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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.

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484. An Friedrich Köppen in Landshut.
[Kopie]

Verdrüßlich ists in jedem Falle, wenn man, nachdem das Beste in uns
reif geworden z. B. der Verstand, noch darauf warten muß, bis noch
etwas Schlimmes auch reif wird, der graue Staar. -- Und der ists5
jetzt in meinem linken Auge, und macht sogar Anstalten, im rechten ein
Stäärchen auszubrüten. Auch Retina-Schwäche befällt oft die Augen,
so daß ich, für ein hiesiges Leben, Fegfeuer genug habe -- wovon auf
dieses Papier ein gelber Wiederschein fällt -- indem ich mich durchaus
nicht an das Diktieren gewöhnen und nur schwer und mühsam aus10
fremdem Vorlesen -- bei der Schnelle und Viellautigkeit meiner
Lektüre -- schöpfen kann.

Nun bitt' ich Sie, höchstgeschätzter H. Hofrath, um eine Nachricht,
von welcher der verschwiegenste Gebrauch gemacht werden soll,
nämlich über den Professor Reisinger, der lange in Ihrer Nähe lebte15
und operierte. Ich lernte ihn in einer halbstündigen Unterredung als
einen reichen hellen Kopf -- obwol ein Bischen der streitenden Pro-
fessorenkirche zugethan -- kennen. Nun ist die Frage, ob seine Hand so
gut ist wie sein Kopf, und eben so glücklich Licht als dieser gibt.

Dieß ist meine Frage und Bitte an Sie.20

Ach ich möchte so gern und so warm mein geliebtes Werk über die
Unsterblichkeit gar vollenden, und die Sonne durch den Brennspiegel
näher rücken -- und immer fährt Gewölk über den Spiegel! -- Ant-
worten Sie bald.

Ich grüße und umarme Ihre liebe Gattin mit der Liebe als hätten25
meine Augen nur eine Eros-Binde um. -- Mit hoher Achtung etc.

485. An Kammerrat Miedel in Bayreuth.

Hochzuverehrender Herr Kammerrath! Ein so himmlischer Mai ver-
langt auch einen schönen Tempel, wo man ihn anbetet. Sonst war es Ihr30
Garten. Jetzt aber kann ich meiner kranken Augen wegen nichts von
diesem Tempel gebrauchen als die enge Mönchs Sakristei oben. Darf
ich Sie nun nicht bitten, mich für einen Winterapfel anzusehen und mir,
so oft ich in den Garten gehe, den Schlüssel zur Stube, wo Sie sonst
Ihr Winterobst aufbewahrten, nur bis 2 Uhr zu leihen, wo er dann35

484. An Friedrich Köppen in Landshut.
[Kopie]

Verdrüßlich iſts in jedem Falle, wenn man, nachdem das Beſte in uns
reif geworden z. B. der Verſtand, noch darauf warten muß, bis noch
etwas Schlimmes auch reif wird, der graue Staar. — Und der iſts5
jetzt in meinem linken Auge, und macht ſogar Anſtalten, im rechten ein
Stäärchen auszubrüten. Auch Retina-Schwäche befällt oft die Augen,
ſo daß ich, für ein hieſiges Leben, Fegfeuer genug habe — wovon auf
dieſes Papier ein gelber Wiederſchein fällt — indem ich mich durchaus
nicht an das Diktieren gewöhnen und nur ſchwer und mühſam aus10
fremdem Vorleſen — bei der Schnelle und Viellautigkeit meiner
Lektüre — ſchöpfen kann.

Nun bitt’ ich Sie, höchſtgeſchätzter H. Hofrath, um eine Nachricht,
von welcher der verſchwiegenſte Gebrauch gemacht werden ſoll,
nämlich über den Profeſſor Reiſinger, der lange in Ihrer Nähe lebte15
und operierte. Ich lernte ihn in einer halbſtündigen Unterredung als
einen reichen hellen Kopf — obwol ein Bischen der ſtreitenden Pro-
feſſorenkirche zugethan — kennen. Nun iſt die Frage, ob ſeine Hand ſo
gut iſt wie ſein Kopf, und eben ſo glücklich Licht als dieſer gibt.

