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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.

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knieender König predigt besser als ein aufrechter Prediger"), sprach er
wie ein Protestant gegen die katholische Zeremonie etc. etc. Sein Dank
an die Baireuter für die Aufnahme auf der Flucht -- Sein Gesicht ist
meinem ähnlich, hat aber noch weit mehr Reize. "Seine Frau, sagt' er,
habe meine Büste; ob ich sie gesehen etc." Hierauf ließ er mich bei ihr an-5
melden und ich sah sie im Salon. Sie ist nicht schön, aber scharf-
blickend, ruhig, ungeziert, ohne allen Stolz. Ich sollte das Alter meiner
Kinder nennen -- langes Gespräch über Verlobung mit der Feuchters-
leben, deren Namen ich nicht sogleich wußte, bis die Taxis ihn brachte --
über Weimar, Herder und Adelbert Herder, der sie mit Briefen ver-10
folgt -- über Sand -- ich pries den König, daß er, so wie Licht zuerst
geschaffen wurde und darauf alles von selber entstand, zu Baiern gesagt:
es werde Licht -- Leider liest sie auch meine "Chrestomathie" wogegen
ich sprach. -- Vieles mündlich! -- Noch sah ich ihre schönen Kinder
nicht. Er und sie geben keine besondere Hoftafel, sie essen blos an ihrem15
Familientische; folglich hab' ich wenig Aussicht zu öfterem Sehen. Du
dachtest dir überhaupt die Umgänglichkeit mit einem königlichen Hofe
zu sehr nach dem Maßstabe der kleinen Höfe. -- Schmidt, der Hof-
prediger, dessen Hofäußeres mich nicht sehr einnimmt, hat mich mit
Schlichtegroll auf 1 Tag nach Nymphenburg geladen; aber es kommt20
auf Wolken und Muße an, so wie auch bei dem Stahrenbergersee, zu
welchem H. v. Mann (welchem nebst Schlichtegroll ich die meisten
Verbindlichkeiten habe) mich auf sein Gut bringen [will]. Sein treff-
licher Sohn macht der Mutter Ehre und dem Vater Freude. -- Der
guten Renate sieht man die Jahre, und vollends deren Schmerzen sehr25
an; Otto aber erscheint desto kräftiger und ist wie immer, höchst dienst-
fertig. Ein Aufsatz von ihm über den Handel, im Gewerbeblatt, ist sehr
gut geschrieben. Ich bring ihn mit. --


Gestern war Bahrt endlich bei mir. Meine Karte mit der Wohngasse30
war verlegt, wie bei Lerchenfeld, der mich nun zu seinen Männerabenden
bitten ließ. Morgen bin ich zur Venningen auf ein Mittagessen um 4 Uhr
eingeladen, welche Zeit mir mit einem vornehmen Zirkel droht. Aber die
höhere Welt, die mir hier so wenig gefällt als der Mann der Venningen,
soll mich mit ihren Strudeln nicht aus den gelehrten Zirkeln um mich35
her wegziehen; leider nur war der herrliche Roth aus diesen verreiset. --

knieender König predigt beſſer als ein aufrechter Prediger“), ſprach er
wie ein Proteſtant gegen die katholiſche Zeremonie ꝛc. ꝛc. Sein Dank
an die Baireuter für die Aufnahme auf der Flucht — Sein Geſicht iſt
meinem ähnlich, hat aber noch weit mehr Reize. „Seine Frau, ſagt’ er,
habe meine Büſte; ob ich ſie geſehen ꝛc.“ Hierauf ließ er mich bei ihr an-5
melden und ich ſah ſie im Salon. Sie iſt nicht ſchön, aber ſcharf-
blickend, ruhig, ungeziert, ohne allen Stolz. Ich ſollte das Alter meiner
Kinder nennen — langes Geſpräch über Verlobung mit der Feuchters-
leben, deren Namen ich nicht ſogleich wußte, bis die Taxis ihn brachte —
über Weimar, Herder und Adelbert Herder, der ſie mit Briefen ver-10
folgt — über Sand — ich pries den König, daß er, ſo wie Licht zuerſt
geſchaffen wurde und darauf alles von ſelber entſtand, zu Baiern geſagt:
es werde Licht — Leider lieſt ſie auch meine „Chreſtomathie“ wogegen
ich ſprach. — Vieles mündlich! — Noch ſah ich ihre ſchönen Kinder
nicht. Er und ſie geben keine beſondere Hoftafel, ſie eſſen blos an ihrem15
Familientiſche; folglich hab’ ich wenig Ausſicht zu öfterem Sehen. Du
dachteſt dir überhaupt die Umgänglichkeit mit einem königlichen Hofe
zu ſehr nach dem Maßſtabe der kleinen Höfe. — Schmidt, der Hof-
prediger, deſſen Hofäußeres mich nicht ſehr einnimmt, hat mich mit
Schlichtegroll auf 1 Tag nach Nymphenburg geladen; aber es kommt20
auf Wolken und Muße an, ſo wie auch bei dem Stahrenbergerſee, zu
welchem H. v. Mann (welchem nebſt Schlichtegroll ich die meiſten
Verbindlichkeiten habe) mich auf ſein Gut bringen [will]. Sein treff-
licher Sohn macht der Mutter Ehre und dem Vater Freude. — Der
guten Renate ſieht man die Jahre, und vollends deren Schmerzen ſehr25
an; Otto aber erſcheint deſto kräftiger und iſt wie immer, höchſt dienſt-
fertig. Ein Aufſatz von ihm über den Handel, im Gewerbeblatt, iſt ſehr
gut geſchrieben. Ich bring ihn mit. —


