränkte Natur des
Rechts am fühlbarſten und läſtigſten; wie er die Hemmniſſe des
freien Verkehrs hinwegzuräumen ſtrebt, die die Natur ihm ent-
gegenſetzt, ſo auch die, welche eine beſchränkte Rechtsanſicht ihm
bereitet. Er iſt es, der gegenüber der Exkluſivität der nationa-
len Rechtsanſicht das kosmopolitiſche Element im römiſchen
Recht zur Exiſtenz und Ausbildung gebracht hat. Ein Zwiſchen-
händler war der erſte Vorkämpfer der Cultur; er vermittelte mit
dem Austauſch der materiellen Güter auch den der geiſtigen 128)

Staatsregierung abgeſchloſſener Allianzvertrag. Das materielle Intereſſe des
Auslands, das durch dieſes und andere Mittel an dem Beſtehen unſeres
Staats betheiligt wird, iſt ein mächtigerer Bundesgenoſſe, als nationale
Sympathieen, und unter den Friedensapoſteln einer der wirkſamſten.
128) Ich kann mir nicht verſagen darauf aufmerkſam zu machen, wie
die lateiniſche Sprache ſelbſt darauf hinweiſt. Ihr Interpres, der Vermittler
und Ausleger, iſt urſprünglich nichts, als unſer „Zwiſchenhändler.“ Das
Wort ſtammt her von inter und pretium, bezeichnet alſo einen, der den Preis
zwiſchen trägt. Dieſer Zwiſchenhändler war der erſte Dollmetſch und Ver-
mittler, und auf dieſe beſonders in die Augen fallende Eigenſchaft hat ſich
ſpäter der Sinn des Wortes reducirt.
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[226/0244] Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. An die bisher erörterte urſprüngliche Rechtloſigkeit des Nichtbürgers knüpft die fernere Entwicklung des römiſchen Rechts in mannigfacher Weiſe an. Zuerſt nämlich das Sachen- recht mit ſeinem Recht der Beute, das wir früher (§. 10) als die Wurzel des römiſchen Eigenthumsbegriffs bezeichnet haben. Das römiſche Eigenthum entſteht durch die Bethätigung römi- ſcher Kraft am rechtloſen Fremden. Aber wenn es einerſeits ſich auf den Krieg ſtützt und ihn veranlaßt, ſo birgt es anderer- ſeits in ſich auch die Keime des friedlichen Verkehrs. Austauſch der Eigenthumsgegenſtände baut die Brücke zwiſchen den iſolir- ten oder befeindeten Völkern, und dem Soldaten, der den Krieg brachte, folgt der Kaufmann, der den Frieden ſucht. Der Han- del iſt nicht bloß daheim für die Entwicklung des Privatrechts die treibende Kraft, ſondern auch für die Ausbildung des Völ- kerrechts. Für den Handel mit ſeiner unaufhaltſam thätigen, expanſiven Tendenz iſt die auf die Scholle beſchränkte Natur des Rechts am fühlbarſten und läſtigſten; wie er die Hemmniſſe des freien Verkehrs hinwegzuräumen ſtrebt, die die Natur ihm ent- gegenſetzt, ſo auch die, welche eine beſchränkte Rechtsanſicht ihm bereitet. Er iſt es, der gegenüber der Exkluſivität der nationa- len Rechtsanſicht das kosmopolitiſche Element im römiſchen Recht zur Exiſtenz und Ausbildung gebracht hat. Ein Zwiſchen- händler war der erſte Vorkämpfer der Cultur; er vermittelte mit dem Austauſch der materiellen Güter auch den der geiſtigen 128) 127) 128) Ich kann mir nicht verſagen darauf aufmerkſam zu machen, wie die lateiniſche Sprache ſelbſt darauf hinweiſt. Ihr Interpres, der Vermittler und Ausleger, iſt urſprünglich nichts, als unſer „Zwiſchenhändler.“ Das Wort ſtammt her von inter und pretium, bezeichnet alſo einen, der den Preis zwiſchen trägt. Dieſer Zwiſchenhändler war der erſte Dollmetſch und Ver- mittler, und auf dieſe beſonders in die Augen fallende Eigenſchaft hat ſich ſpäter der Sinn des Wortes reducirt. 127) Staatsregierung abgeſchloſſener Allianzvertrag. Das materielle Intereſſe des Auslands, das durch dieſes und andere Mittel an dem Beſtehen unſeres Staats betheiligt wird, iſt ein mächtigerer Bundesgenoſſe, als nationale Sympathieen, und unter den Friedensapoſteln einer der wirkſamſten.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/244>, abgerufen am 27.11.2024.