Dieß iſt meine Frage und Bitte an Sie.20

Ach ich möchte ſo gern und ſo warm mein geliebtes Werk über die
Unſterblichkeit gar vollenden, und die Sonne durch den Brennſpiegel
näher rücken — und immer fährt Gewölk über den Spiegel! — Ant-
worten Sie bald.

Ich grüße und umarme Ihre liebe Gattin mit der Liebe als hätten25
meine Augen nur eine Eros-Binde um. — Mit hoher Achtung ꝛc.

485. An Kammerrat Miedel in Bayreuth.

Hochzuverehrender Herr Kammerrath! Ein ſo himmliſcher Mai ver-
langt auch einen ſchönen Tempel, wo man ihn anbetet. Sonſt war es Ihr30
Garten. Jetzt aber kann ich meiner kranken Augen wegen nichts von
dieſem Tempel gebrauchen als die enge Mönchs Sakriſtei oben. Darf
ich Sie nun nicht bitten, mich für einen Winterapfel anzuſehen und mir,
ſo oft ich in den Garten gehe, den Schlüſſel zur Stube, wo Sie ſonſt
Ihr Winterobſt aufbewahrten, nur bis 2 Uhr zu leihen, wo er dann35

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[282/0294] 484. An Friedrich Köppen in Landshut. [Bayreuth, April 1825] Verdrüßlich iſts in jedem Falle, wenn man, nachdem das Beſte in uns reif geworden z. B. der Verſtand, noch darauf warten muß, bis noch etwas Schlimmes auch reif wird, der graue Staar. — Und der iſts 5 jetzt in meinem linken Auge, und macht ſogar Anſtalten, im rechten ein Stäärchen auszubrüten. Auch Retina-Schwäche befällt oft die Augen, ſo daß ich, für ein hieſiges Leben, Fegfeuer genug habe — wovon auf dieſes Papier ein gelber Wiederſchein fällt — indem ich mich durchaus nicht an das Diktieren gewöhnen und nur ſchwer und mühſam aus 10 fremdem Vorleſen — bei der Schnelle und Viellautigkeit meiner Lektüre — ſchöpfen kann. Nun bitt’ ich Sie, höchſtgeſchätzter H. Hofrath, um eine Nachricht, von welcher der verſchwiegenſte Gebrauch gemacht werden ſoll, nämlich über den Profeſſor Reiſinger, der lange in Ihrer Nähe lebte 15 und operierte. Ich lernte ihn in einer halbſtündigen Unterredung als einen reichen hellen Kopf — obwol ein Bischen der ſtreitenden Pro- feſſorenkirche zugethan — kennen. Nun iſt die Frage, ob ſeine Hand ſo gut iſt wie ſein Kopf, und eben ſo glücklich Licht als dieſer gibt. Dieß iſt meine Frage und Bitte an Sie. 20 Ach ich möchte ſo gern und ſo warm mein geliebtes Werk über die Unſterblichkeit gar vollenden, und die Sonne durch den Brennſpiegel näher rücken — und immer fährt Gewölk über den Spiegel! — Ant- worten Sie bald. Ich grüße und umarme Ihre liebe Gattin mit der Liebe als hätten 25 meine Augen nur eine Eros-Binde um. — Mit hoher Achtung ꝛc. 485. An Kammerrat Miedel in Bayreuth. Baireut d. 4. Mai 1825 Hochzuverehrender Herr Kammerrath! Ein ſo himmliſcher Mai ver- langt auch einen ſchönen Tempel, wo man ihn anbetet. Sonſt war es Ihr 30 Garten. Jetzt aber kann ich meiner kranken Augen wegen nichts von dieſem Tempel gebrauchen als die enge Mönchs Sakriſtei oben. Darf ich Sie nun nicht bitten, mich für einen Winterapfel anzuſehen und mir, ſo oft ich in den Garten gehe, den Schlüſſel zur Stube, wo Sie ſonſt Ihr Winterobſt aufbewahrten, nur bis 2 Uhr zu leihen, wo er dann 35

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:22:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:22:18Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/294>, abgerufen am 03.05.2024.