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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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I. Prinz. d. subj. Willens -- Syst. d. Selbsthülfe -- Zeugengeschäft. §. 11.
heit zu bewähren. Es wäre eine Feigheit von ihm, der Par-
thei, die zum Gegner geht, um sich Recht zu verschaffen, nicht zu
diesem zu folgen, eine Feigheit, sie dort, wenn sie Widerstand
findet, im Stich zu lassen. So finden wir, daß bei dem Schein-
kampf in der reivindicatio von beiden Seiten Gefährten (super-
stites)
mitgehn; wenn dies beim Scheinkampf nöthig schien,
so wird es auch bei der wirklichen Selbsthülfe der Fall gewesen
sein, und wer hätte hier ehr mitgehn müssen, als die Zeugen
des Geschäfts, das zu dieser Selbsthülfe Veranlassung gab?
Auch bei Beginn des Prozesses erscheinen die beiderseitigen Bei-
stände, und wenn der Streit anhängig gemacht ist, ruft man sie
zu Zeugen auf (contestari; daher jener Akt litis contestatio).
Warum? Für einen Akt, der vor dem Prätor (in jure) geschah,
bedurfte es doch wohl nicht der Privatzeugen, sonst hätte man
ja zu jedem andern Akt vor dem Prätor z. B. der confessio in
jure,
der in jure cessio u. s. w. gleichfalls Zeugen zuziehen
und aufrufen müssen, während davon doch nirgends die Rede ist.
Sind jene Zeugen der Litis contestatio nicht vielleicht die alten
Beistände bei der Selbsthülfe, die jetzt mit den Partheien vor
den Prätor gehn?

Der Zeuge des ältesten Rechts, der sich noch lange in der
mancipatio erhielt und in der Testamentsform des neusten rö-
mischen Rechts letztere sogar überlebte, ist Solennitäts-
zeuge
d. h. die Zuziehung desselben ist ein formelles Requisit
des Geschäftes selbst, der Zeuge nimmt Theil an demselben, ist
ein Mithandelnder und muß als solcher zur Theilnahme aufge-
fordert sein und sich dazu bereit erklärt haben. Wer nur beim
Akt gegenwärtig war, ohne zugezogen zu sein, ist nicht Solen-
nitätszeuge, ungeachtet er das glaubwürdigste Zeugniß abzu-
legen vermag. Dasselbe gilt von Personen weiblichen Geschlech-
tes; an Glaubwürdigkeit stehen sie nicht zurück, aber was ihnen
fehlt, ist jene physische Kraft des Mannes, durch die er nöthi-
genfalls seine Worte bewährt, und wegen dieses Mangels
sind sie wie zur Vormundschaft, bei der gleichfalls in ältester

I. Prinz. d. ſubj. Willens — Syſt. d. Selbſthülfe — Zeugengeſchäft. §. 11.
heit zu bewähren. Es wäre eine Feigheit von ihm, der Par-
thei, die zum Gegner geht, um ſich Recht zu verſchaffen, nicht zu
dieſem zu folgen, eine Feigheit, ſie dort, wenn ſie Widerſtand
findet, im Stich zu laſſen. So finden wir, daß bei dem Schein-
kampf in der reivindicatio von beiden Seiten Gefährten (super-
stites)
mitgehn; wenn dies beim Scheinkampf nöthig ſchien,
ſo wird es auch bei der wirklichen Selbſthülfe der Fall geweſen
ſein, und wer hätte hier ehr mitgehn müſſen, als die Zeugen
des Geſchäfts, das zu dieſer Selbſthülfe Veranlaſſung gab?
Auch bei Beginn des Prozeſſes erſcheinen die beiderſeitigen Bei-
ſtände, und wenn der Streit anhängig gemacht iſt, ruft man ſie
zu Zeugen auf (contestari; daher jener Akt litis contestatio).
Warum? Für einen Akt, der vor dem Prätor (in jure) geſchah,
bedurfte es doch wohl nicht der Privatzeugen, ſonſt hätte man
ja zu jedem andern Akt vor dem Prätor z. B. der confessio in
jure,
der in jure cessio u. ſ. w. gleichfalls Zeugen zuziehen
und aufrufen müſſen, während davon doch nirgends die Rede iſt.
Sind jene Zeugen der Litis contestatio nicht vielleicht die alten
Beiſtände bei der Selbſthülfe, die jetzt mit den Partheien vor
den Prätor gehn?

