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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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2. Der Staat -- allgemeine Betrachtung. §. 13.

Es ist nun bemerkenswerth, daß dieser zweite Ausfluß des
Familienprinzips in Rom nicht oder nicht mehr hervortritt. Die
Punkte, die er sonst einnehmen würde, nämlich die der Ueber-
und Unterordnung, fallen hier der Wehrverfassung zu. Die
Wehrverfassung steht auf der Stufenleiter von Formen der staat-
lichen Gemeinschaft höher, als die Familienverfassung; insofern
sie nämlich erstens nicht ein bloßes Naturprodukt, sondern ein
Werk menschlicher Ordnung und Einsicht ist, und zweitens trotz
der härtern Disciplin, die sie in den Staat hineinbringt, doch
der privatrechtlichen Freiheit einen größeren Spielraum gewährt,
die politische und privatrechtliche Existenz des Individuums nicht
in dem Grade vermengt, wie dies in der Familienverfassung
geschieht. Sie tritt als Form des Staats nicht selten auf, na-
mentlich gern in Verbindung mit dem Grundeigenthum, näm-
lich im Lehnsstaat wie z. B. bei den Germanen und Osmanen,
und dann auch wie in Rom und bei den Germanen zur Zeit
ihres ersten Auftretens in der Geschichte in Verbindung mit dem
Familienprinzip. Mit dem Patriarchalstaat ist sie incompatibel;
die demselben eigenthümliche Vererbung der Staatsämter würde
ihrem Interesse schnurstracks entgegenlaufen, und ebenso ist auch
die staatliche Unterordnung, die beide begründen, ihrem Geist
nach eine völlig verschiedene. Es liegt die Vermuthung nahe,
daß wo wir, wie bei den alten Römern und Germanen, die
Wehrverfassung in Verbindung mit dem Geschlechterstaat auf-
treten sehen, erstere den Patriarchalstaat verdrängt hat. Der
ursprünglich diese beiden Ausflüsse des Familienprinzips in sich
vereinigende Familienstaat erwies sich bei fortgesetzter kriegeri-
scher Lebensweise unzureichend. Das militärische Interesse war
prädominirend und bewirkte, daß die erblichen Würden des Pa-
triarchalstaats den nach persönlicher Tüchtigkeit vergebenen mi-
litärischen Aemtern Platz machten, die Geschlechtereintheilung
aber sich den Anforderungen der Wehrverfassung fügte.

Indem wir uns jetzt unserer eigentlichen Aufgabe zuwenden,
bemerken wir, daß dieselbe nicht bloß darin besteht, darzuthun,

2. Der Staat — allgemeine Betrachtung. §. 13.

Es iſt nun bemerkenswerth, daß dieſer zweite Ausfluß des
Familienprinzips in Rom nicht oder nicht mehr hervortritt. Die
Punkte, die er ſonſt einnehmen würde, nämlich die der Ueber-
und Unterordnung, fallen hier der Wehrverfaſſung zu. Die
Wehrverfaſſung ſteht auf der Stufenleiter von Formen der ſtaat-
lichen Gemeinſchaft höher, als die Familienverfaſſung; inſofern
ſie nämlich erſtens nicht ein bloßes Naturprodukt, ſondern ein
Werk menſchlicher Ordnung und Einſicht iſt, und zweitens trotz
der härtern Disciplin, die ſie in den Staat hineinbringt, doch
der privatrechtlichen Freiheit einen größeren Spielraum gewährt,
die politiſche und privatrechtliche Exiſtenz des Individuums nicht
in dem Grade vermengt, wie dies in der Familienverfaſſung
geſchieht. Sie tritt als Form des Staats nicht ſelten auf, na-
mentlich gern in Verbindung mit dem Grundeigenthum, näm-
lich im Lehnsſtaat wie z. B. bei den Germanen und Osmanen,
und dann auch wie in Rom und bei den Germanen zur Zeit
ihres erſten Auftretens in der Geſchichte in Verbindung mit dem
Familienprinzip. Mit dem Patriarchalſtaat iſt ſie incompatibel;
die demſelben eigenthümliche Vererbung der Staatsämter würde
ihrem Intereſſe ſchnurſtracks entgegenlaufen, und ebenſo iſt auch
die ſtaatliche Unterordnung, die beide begründen, ihrem Geiſt
nach eine völlig verſchiedene. Es liegt die Vermuthung nahe,
daß wo wir, wie bei den alten Römern und Germanen, die
Wehrverfaſſung in Verbindung mit dem Geſchlechterſtaat auf-
treten ſehen, erſtere den Patriarchalſtaat verdrängt hat. Der
urſprünglich dieſe beiden Ausflüſſe des Familienprinzips in ſich
vereinigende Familienſtaat erwies ſich bei fortgeſetzter kriegeri-
ſcher Lebensweiſe unzureichend. Das militäriſche Intereſſe war
prädominirend und bewirkte, daß die erblichen Würden des Pa-
triarchalſtaats den nach perſönlicher Tüchtigkeit vergebenen mi-
litäriſchen Aemtern Platz machten, die Geſchlechtereintheilung
aber ſich den Anforderungen der Wehrverfaſſung fügte.

