Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.I. Prinzip d. subj. Willens--System d. Selbsthülfe--Privatrache. §. 11. seiner Verbindlichkeit zu befreien. Setzte nun noch im Systemder öffentlichen Rechtspflege der vindex sich wegen unbegründe- ten Einspruches gegen eine rechtmäßige Selbsthülfe einer solchen Strafe aus, so wird um so ehr im System der Selbst- hülfe der Satz gegolten haben, daß jeder, der der Rache des Verletzten gegen seinen Gegner entgegentrat, sich an dem Un- recht desselben betheiligte. Letzterer war gewissermaßen ein Aus- sätziger, dessen Reinigung nur dem Verletzten möglich war, und der jeden ansteckte, der ihn der Strafe zu entziehen suchte. Wenn Jemand wegen öffentlichen Verbrechens ins Exil getrieben ward, wurde es ausdrücklich allen verboten, ihm irgend welche Unter- stützung angedeihen zu lassen; hinsichtlich dessen, der gerechter Selbsthülfe verfallen, verstand es sich dem bisherigen nach von selbst. Die Rache des Verletzten also hatte freies Spiel, ob sie aber konnte er das irrthümlich gezahlte simplum nicht zurückfordern. Wäre das statthaft gewesen, so hätte jeder sich der manus injectio dadurch ent- ziehen können daß er bezahlte und hinterher, ohne einen vindex nöthig zu haben und die Strafe des Duplum zu fürchten, die Zahlung anfocht, während vor der Zahlung die Bestreitung der Forderung nur durch den vindex und mit dem periculum dupli möglich war. 37) Das in partes secare der XII Tafeln auf künstliche Weise aus dem Wege räumen zu wollen, beweist eine völlige Unfähigkeit, sich in den Geist des alten Rechts hineinzudenken. 38) Es ist bereits von Andern z. B. Rein das Kriminalrecht der Römer
S. 284 und Rubino Untersuchung über römische Verfassung und Geschichte I. Prinzip d. ſubj. Willens—Syſtem d. Selbſthülfe—Privatrache. §. 11. ſeiner Verbindlichkeit zu befreien. Setzte nun noch im Syſtemder öffentlichen Rechtspflege der vindex ſich wegen unbegründe- ten Einſpruches gegen eine rechtmäßige Selbſthülfe einer ſolchen Strafe aus, ſo wird um ſo ehr im Syſtem der Selbſt- hülfe der Satz gegolten haben, daß jeder, der der Rache des Verletzten gegen ſeinen Gegner entgegentrat, ſich an dem Un- recht deſſelben betheiligte. Letzterer war gewiſſermaßen ein Aus- ſätziger, deſſen Reinigung nur dem Verletzten möglich war, und der jeden anſteckte, der ihn der Strafe zu entziehen ſuchte. Wenn Jemand wegen öffentlichen Verbrechens ins Exil getrieben ward, wurde es ausdrücklich allen verboten, ihm irgend welche Unter- ſtützung angedeihen zu laſſen; hinſichtlich deſſen, der gerechter Selbſthülfe verfallen, verſtand es ſich dem bisherigen nach von ſelbſt. Die Rache des Verletzten alſo hatte freies Spiel, ob ſie aber konnte er das irrthümlich gezahlte simplum nicht zurückfordern. Wäre das ſtatthaft geweſen, ſo hätte jeder ſich der manus injectio dadurch ent- ziehen können daß er bezahlte und hinterher, ohne einen vindex nöthig zu haben und die Strafe des Duplum zu fürchten, die Zahlung anfocht, während vor der Zahlung die Beſtreitung der Forderung nur durch den vindex und mit dem periculum dupli möglich war. 37) Das in partes secare der XII Tafeln auf künſtliche Weiſe aus dem Wege räumen zu wollen, beweiſt eine völlige Unfähigkeit, ſich in den Geiſt des alten Rechts hineinzudenken. 38) Es iſt bereits von Andern z. B. Rein das Kriminalrecht der Römer
S. 284 und Rubino Unterſuchung über römiſche Verfaſſung und Geſchichte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0143" n="125"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Prinzip d. ſubj. Willens—Syſtem d. Selbſthülfe—Privatrache. §. 11.</fw><lb/> ſeiner Verbindlichkeit zu befreien. Setzte nun noch im Syſtem<lb/> der öffentlichen Rechtspflege der <hi rendition="#aq">vindex</hi> ſich wegen unbegründe-<lb/> ten <hi rendition="#g">Einſpruches</hi> gegen eine rechtmäßige Selbſthülfe einer<lb/> ſolchen Strafe aus, ſo wird um ſo ehr im Syſtem der Selbſt-<lb/> hülfe der Satz gegolten haben, daß jeder, der der Rache des<lb/> Verletzten gegen ſeinen Gegner entgegentrat, ſich an dem Un-<lb/> recht deſſelben betheiligte. Letzterer war gewiſſermaßen ein Aus-<lb/> ſätziger, deſſen Reinigung nur dem Verletzten möglich war, und<lb/> der jeden anſteckte, der ihn der Strafe zu entziehen ſuchte. Wenn<lb/> Jemand wegen öffentlichen Verbrechens ins Exil getrieben ward,<lb/> wurde es ausdrücklich allen verboten, ihm irgend welche Unter-<lb/> ſtützung angedeihen zu laſſen; hinſichtlich deſſen, der gerechter<lb/> Selbſthülfe verfallen, verſtand es ſich dem bisherigen nach von<lb/> ſelbſt.