Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts. zu können, als das Recht, das er gewährt und schützt. Wäreder Werth dieser Gabe für jene Zeit nicht ein unendlich höherer, als heutzutage, wäre bereits jene Zeit zur praktischen Aner- kennung der Rechtssubjektivität des Menschen als solchen ge- langt, wie hätte das Recht jenen Dienst leisten können? Wer heutzutage sich einmal entschlossen hat, den Staat, dem er bis- her angehörte, zu verlassen, den hält die Rücksicht auf das Recht nicht zurück, denn wohin er geht, findet er eine Rechtsatmo- sphäre vor, nimmt seine Rechtsfähigkeit mit sich, ja kann sogar in dieser Beziehung gewinnen. Wer aber in jener Zeit, von der wir hier sprechen, aus der Staatsverbindung, in der er stand, heraus treten wollte, der ließ sein Recht zurück, trat aus der Rechtsatmosphäre, die sich für ihn nur über diesen Staat lagerte, in die Stickluft der Rechtlosigkeit, die diesen Staat von allen Seiten umgab. Der Selbsterhaltungstrieb also fesselte ihn an diesen Staat, und so übte der Staat mittelst des Rechts eine Anziehungskraft aus, von der wir keine Ahnung mehr haben, und Recht, Freiheit, Vermögen u. s. w. so wie der Staat selbst als Schirmherr derselben erschienen durch die Folie der Rechtlosigkeit als unschätzbare Güter, deren Werth jeder kannte. Mit dem Wegfallen dieser Folie in der neuern Welt hat sich die Werthschätzung des Rechts bedeutend vermindert, ist das Recht, möchte ich sagen, aus einem Gegenstande des Privateigenthums, den jedes Volk ausschließlich auf sich bezieht, eine res commu- nis omnium, wie Luft und Wasser geworden, an der jeder Mensch, der Einheimische wie der Fremde, participirt, und deren Werth man übersieht, weil man sie überall vorfindet. Dies also die eine Wirkung der hier in Rede stehenden ur- Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. zu können, als das Recht, das er gewährt und ſchützt. Wäreder Werth dieſer Gabe für jene Zeit nicht ein unendlich höherer, als heutzutage, wäre bereits jene Zeit zur praktiſchen Aner- kennung der Rechtsſubjektivität des Menſchen als ſolchen ge- langt, wie hätte das Recht jenen Dienſt leiſten können? Wer heutzutage ſich einmal entſchloſſen hat, den Staat, dem er bis- her angehörte, zu verlaſſen, den hält die Rückſicht auf das Recht nicht zurück, denn wohin er geht, findet er eine Rechtsatmo- ſphäre vor, nimmt ſeine Rechtsfähigkeit mit ſich, ja kann ſogar in dieſer Beziehung gewinnen. Wer aber in jener Zeit, von der wir hier ſprechen, aus der Staatsverbindung, in der er ſtand, heraus treten wollte, der ließ ſein Recht zurück, trat aus der Rechtsatmoſphäre, die ſich für ihn nur über dieſen Staat lagerte, in die Stickluft der Rechtloſigkeit, die dieſen Staat von allen Seiten umgab. Der Selbſterhaltungstrieb alſo feſſelte ihn an dieſen Staat, und ſo übte der Staat mittelſt des Rechts eine Anziehungskraft aus, von der wir keine Ahnung mehr haben, und Recht, Freiheit, Vermögen u. ſ. w. ſo wie der Staat ſelbſt als Schirmherr derſelben erſchienen durch die Folie der Rechtloſigkeit als unſchätzbare Güter, deren Werth jeder kannte. Mit dem Wegfallen dieſer Folie in der neuern Welt hat ſich die Werthſchätzung des Rechts bedeutend vermindert, iſt das Recht, möchte ich ſagen, aus einem Gegenſtande des Privateigenthums, den jedes Volk ausſchließlich auf ſich bezieht, eine res commu- nis omnium, wie Luft und Waſſer geworden, an der jeder Menſch, der Einheimiſche wie der Fremde, participirt, und deren Werth man überſieht, weil man ſie überall vorfindet. Dies alſo die eine Wirkung der hier in Rede ſtehenden ur- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0242" n="224"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.</fw><lb/> zu können, als das Recht, das er gewährt und ſchützt. 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Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
zu können, als das Recht, das er gewährt und ſchützt. Wäre
der Werth dieſer Gabe für jene Zeit nicht ein unendlich höherer,
als heutzutage, wäre bereits jene Zeit zur praktiſchen Aner-
kennung der Rechtsſubjektivität des Menſchen als ſolchen ge-
langt, wie hätte das Recht jenen Dienſt leiſten können? Wer
heutzutage ſich einmal entſchloſſen hat, den Staat, dem er bis-
her angehörte, zu verlaſſen, den hält die Rückſicht auf das Recht
nicht zurück, denn wohin er geht, findet er eine Rechtsatmo-
ſphäre vor, nimmt ſeine Rechtsfähigkeit mit ſich, ja kann ſogar
in dieſer Beziehung gewinnen. Wer aber in jener Zeit, von der
wir hier ſprechen, aus der Staatsverbindung, in der er ſtand,
heraus treten wollte, der ließ ſein Recht zurück, trat aus der
Rechtsatmoſphäre, die ſich für ihn nur über dieſen Staat
lagerte, in die Stickluft der Rechtloſigkeit, die dieſen Staat von
allen Seiten umgab. Der Selbſterhaltungstrieb alſo feſſelte
ihn an dieſen Staat, und ſo übte der Staat mittelſt des Rechts
eine Anziehungskraft aus, von der wir keine Ahnung mehr
haben, und Recht, Freiheit, Vermögen u. ſ. w. ſo wie der Staat
ſelbſt als Schirmherr derſelben erſchienen durch die Folie der
Rechtloſigkeit als unſchätzbare Güter, deren Werth jeder kannte.
Mit dem Wegfallen dieſer Folie in der neuern Welt hat ſich die
Werthſchätzung des Rechts bedeutend vermindert, iſt das Recht,
möchte ich ſagen, aus einem Gegenſtande des Privateigenthums,
den jedes Volk ausſchließlich auf ſich bezieht, eine res commu-
nis omnium, wie Luft und Waſſer geworden, an der jeder
Menſch, der Einheimiſche wie der Fremde, participirt, und deren
Werth man überſieht, weil man ſie überall vorfindet.
Dies alſo die eine Wirkung der hier in Rede ſtehenden ur-
ſprünglichen Rechtsanſicht; ſie reſervirt dem Staat die vorhan-
denen Kräfte. Die zweite ſetzten wir darin, daß ſie zum Schutz
des Staats die vorhandenen Kräfte auf ihr höchſtes Maß
ſpannt. Bei jedem Angriff auf Einzelne wie auf Staaten richtet
ſich die höhere oder geringere Spannung der vorhandenen Wi-
derſtandskraft nach dem Werth oder der ſubjektiven Werth-
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