Indem wir uns jetzt unſerer eigentlichen Aufgabe zuwenden,
bemerken wir, daß dieſelbe nicht bloß darin beſteht, darzuthun,

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[167/0185] 2. Der Staat — allgemeine Betrachtung. §. 13. Es iſt nun bemerkenswerth, daß dieſer zweite Ausfluß des Familienprinzips in Rom nicht oder nicht mehr hervortritt. Die Punkte, die er ſonſt einnehmen würde, nämlich die der Ueber- und Unterordnung, fallen hier der Wehrverfaſſung zu. Die Wehrverfaſſung ſteht auf der Stufenleiter von Formen der ſtaat- lichen Gemeinſchaft höher, als die Familienverfaſſung; inſofern ſie nämlich erſtens nicht ein bloßes Naturprodukt, ſondern ein Werk menſchlicher Ordnung und Einſicht iſt, und zweitens trotz der härtern Disciplin, die ſie in den Staat hineinbringt, doch der privatrechtlichen Freiheit einen größeren Spielraum gewährt, die politiſche und privatrechtliche Exiſtenz des Individuums nicht in dem Grade vermengt, wie dies in der Familienverfaſſung geſchieht. Sie tritt als Form des Staats nicht ſelten auf, na- mentlich gern in Verbindung mit dem Grundeigenthum, näm- lich im Lehnsſtaat wie z. B. bei den Germanen und Osmanen, und dann auch wie in Rom und bei den Germanen zur Zeit ihres erſten Auftretens in der Geſchichte in Verbindung mit dem Familienprinzip. Mit dem Patriarchalſtaat iſt ſie incompatibel; die demſelben eigenthümliche Vererbung der Staatsämter würde ihrem Intereſſe ſchnurſtracks entgegenlaufen, und ebenſo iſt auch die ſtaatliche Unterordnung, die beide begründen, ihrem Geiſt nach eine völlig verſchiedene. Es liegt die Vermuthung nahe, daß wo wir, wie bei den alten Römern und Germanen, die Wehrverfaſſung in Verbindung mit dem Geſchlechterſtaat auf- treten ſehen, erſtere den Patriarchalſtaat verdrängt hat. Der urſprünglich dieſe beiden Ausflüſſe des Familienprinzips in ſich vereinigende Familienſtaat erwies ſich bei fortgeſetzter kriegeri- ſcher Lebensweiſe unzureichend. Das militäriſche Intereſſe war prädominirend und bewirkte, daß die erblichen Würden des Pa- triarchalſtaats den nach perſönlicher Tüchtigkeit vergebenen mi- litäriſchen Aemtern Platz machten, die Geſchlechtereintheilung aber ſich den Anforderungen der Wehrverfaſſung fügte. Indem wir uns jetzt unſerer eigentlichen Aufgabe zuwenden, bemerken wir, daß dieſelbe nicht bloß darin beſteht, darzuthun,

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/185>, abgerufen am 27.11.2024.