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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Die römische Kosmogonie des Rechts. §. 8.
als ihren Arm und ihr Schwert. Sie sind ein Aggregat von
Individuen, von Atomen, durch nichts vereinigt als durch
ihren wilden Sinn und den gemeinsamen Zweck des Raubens.
Nicht einmal Frauen bringen sie mit, und die benachbarten
Völker, denen sie ein Gräuel sind, weisen mit Hohn und Ent-
rüstung die Zumuthung zurück, ihnen ihre Töchter zur Ehe zu
geben. Aber was ihnen nicht gegeben wird, nehmen sie sich.
Sie laden ihre Nachbarn zur Feier von Spielen ein, überfallen
dann die Gastfreunde, deren Verletzung nach den Begriffen des
Alterthums eins der frevelhaftesten Verbrechen war, und rauben
ihnen die Töchter. Ihr Anführer Romulus, den die Sage zu
den Göttern erhebt, geht ihnen mit gutem Beispiel voran;
Brudermord verschafft ihm die Alleinherrschaft. Die Sage scheint
an dieser Unthat keinen Anstoß zu nehmen; letztere geht, möchte
man sagen, noch auf Rechnung des ursprünglichen Zustandes
der Wildheit und Willkühr, dem aber bald durch Romulus selbst
ein Ende gemacht wird.

Als die einzigen Bindemittel des bunten Haufens werden
Ordnung und Recht zur Herrschaft gebracht, 3) und zwar lehnen
sie ihrerseits sich auf die königliche Gewalt, die Romulus zu
dem Zweck mit äußerm Glanz und Ansehn ausstattet, 4) und
welcher er einen Senat mit berathender Stimme zur Seite stellt.
Nachdem nun der Staat eingerichtet, folgt dem Raube der Sa-
binerinnen die Gründung des Hausstandes und der Familie und
durch die Vermittlung dieser Familienbande eine Verbindung
mit einem organisch gegliederten Volke.

3) Liv. I. c. 8 ... multitudine, quae coalescere in populi unius cor-
pus nulla re praeterquam legibus poterat.
4) Liv. ibid.... jura, quae ita sancta ... fore ratus, si se ipse ve-
nerabilem insignibus imperii fecisset, quum cetero habitu se augustio-
rem tum maxime lictoribus duodecim sumtis fecit.
Bei seinem Rückblick
auf die Königszeit in Lib. II. c. 1. bezeichnet Livius die königliche Gewalt
als die Trägerin oder das Lebensprinzip des ältesten Staats und frägt, was
aus Rom geworden sein würde, wenn jener Haufe von Abentheurern nicht
durch die Furcht vor dem König im Zaum gehalten worden wäre.

Die römiſche Kosmogonie des Rechts. §. 8.
als ihren Arm und ihr Schwert. Sie ſind ein Aggregat von
Individuen, von Atomen, durch nichts vereinigt als durch
ihren wilden Sinn und den gemeinſamen Zweck des Raubens.
Nicht einmal Frauen bringen ſie mit, und die benachbarten
Völker, denen ſie ein Gräuel ſind, weiſen mit Hohn und Ent-
rüſtung die Zumuthung zurück, ihnen ihre Töchter zur Ehe zu
geben. Aber was ihnen nicht gegeben wird, nehmen ſie ſich.
Sie laden ihre Nachbarn zur Feier von Spielen ein, überfallen
dann die Gaſtfreunde, deren Verletzung nach den Begriffen des
Alterthums eins der frevelhafteſten Verbrechen war, und rauben
ihnen die Töchter. Ihr Anführer Romulus, den die Sage zu
den Göttern erhebt, geht ihnen mit gutem Beiſpiel voran;
Brudermord verſchafft ihm die Alleinherrſchaft. Die Sage ſcheint
an dieſer Unthat keinen Anſtoß zu nehmen; letztere geht, möchte
man ſagen, noch auf Rechnung des urſprünglichen Zuſtandes
der Wildheit und Willkühr, dem aber bald durch Romulus ſelbſt
ein Ende gemacht wird.

