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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954.

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gesagt, daß er für meine Frau etwas nach meinem Abfahren aus-
setzen werde, wenn er die 200 000 fl., die der Kongreß ihm, ohne
Untersuchung auszahlbar, bestimmt, bekomme etc. Auch sprach er
von seinem Testament -- ich weiß nicht, sagte er, er mach' es oder
hab' es gemacht --, worin seine Freunde vorkommen und ich mit.5
Ein großes französisches Werk (es ist die Palingenesie seines frühern
kleinern über das Universum), worin er die Körperwelt, dann die
moralische, dann die himmlische behandelt, hab' ich von ihm in der
Handschrift; und jeden Abend bring' ich meine Bemerkungen, deren
Tadel er gern annimmt .... Der Bediente kommt eben und sagt,10
der Wagen sei gekommen. Eiligst etwas zu schreiben, ist für mich
viel langweiliger als ruhig auseinander stellend. Gebt daher diesen
Brief meiner C[aroline], da ich unmöglich ...


dieselben Historien wieder erzählen kann. -- Ich schicke ihr15
lieber den Brief eröffnet. Nimm es nur nicht übel, Otto, daß
einmal ein Brief an dich in meinem Hause gelesen wird. -- Auch
bei der jetzo abgereiseten Fürstin hab' ich gegessen, so wie
bei dem trefflichen ruhigen, feinen, ehrwürdigen Grafen Goerz.
Bei jener trug mich der Aufschreiber der Tischgäste unter dem20
Namen John Bull ein, was eine artige Satire wäre, wenn es nicht
Unwissenheit wäre. -- Eine Stazion vor Regensburg hindurch fand
ich eine Menge schöner Weiber. -- Gestern nach der Abendstunde
fuhr der Primas mit mir zum Goerz, und um 8 Uhr zum Grafen
Westerhold*), einem Freunde Lavaters, der wegen seiner Arbeiten25
und seiner 10jährigen Gicht niemand früher annimmt. Kommt man
in seine Stube, so ist man schon vor Jahren da gewesen. Denkt
euch einen Tisch mit einer besondern Lampe, die ich nicht zu nennen
weiß, ihn oben daran, auf dem Kanapee seine milde Frau, der Fürst
neben ihr, ihr gegenüber die älteste Tochter, die eben, ungeachtet30
des Primas, des täglichen Gastes, im Federnschneiden fortfuhr für
zwei kleinere Schwestern, welche an einem fernen Tischen ihre
Arbeiten für ihren Lehrer niederschrieben; und den großen Arbeit-
tisch des Grafen an einem andern Kanapee. Eine solche himmlische

*) Heute Abends wollt' er mich wieder zu beiden mitnehmen, die er35
täglich besucht; aber meine Briefe waren ihm genugsam Entschuldigung.
Er ist weder geniert, noch genierend.

geſagt, daß er für meine Frau etwas nach meinem Abfahren aus-
ſetzen werde, wenn er die 200 000 fl., die der Kongreß ihm, ohne
Unterſuchung auszahlbar, beſtimmt, bekomme ꝛc. Auch ſprach er
von ſeinem Teſtament — ich weiß nicht, ſagte er, er mach’ es oder
hab’ es gemacht —, worin ſeine Freunde vorkommen und ich mit.5
Ein großes franzöſiſches Werk (es iſt die Palingeneſie ſeines frühern
kleinern über das Univerſum), worin er die Körperwelt, dann die
moraliſche, dann die himmliſche behandelt, hab’ ich von ihm in der
Handſchrift; und jeden Abend bring’ ich meine Bemerkungen, deren
Tadel er gern annimmt .... Der Bediente kommt eben und ſagt,10
der Wagen ſei gekommen. Eiligſt etwas zu ſchreiben, iſt für mich
viel langweiliger als ruhig auseinander ſtellend. Gebt daher dieſen
Brief meiner C[aroline], da ich unmöglich ...