</p><lb/> <p>Die Rache des Verletzten alſo hatte freies Spiel, ob ſie aber<lb/> bei jedem geringfügigen Delikt bis zum Aeußerſten vorſchreiten<lb/> durfte, oder ob ihr je nach Verſchiedenheit der Fälle durch die<lb/> Sitte engere und weitere Schranken vorgezeichnet waren, läßt<lb/> ſich nicht beſtimmen. Bei bürgerlichen Verletzungen erlauben<lb/> die <hi rendition="#aq">XII</hi> Tafeln die Talion, den Schuldner und Dieb trifft Frei-<lb/> heitsberaubung, im Fall eines Concurſes darf erſterer ſogar von<lb/> ſeinem Gläubiger in Stücken geſchnitten werden. <note place="foot" n="37)">Das <hi rendition="#aq">in partes secare</hi> der <hi rendition="#aq">XII</hi> Tafeln auf künſtliche Weiſe aus dem<lb/> Wege räumen zu wollen, beweiſt eine völlige Unfähigkeit, ſich in den Geiſt<lb/> des alten Rechts hineinzudenken.</note> Statt der<lb/> wirklichen Ausübung der Rache aber mochte eben ſo häufig ein<lb/> Abkaufen derſelben vorkommen; die Privatſtrafe (<hi rendition="#aq">poena</hi>) <note xml:id="seg2pn_3_1" next="#seg2pn_3_2" place="foot" n="38)">Es iſt bereits von Andern z. B. Rein das Kriminalrecht der Römer<lb/> S. 284 und Rubino Unterſuchung über römiſche Verfaſſung und Geſchichte</note> der<lb/><note xml:id="seg2pn_2_2" prev="#seg2pn_2_1" place="foot" n="36)">konnte er das <hi rendition="#g">irrthümlich</hi> gezahlte <hi rendition="#aq">simplum</hi> nicht zurückfordern. Wäre<lb/> das ſtatthaft geweſen, ſo hätte jeder ſich der <hi rendition="#aq">manus injectio</hi> dadurch ent-<lb/> ziehen können daß er bezahlte und hinterher, ohne einen <hi rendition="#aq">vindex</hi> nöthig zu<lb/> haben und die Strafe des <hi rendition="#aq">Duplum</hi> zu fürchten, die Zahlung anfocht, während<lb/> vor der Zahlung die Beſtreitung der Forderung nur durch den <hi rendition="#aq">vindex</hi> und<lb/> mit dem <hi rendition="#aq">periculum dupli</hi> möglich war.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [125/0143]
I. Prinzip d. ſubj. Willens—Syſtem d. Selbſthülfe—Privatrache. §. 11.
ſeiner Verbindlichkeit zu befreien. Setzte nun noch im Syſtem
der öffentlichen Rechtspflege der vindex ſich wegen unbegründe-
ten Einſpruches gegen eine rechtmäßige Selbſthülfe einer
ſolchen Strafe aus, ſo wird um ſo ehr im Syſtem der Selbſt-
hülfe der Satz gegolten haben, daß jeder, der der Rache des
Verletzten gegen ſeinen Gegner entgegentrat, ſich an dem Un-
recht deſſelben betheiligte. Letzterer war gewiſſermaßen ein Aus-
ſätziger, deſſen Reinigung nur dem Verletzten möglich war, und
der jeden anſteckte, der ihn der Strafe zu entziehen ſuchte. Wenn
Jemand wegen öffentlichen Verbrechens ins Exil getrieben ward,
wurde es ausdrücklich allen verboten, ihm irgend welche Unter-
ſtützung angedeihen zu laſſen; hinſichtlich deſſen, der gerechter
Selbſthülfe verfallen, verſtand es ſich dem bisherigen nach von
ſelbſt.
Die Rache des Verletzten alſo hatte freies Spiel, ob ſie aber
bei jedem geringfügigen Delikt bis zum Aeußerſten vorſchreiten
durfte, oder ob ihr je nach Verſchiedenheit der Fälle durch die
Sitte engere und weitere Schranken vorgezeichnet waren, läßt
ſich nicht beſtimmen. Bei bürgerlichen Verletzungen erlauben
die XII Tafeln die Talion, den Schuldner und Dieb trifft Frei-
heitsberaubung, im Fall eines Concurſes darf erſterer ſogar von
ſeinem Gläubiger in Stücken geſchnitten werden. 37) Statt der
wirklichen Ausübung der Rache aber mochte eben ſo häufig ein
Abkaufen derſelben vorkommen; die Privatſtrafe (poena) 38) der
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37) Das in partes secare der XII Tafeln auf künſtliche Weiſe aus dem
Wege räumen zu wollen, beweiſt eine völlige Unfähigkeit, ſich in den Geiſt
des alten Rechts hineinzudenken.
38) Es iſt bereits von Andern z. B. Rein das Kriminalrecht der Römer
S. 284 und Rubino Unterſuchung über römiſche Verfaſſung und Geſchichte
36) konnte er das irrthümlich gezahlte simplum nicht zurückfordern. Wäre
das ſtatthaft geweſen, ſo hätte jeder ſich der manus injectio dadurch ent-
ziehen können daß er bezahlte und hinterher, ohne einen vindex nöthig zu
haben und die Strafe des Duplum zu fürchten, die Zahlung anfocht, während
vor der Zahlung die Beſtreitung der Forderung nur durch den vindex und
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