Geſtern war Bahrt endlich bei mir. Meine Karte mit der Wohngaſſe30
war verlegt, wie bei Lerchenfeld, der mich nun zu ſeinen Männerabenden
bitten ließ. Morgen bin ich zur Venningen auf ein Mittageſſen um 4 Uhr
eingeladen, welche Zeit mir mit einem vornehmen Zirkel droht. Aber die
höhere Welt, die mir hier ſo wenig gefällt als der Mann der Venningen,
ſoll mich mit ihren Strudeln nicht aus den gelehrten Zirkeln um mich35
her wegziehen; leider nur war der herrliche Roth aus dieſen verreiſet. —

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[40/0045] knieender König predigt beſſer als ein aufrechter Prediger“), ſprach er wie ein Proteſtant gegen die katholiſche Zeremonie ꝛc. ꝛc. Sein Dank an die Baireuter für die Aufnahme auf der Flucht — Sein Geſicht iſt meinem ähnlich, hat aber noch weit mehr Reize. „Seine Frau, ſagt’ er, habe meine Büſte; ob ich ſie geſehen ꝛc.“ Hierauf ließ er mich bei ihr an- 5 melden und ich ſah ſie im Salon. Sie iſt nicht ſchön, aber ſcharf- blickend, ruhig, ungeziert, ohne allen Stolz. Ich ſollte das Alter meiner Kinder nennen — langes Geſpräch über Verlobung mit der Feuchters- leben, deren Namen ich nicht ſogleich wußte, bis die Taxis ihn brachte — über Weimar, Herder und Adelbert Herder, der ſie mit Briefen ver- 10 folgt — über Sand — ich pries den König, daß er, ſo wie Licht zuerſt geſchaffen wurde und darauf alles von ſelber entſtand, zu Baiern geſagt: es werde Licht — Leider lieſt ſie auch meine „Chreſtomathie“ wogegen ich ſprach. — Vieles mündlich! — Noch ſah ich ihre ſchönen Kinder nicht. Er und ſie geben keine beſondere Hoftafel, ſie eſſen blos an ihrem 15 Familientiſche; folglich hab’ ich wenig Ausſicht zu öfterem Sehen. Du dachteſt dir überhaupt die Umgänglichkeit mit einem königlichen Hofe zu ſehr nach dem Maßſtabe der kleinen Höfe. — Schmidt, der Hof- prediger, deſſen Hofäußeres mich nicht ſehr einnimmt, hat mich mit Schlichtegroll auf 1 Tag nach Nymphenburg geladen; aber es kommt 20 auf Wolken und Muße an, ſo wie auch bei dem Stahrenbergerſee, zu welchem H. v. Mann (welchem nebſt Schlichtegroll ich die meiſten Verbindlichkeiten habe) mich auf ſein Gut bringen [will]. Sein treff- licher Sohn macht der Mutter Ehre und dem Vater Freude. — Der guten Renate ſieht man die Jahre, und vollends deren Schmerzen ſehr 25 an; Otto aber erſcheint deſto kräftiger und iſt wie immer, höchſt dienſt- fertig. Ein Aufſatz von ihm über den Handel, im Gewerbeblatt, iſt ſehr gut geſchrieben. Ich bring ihn mit. — d. 14ten — Geſtern war Bahrt endlich bei mir. Meine Karte mit der Wohngaſſe 30 war verlegt, wie bei Lerchenfeld, der mich nun zu ſeinen Männerabenden bitten ließ. Morgen bin ich zur Venningen auf ein Mittageſſen um 4 Uhr eingeladen, welche Zeit mir mit einem vornehmen Zirkel droht. Aber die höhere Welt, die mir hier ſo wenig gefällt als der Mann der Venningen, ſoll mich mit ihren Strudeln nicht aus den gelehrten Zirkeln um mich 35 her wegziehen; leider nur war der herrliche Roth aus dieſen verreiſet. —

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:22:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:22:18Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/45>, abgerufen am 26.04.2024.