Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.2. Der Staat -- vindicta publica. §. 15. kann, die ganze Auffassung, um die es uns hier zu thun ist,daß nämlich die Bürger, nicht der Staat das Subjekt der öf- fentlichen Rechte sind, abspiegelte, darauf braucht wohl nicht erst besonders aufmerksam gemacht zu werden. Die Privatrache hatte Genugthuung für eine zugefügte Unbill Der Uebergang von der Volksjustiz zur organisirten Straf- 105) Rubino Untersuchungen über römische Verf. S. 478 u. f. hebt
die Provokation "als einen geringen Ueberrest einer in der Vorzeit gegen die innern Feinde der Staatsgesellschaft üblichen Volksjustiz" hervor. 2. Der Staat — vindicta publica. §. 15. kann, die ganze Auffaſſung, um die es uns hier zu thun iſt,daß nämlich die Bürger, nicht der Staat das Subjekt der öf- fentlichen Rechte ſind, abſpiegelte, darauf braucht wohl nicht erſt beſonders aufmerkſam gemacht zu werden. Die Privatrache hatte Genugthuung für eine zugefügte Unbill Der Uebergang von der Volksjuſtiz zur organiſirten Straf- 105) Rubino Unterſuchungen über römiſche Verf. S. 478 u. f. hebt
die Provokation „als einen geringen Ueberreſt einer in der Vorzeit gegen die innern Feinde der Staatsgeſellſchaft üblichen Volksjuſtiz“ hervor. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0215" n="197"/><fw place="top" type="header">2. Der Staat — <hi rendition="#aq">vindicta publica</hi>. §. 15.</fw><lb/> kann, die ganze Auffaſſung, um die es uns hier zu thun iſt,<lb/> daß nämlich die Bürger, nicht der Staat das Subjekt der öf-<lb/> fentlichen Rechte ſind, abſpiegelte, darauf braucht wohl nicht<lb/> erſt beſonders aufmerkſam gemacht zu werden.</p><lb/> <p>Die Privatrache hatte Genugthuung für eine zugefügte Unbill<lb/> zum Zweck, die Handlung, die ſie veranlaßte, war ein <hi rendition="#aq">delictum<lb/> privatum,</hi> bezog ſich ausſchließlich auf das Recht dieſer verletz-<lb/> ten Perſon. War aber durch das Delikt dem ganzen Volk eine<lb/> Unbill zugefügt (<hi rendition="#aq">delictum, crimen publicum</hi>) — und dies war<lb/> mittelbar auch bei einer Handlung möglich, die zunächſt nur<lb/> gegen eine Privatperſon gerichtet war — ſo verſtand ſich auch<lb/> hier die Rache des Verletzten von ſelbſt, das ganze Volk übte<lb/> Rache (<hi rendition="#aq">vindicta publica</hi>). In einzelnen Spuren ſchimmert die-<lb/> ſer primitive Zuſtand, von dem die Geſchichte uns bei andern<lb/> Völkern ſo viele Beiſpiele gewährt und täglich unter unſern<lb/> Augen wiederholt, noch deutlich genug durch. <note place="foot" n="105)">Rubino Unterſuchungen über römiſche Verf. S. 478 u. f. hebt<lb/> die Provokation „als einen geringen Ueberreſt einer in der Vorzeit gegen<lb/> die innern Feinde der Staatsgeſellſchaft üblichen Volksjuſtiz“ hervor.</note> Den fal-<lb/> ſchen Zeugen ſtürzte das Volk vom tarpejiſchen Felſen, und<lb/> den <hi rendition="#aq">homo sacer,</hi> über den wir erſt bei Gelegenheit des religiö-<lb/> ſen Prinzips handeln können, ſchlug todt, wer da Luſt hatte.<lb/> Wie nun aus der Privatrache ſich die Klage auf Privatſtrafe<lb/> entwickelte, ſo aus der <hi rendition="#aq">vindicta publica</hi> die auf öffentliche Strafe<lb/> (<hi rendition="#aq">judicium publicum</hi>). In ſpäterer Zeit, als der <hi rendition="#g">Staat</hi>, nicht<lb/> die Totalität der Einzelnen als der Verletzte aufgefaßt wird,<lb/> fallen Delikt und Verbrechen, Privat- und öffentliche Strafe<lb/> ſowohl ihrem Begriff als der Form des Verfahrens nach weit<lb/> auseinander, allein das urſprüngliche iſt auch hier die Identität<lb/> der Gegenſätze, wie ſie ſich noch darin ausſpricht, daß die Aus-<lb/> drücke <hi rendition="#aq">delictum, vindicta, poena</hi> ebenſowohl von Verbrechen<lb/> als Privatdelikten gebraucht wurden.</p><lb/> <p>Der Uebergang von der Volksjuſtiz zur organiſirten Straf-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [197/0215]
2. Der Staat — vindicta publica. §. 15.
kann, die ganze Auffaſſung, um die es uns hier zu thun iſt,
daß nämlich die Bürger, nicht der Staat das Subjekt der öf-
fentlichen Rechte ſind, abſpiegelte, darauf braucht wohl nicht
erſt beſonders aufmerkſam gemacht zu werden.
Die Privatrache hatte Genugthuung für eine zugefügte Unbill
zum Zweck, die Handlung, die ſie veranlaßte, war ein delictum
privatum, bezog ſich ausſchließlich auf das Recht dieſer verletz-
ten Perſon. War aber durch das Delikt dem ganzen Volk eine
Unbill zugefügt (delictum, crimen publicum) — und dies war
mittelbar auch bei einer Handlung möglich, die zunächſt nur
gegen eine Privatperſon gerichtet war — ſo verſtand ſich auch
hier die Rache des Verletzten von ſelbſt, das ganze Volk übte
Rache (vindicta publica). In einzelnen Spuren ſchimmert die-
ſer primitive Zuſtand, von dem die Geſchichte uns bei andern
Völkern ſo viele Beiſpiele gewährt und täglich unter unſern
Augen wiederholt, noch deutlich genug durch. 105) Den fal-
ſchen Zeugen ſtürzte das Volk vom tarpejiſchen Felſen, und
den homo sacer, über den wir erſt bei Gelegenheit des religiö-
ſen Prinzips handeln können, ſchlug todt, wer da Luſt hatte.
Wie nun aus der Privatrache ſich die Klage auf Privatſtrafe
entwickelte, ſo aus der vindicta publica die auf öffentliche Strafe
(judicium publicum). In ſpäterer Zeit, als der Staat, nicht
die Totalität der Einzelnen als der Verletzte aufgefaßt wird,
fallen Delikt und Verbrechen, Privat- und öffentliche Strafe
ſowohl ihrem Begriff als der Form des Verfahrens nach weit
auseinander, allein das urſprüngliche iſt auch hier die Identität
der Gegenſätze, wie ſie ſich noch darin ausſpricht, daß die Aus-
drücke delictum, vindicta, poena ebenſowohl von Verbrechen
als Privatdelikten gebraucht wurden.
Der Uebergang von der Volksjuſtiz zur organiſirten Straf-
105) Rubino Unterſuchungen über römiſche Verf. S. 478 u. f. hebt
die Provokation „als einen geringen Ueberreſt einer in der Vorzeit gegen
die innern Feinde der Staatsgeſellſchaft üblichen Volksjuſtiz“ hervor.
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Zitationshilfe: | Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/215>, abgerufen am 26.07.2024. |