Der Zeuge des älteſten Rechts, der ſich noch lange in der
mancipatio erhielt und in der Teſtamentsform des neuſten rö-
miſchen Rechts letztere ſogar überlebte, iſt Solennitäts-
zeuge
d. h. die Zuziehung deſſelben iſt ein formelles Requiſit
des Geſchäftes ſelbſt, der Zeuge nimmt Theil an demſelben, iſt
ein Mithandelnder und muß als ſolcher zur Theilnahme aufge-
fordert ſein und ſich dazu bereit erklärt haben. Wer nur beim
Akt gegenwärtig war, ohne zugezogen zu ſein, iſt nicht Solen-
nitätszeuge, ungeachtet er das glaubwürdigſte Zeugniß abzu-
legen vermag. Daſſelbe gilt von Perſonen weiblichen Geſchlech-
tes; an Glaubwürdigkeit ſtehen ſie nicht zurück, aber was ihnen
fehlt, iſt jene phyſiſche Kraft des Mannes, durch die er nöthi-
genfalls ſeine Worte bewährt, und wegen dieſes Mangels
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[135/0153] I. Prinz. d. ſubj. Willens — Syſt. d. Selbſthülfe — Zeugengeſchäft. §. 11. heit zu bewähren. Es wäre eine Feigheit von ihm, der Par- thei, die zum Gegner geht, um ſich Recht zu verſchaffen, nicht zu dieſem zu folgen, eine Feigheit, ſie dort, wenn ſie Widerſtand findet, im Stich zu laſſen. So finden wir, daß bei dem Schein- kampf in der reivindicatio von beiden Seiten Gefährten (super- stites) mitgehn; wenn dies beim Scheinkampf nöthig ſchien, ſo wird es auch bei der wirklichen Selbſthülfe der Fall geweſen ſein, und wer hätte hier ehr mitgehn müſſen, als die Zeugen des Geſchäfts, das zu dieſer Selbſthülfe Veranlaſſung gab? Auch bei Beginn des Prozeſſes erſcheinen die beiderſeitigen Bei- ſtände, und wenn der Streit anhängig gemacht iſt, ruft man ſie zu Zeugen auf (contestari; daher jener Akt litis contestatio). Warum? Für einen Akt, der vor dem Prätor (in jure) geſchah, bedurfte es doch wohl nicht der Privatzeugen, ſonſt hätte man ja zu jedem andern Akt vor dem Prätor z. B. der confessio in jure, der in jure cessio u. ſ. w. gleichfalls Zeugen zuziehen und aufrufen müſſen, während davon doch nirgends die Rede iſt. Sind jene Zeugen der Litis contestatio nicht vielleicht die alten Beiſtände bei der Selbſthülfe, die jetzt mit den Partheien vor den Prätor gehn? Der Zeuge des älteſten Rechts, der ſich noch lange in der mancipatio erhielt und in der Teſtamentsform des neuſten rö- miſchen Rechts letztere ſogar überlebte, iſt Solennitäts- zeuge d. h. die Zuziehung deſſelben iſt ein formelles Requiſit des Geſchäftes ſelbſt, der Zeuge nimmt Theil an demſelben, iſt ein Mithandelnder und muß als ſolcher zur Theilnahme aufge- fordert ſein und ſich dazu bereit erklärt haben. Wer nur beim Akt gegenwärtig war, ohne zugezogen zu ſein, iſt nicht Solen- nitätszeuge, ungeachtet er das glaubwürdigſte Zeugniß abzu- legen vermag. Daſſelbe gilt von Perſonen weiblichen Geſchlech- tes; an Glaubwürdigkeit ſtehen ſie nicht zurück, aber was ihnen fehlt, iſt jene phyſiſche Kraft des Mannes, durch die er nöthi- genfalls ſeine Worte bewährt, und wegen dieſes Mangels ſind ſie wie zur Vormundſchaft, bei der gleichfalls in älteſter

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/153>, abgerufen am 27.11.2024.