Als die einzigen Bindemittel des bunten Haufens werden
Ordnung und Recht zur Herrſchaft gebracht, 3) und zwar lehnen
ſie ihrerſeits ſich auf die königliche Gewalt, die Romulus zu
dem Zweck mit äußerm Glanz und Anſehn ausſtattet, 4) und
welcher er einen Senat mit berathender Stimme zur Seite ſtellt.
Nachdem nun der Staat eingerichtet, folgt dem Raube der Sa-
binerinnen die Gründung des Hausſtandes und der Familie und
durch die Vermittlung dieſer Familienbande eine Verbindung
mit einem organiſch gegliederten Volke.

3) Liv. I. c. 8 … multitudine, quae coalescere in populi unius cor-
pus nulla re praeterquam legibus poterat.
4) Liv. ibid.... jura, quae ita sancta … fore ratus, si se ipse ve-
nerabilem insignibus imperii fecisset, quum cetero habitu se augustio-
rem tum maxime lictoribus duodecim sumtis fecit.
Bei ſeinem Rückblick
auf die Königszeit in Lib. II. c. 1. bezeichnet Livius die königliche Gewalt
als die Trägerin oder das Lebensprinzip des älteſten Staats und frägt, was
aus Rom geworden ſein würde, wenn jener Haufe von Abentheurern nicht
durch die Furcht vor dem König im Zaum gehalten worden wäre.
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[91/0109] Die römiſche Kosmogonie des Rechts. §. 8. als ihren Arm und ihr Schwert. Sie ſind ein Aggregat von Individuen, von Atomen, durch nichts vereinigt als durch ihren wilden Sinn und den gemeinſamen Zweck des Raubens. Nicht einmal Frauen bringen ſie mit, und die benachbarten Völker, denen ſie ein Gräuel ſind, weiſen mit Hohn und Ent- rüſtung die Zumuthung zurück, ihnen ihre Töchter zur Ehe zu geben. Aber was ihnen nicht gegeben wird, nehmen ſie ſich. Sie laden ihre Nachbarn zur Feier von Spielen ein, überfallen dann die Gaſtfreunde, deren Verletzung nach den Begriffen des Alterthums eins der frevelhafteſten Verbrechen war, und rauben ihnen die Töchter. Ihr Anführer Romulus, den die Sage zu den Göttern erhebt, geht ihnen mit gutem Beiſpiel voran; Brudermord verſchafft ihm die Alleinherrſchaft. Die Sage ſcheint an dieſer Unthat keinen Anſtoß zu nehmen; letztere geht, möchte man ſagen, noch auf Rechnung des urſprünglichen Zuſtandes der Wildheit und Willkühr, dem aber bald durch Romulus ſelbſt ein Ende gemacht wird. Als die einzigen Bindemittel des bunten Haufens werden Ordnung und Recht zur Herrſchaft gebracht, 3) und zwar lehnen ſie ihrerſeits ſich auf die königliche Gewalt, die Romulus zu dem Zweck mit äußerm Glanz und Anſehn ausſtattet, 4) und welcher er einen Senat mit berathender Stimme zur Seite ſtellt. Nachdem nun der Staat eingerichtet, folgt dem Raube der Sa- binerinnen die Gründung des Hausſtandes und der Familie und durch die Vermittlung dieſer Familienbande eine Verbindung mit einem organiſch gegliederten Volke. 3) Liv. I. c. 8 … multitudine, quae coalescere in populi unius cor- pus nulla re praeterquam legibus poterat. 4) Liv. ibid.... jura, quae ita sancta … fore ratus, si se ipse ve- nerabilem insignibus imperii fecisset, quum cetero habitu se augustio- rem tum maxime lictoribus duodecim sumtis fecit. Bei ſeinem Rückblick auf die Königszeit in Lib. II. c. 1. bezeichnet Livius die königliche Gewalt als die Trägerin oder das Lebensprinzip des älteſten Staats und frägt, was aus Rom geworden ſein würde, wenn jener Haufe von Abentheurern nicht durch die Furcht vor dem König im Zaum gehalten worden wäre.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/109>, abgerufen am 22.11.2024.