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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.

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sucht immer ein anderer Nachbar neben mich zu kommen... Gerade
hier unterbrach mich nach dem so gefälligen Lechner -- bei [dem] ich ein
Logis haben könnte, wär' es nicht zu entlegen -- der freundliche alt-
redliche Osterhausen in seinem verschabten Überrock, der schon einmal
vergeblich nach mir dagewesen. Abends geht er um 5 Uhr (der gewöhn-5
lichen Ausgehzeit der Nürnberger) in den sogenannten Rollleders
Garten, ein Lustort 1/4 Stunde weit.


Mit dem verschabten Rock führte er mich dahin -- viel Matronen --
Musik -- einige alte und neue Bekan[n]tschaften -- z. B. Graf Soden,10
Binder, welcher letzte eine Wohnung mir verschafft hätte, so wie
Osterhausen mir eine in seinem großen Hause anbot. Jetzo aber mag
ich von meinem guten Auerheimer, der jeden Wunsch von mir erfüllt,
nicht mehr weg, zumal da ich in künftiger Woche mein unnützes Hier-
sein ende. Hier gibt es leider keine ausgezeichneten Köpfe, nicht einmal15
unter Männern. Das vorige mal hatt ich Schweigger, Pfaff, Hegel
etc. etc. Auch wußt ich dieß alles voraus und die Herrschaft des Kaufmanns
und die Kälte gegen Philosophie und Dichtkunst und den Mangel an
Gegenden und den tiefen Kopfstand der Weiber, die immer nur mit sich
umgehen und an deren Köpfen selten Gesichter sind wie man sie im20
Weldenschen Theetanz zu Duzenden antrifft. -- Dieß alles wußt' ich
voraus -- und wollte daher auch ein Paar mal gar zu Hause bleiben
und war allemal froh, wenn das Wetter etwas schlechter wurde --,
aber meine närrische phantastische Natur hielt mir immer den herrlichen
Glanzmorgen vor die Nase, wo ich von Anspach durch die Anlagen25
fuhr, an denen ich mir dummer Weise ein Abendsonnenquartier (d. h.
3/4 Stunden weit von der innern Stadt) miethen wollte; und am meisten
stieß mich der Gedanke hieher, daß ich mir doch recht einkaufen könnte,
nämlich ---- Federn, Papier und Bleistifte. Auch Graves-Weine
wollt' ich hier versuchen, es soll aber kein Tropfen davon zu haben sein.30
Das Theater ist mittelmäßig. Keine Straße ist so breit und lang wie die
Friedrichstraße; alles ist ein Gassengedärm, durch das man sich wie ein
Stück verdautes Fleisch mit hundert Fragen windet. Seebeck hatte
schon Recht. In meinem Münchner Tagebuch mach ich die leeren
Blätter zum Nürnberger; aber Himmel, welche Mittag- und Abend-35
feste und Menschen (z. B. Sömmering etc. etc.) hatt' ich dort fast un-
ausgesetzt! --

ſucht immer ein anderer Nachbar neben mich zu kommen... Gerade
hier unterbrach mich nach dem ſo gefälligen Lechner — bei [dem] ich ein
Logis haben könnte, wär’ es nicht zu entlegen — der freundliche alt-
redliche Oſterhauſen in ſeinem verſchabten Überrock, der ſchon einmal
vergeblich nach mir dageweſen. Abends geht er um 5 Uhr (der gewöhn-5
lichen Ausgehzeit der Nürnberger) in den ſogenannten Rollleders
Garten, ein Luſtort ¼ Stunde weit.