dieſelben Hiſtorien wieder erzählen kann. — Ich ſchicke ihr15
lieber den Brief eröffnet. Nimm es nur nicht übel, Otto, daß
einmal ein Brief an dich in meinem Hauſe geleſen wird. — Auch
bei der jetzo abgereiſeten Fürſtin hab’ ich gegeſſen, ſo wie
bei dem trefflichen ruhigen, feinen, ehrwürdigen Grafen Goerz.
Bei jener trug mich der Aufſchreiber der Tiſchgäſte unter dem20
Namen John Bull ein, was eine artige Satire wäre, wenn es nicht
Unwiſſenheit wäre. — Eine Stazion vor Regensburg hindurch fand
ich eine Menge ſchöner Weiber. — Geſtern nach der Abendſtunde
fuhr der Primas mit mir zum Goerz, und um 8 Uhr zum Grafen
Weſterhold*), einem Freunde Lavaters, der wegen ſeiner Arbeiten25
und ſeiner 10jährigen Gicht niemand früher annimmt. Kommt man
in ſeine Stube, ſo iſt man ſchon vor Jahren da geweſen. Denkt
euch einen Tiſch mit einer beſondern Lampe, die ich nicht zu nennen
weiß, ihn oben daran, auf dem Kanapee ſeine milde Frau, der Fürſt
neben ihr, ihr gegenüber die älteſte Tochter, die eben, ungeachtet30
des Primas, des täglichen Gaſtes, im Federnſchneiden fortfuhr für
zwei kleinere Schweſtern, welche an einem fernen Tiſchen ihre
Arbeiten für ihren Lehrer niederſchrieben; und den großen Arbeit-
tiſch des Grafen an einem andern Kanapee. Eine ſolche himmliſche

*) Heute Abends wollt’ er mich wieder zu beiden mitnehmen, die er35
täglich beſucht; aber meine Briefe waren ihm genugſam Entſchuldigung.
Er iſt weder geniert, noch genierend.
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[80/0085] geſagt, daß er für meine Frau etwas nach meinem Abfahren aus- ſetzen werde, wenn er die 200 000 fl., die der Kongreß ihm, ohne Unterſuchung auszahlbar, beſtimmt, bekomme ꝛc. Auch ſprach er von ſeinem Teſtament — ich weiß nicht, ſagte er, er mach’ es oder hab’ es gemacht —, worin ſeine Freunde vorkommen und ich mit. 5 Ein großes franzöſiſches Werk (es iſt die Palingeneſie ſeines frühern kleinern über das Univerſum), worin er die Körperwelt, dann die moraliſche, dann die himmliſche behandelt, hab’ ich von ihm in der Handſchrift; und jeden Abend bring’ ich meine Bemerkungen, deren Tadel er gern annimmt .... Der Bediente kommt eben und ſagt, 10 der Wagen ſei gekommen. Eiligſt etwas zu ſchreiben, iſt für mich viel langweiliger als ruhig auseinander ſtellend. Gebt daher dieſen Brief meiner C[aroline], da ich unmöglich ... d. 22. Aug. dieſelben Hiſtorien wieder erzählen kann. — Ich ſchicke ihr 15 lieber den Brief eröffnet. Nimm es nur nicht übel, Otto, daß einmal ein Brief an dich in meinem Hauſe geleſen wird. — Auch bei der jetzo abgereiſeten Fürſtin hab’ ich gegeſſen, ſo wie bei dem trefflichen ruhigen, feinen, ehrwürdigen Grafen Goerz. Bei jener trug mich der Aufſchreiber der Tiſchgäſte unter dem 20 Namen John Bull ein, was eine artige Satire wäre, wenn es nicht Unwiſſenheit wäre. — Eine Stazion vor Regensburg hindurch fand ich eine Menge ſchöner Weiber. — Geſtern nach der Abendſtunde fuhr der Primas mit mir zum Goerz, und um 8 Uhr zum Grafen Weſterhold *), einem Freunde Lavaters, der wegen ſeiner Arbeiten 25 und ſeiner 10jährigen Gicht niemand früher annimmt. Kommt man in ſeine Stube, ſo iſt man ſchon vor Jahren da geweſen. Denkt euch einen Tiſch mit einer beſondern Lampe, die ich nicht zu nennen weiß, ihn oben daran, auf dem Kanapee ſeine milde Frau, der Fürſt neben ihr, ihr gegenüber die älteſte Tochter, die eben, ungeachtet 30 des Primas, des täglichen Gaſtes, im Federnſchneiden fortfuhr für zwei kleinere Schweſtern, welche an einem fernen Tiſchen ihre Arbeiten für ihren Lehrer niederſchrieben; und den großen Arbeit- tiſch des Grafen an einem andern Kanapee. Eine ſolche himmliſche *) Heute Abends wollt’ er mich wieder zu beiden mitnehmen, die er 35 täglich beſucht; aber meine Briefe waren ihm genugſam Entſchuldigung. Er iſt weder geniert, noch genierend.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:19:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:19:52Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/85>, abgerufen am 28.04.2024.