Mit dem verſchabten Rock führte er mich dahin — viel Matronen —
Muſik — einige alte und neue Bekan[n]tſchaften — z. B. Graf Soden,10
Binder, welcher letzte eine Wohnung mir verſchafft hätte, ſo wie
Oſterhauſen mir eine in ſeinem großen Hauſe anbot. Jetzo aber mag
ich von meinem guten Auerheimer, der jeden Wunſch von mir erfüllt,
nicht mehr weg, zumal da ich in künftiger Woche mein unnützes Hier-
ſein ende. Hier gibt es leider keine ausgezeichneten Köpfe, nicht einmal15
unter Männern. Das vorige mal hatt ich Schweigger, Pfaff, Hegel
ꝛc. ꝛc. Auch wußt ich dieß alles voraus und die Herrſchaft des Kaufmanns
und die Kälte gegen Philoſophie und Dichtkunſt und den Mangel an
Gegenden und den tiefen Kopfſtand der Weiber, die immer nur mit ſich
umgehen und an deren Köpfen ſelten Geſichter ſind wie man ſie im20
Weldenſchen Theetanz zu Duzenden antrifft. — Dieß alles wußt’ ich
voraus — und wollte daher auch ein Paar mal gar zu Hauſe bleiben
und war allemal froh, wenn das Wetter etwas ſchlechter wurde —,
aber meine närriſche phantaſtiſche Natur hielt mir immer den herrlichen
Glanzmorgen vor die Naſe, wo ich von Anſpach durch die Anlagen25
fuhr, an denen ich mir dummer Weiſe ein Abendſonnenquartier (d. h.
¾ Stunden weit von der innern Stadt) miethen wollte; und am meiſten
ſtieß mich der Gedanke hieher, daß ich mir doch recht einkaufen könnte,
nämlich —— Federn, Papier und Bleiſtifte. Auch Graves-Weine
wollt’ ich hier verſuchen, es ſoll aber kein Tropfen davon zu haben ſein.30
Das Theater iſt mittelmäßig. Keine Straße iſt ſo breit und lang wie die
Friedrichſtraße; alles iſt ein Gaſſengedärm, durch das man ſich wie ein
Stück verdautes Fleiſch mit hundert Fragen windet. Seebeck hatte
ſchon Recht. In meinem Münchner Tagebuch mach ich die leeren
Blätter zum Nürnberger; aber Himmel, welche Mittag- und Abend-35
feſte und Menſchen (z. B. Sömmering ꝛc. ꝛc.) hatt’ ich dort faſt un-
ausgeſetzt! —

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[235/0244] ſucht immer ein anderer Nachbar neben mich zu kommen... Gerade hier unterbrach mich nach dem ſo gefälligen Lechner — bei [dem] ich ein Logis haben könnte, wär’ es nicht zu entlegen — der freundliche alt- redliche Oſterhauſen in ſeinem verſchabten Überrock, der ſchon einmal vergeblich nach mir dageweſen. Abends geht er um 5 Uhr (der gewöhn- 5 lichen Ausgehzeit der Nürnberger) in den ſogenannten Rollleders Garten, ein Luſtort ¼ Stunde weit. Abends Mit dem verſchabten Rock führte er mich dahin — viel Matronen — Muſik — einige alte und neue Bekan[n]tſchaften — z. B. Graf Soden, 10 Binder, welcher letzte eine Wohnung mir verſchafft hätte, ſo wie Oſterhauſen mir eine in ſeinem großen Hauſe anbot. Jetzo aber mag ich von meinem guten Auerheimer, der jeden Wunſch von mir erfüllt, nicht mehr weg, zumal da ich in künftiger Woche mein unnützes Hier- ſein ende. Hier gibt es leider keine ausgezeichneten Köpfe, nicht einmal 15 unter Männern. Das vorige mal hatt ich Schweigger, Pfaff, Hegel ꝛc. ꝛc. Auch wußt ich dieß alles voraus und die Herrſchaft des Kaufmanns und die Kälte gegen Philoſophie und Dichtkunſt und den Mangel an Gegenden und den tiefen Kopfſtand der Weiber, die immer nur mit ſich umgehen und an deren Köpfen ſelten Geſichter ſind wie man ſie im 20 Weldenſchen Theetanz zu Duzenden antrifft. — Dieß alles wußt’ ich voraus — und wollte daher auch ein Paar mal gar zu Hauſe bleiben und war allemal froh, wenn das Wetter etwas ſchlechter wurde —, aber meine närriſche phantaſtiſche Natur hielt mir immer den herrlichen Glanzmorgen vor die Naſe, wo ich von Anſpach durch die Anlagen 25 fuhr, an denen ich mir dummer Weiſe ein Abendſonnenquartier (d. h. ¾ Stunden weit von der innern Stadt) miethen wollte; und am meiſten ſtieß mich der Gedanke hieher, daß ich mir doch recht einkaufen könnte, nämlich —— Federn, Papier und Bleiſtifte. Auch Graves-Weine wollt’ ich hier verſuchen, es ſoll aber kein Tropfen davon zu haben ſein. 30 Das Theater iſt mittelmäßig. Keine Straße iſt ſo breit und lang wie die Friedrichſtraße; alles iſt ein Gaſſengedärm, durch das man ſich wie ein Stück verdautes Fleiſch mit hundert Fragen windet. Seebeck hatte ſchon Recht. In meinem Münchner Tagebuch mach ich die leeren Blätter zum Nürnberger; aber Himmel, welche Mittag- und Abend- 35 feſte und Menſchen (z. B. Sömmering ꝛc. ꝛc.) hatt’ ich dort faſt un- ausgeſetzt! —

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:22:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:22:18Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/244>, abgerufen am 02.05.2024.