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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954.

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zuweilen Ihre Leiden erleuchtet haben. Ein erhellter Schmerz aber
wird ein begränzter; nur die Nacht ist unendlich. -- Gleichwol
sollten Sie nicht fragen: "was hätte ich alles werden können?"
Jeder Mensch ohne Ausnahme kann diese Frage thun, sogar ein so
viel gewordner wie Goethe, wie Ihnen sein Leben beweiset. Im5
gewöhnlichen Menschen liegen schon so viele und weit umher wach-
sende Kräfte, geschweige im ungewöhnlichen, daß zum Vollwuchs
aller Zweige und Aufbruch aller Blüten und Reifen aller Früchte
ein ganzes Menschenall und alle vier Jahrzeiten für ihn besonders
eingerichtet sich um ihn stellen müßten. --10

An Ihrer Erzählung wünscht' ich nichts geändert, nur an Ihren
Noten die Zahl derselben, da diese so trefflich sind. --

Der Vorreden muß ein Autor nicht zu viele machen. Jedes Jahr
schlage ich einige ab. Statt einer Vorrede zu Ihrem Werkchen will
ich sogleich nach dessen Erscheinung im Morgenblatt ein Lob dessel-15
ben geben, was es noch schneller in Umlauf bringt, und von welchem
Sie bei Ihrem Verleger im Voraus Gebrauch machen können.

Seit Jahren antworte ich keinen Unbenannten, weil ihr Vortheil
über mich wirklich zu stark ist, da sie in der Nacht heraussehen auf
mich im Tage und ich ins Blaue und Dunkle hinein antworten soll.20
Gleichwol hab' ich Ihnen mit offnem Herzen geantwortet, weil das
Ihrige, und Ihr Geist und Ihr Zweck mich zur Hingebung begeister-
ten. Leben Sie wol. Möge ich bald mehr von Ihnen lesen. Gedruckt
oder geschrieben.

Ihr25
Jean Paul Fr. Richter
159. An Anton Dick in Würzburg.
[Kopie]

Meinen Dank für Ihre Zellernüsse -- die aber Ihr guter Wein
nicht als Folie nöthig hat -- blieb ich so lange schuldig wie die Be-30
zahlung Ihres Weins, die ich erst vorgestern -- weil ich den Preis
nicht wußte -- an Ihren Reisediener abgetragen .... Statt des
Eimers immer vorher 12 Flaschen dieses anonymen oder unge-
tauften Weins zu schicken, damit ich ihn meiner Gesundheit und
meinem Geiste -- da ich nur des Schreibens wegen trinke -- erst35
anprobiere, eh ich den ganzen Eimer verschreibe.

zuweilen Ihre Leiden erleuchtet haben. Ein erhellter Schmerz aber
wird ein begränzter; nur die Nacht iſt unendlich. — Gleichwol
ſollten Sie nicht fragen: „was hätte ich alles werden können?“
Jeder Menſch ohne Ausnahme kann dieſe Frage thun, ſogar ein ſo
viel gewordner wie Goethe, wie Ihnen ſein Leben beweiſet. Im5
gewöhnlichen Menſchen liegen ſchon ſo viele und weit umher wach-
ſende Kräfte, geſchweige im ungewöhnlichen, daß zum Vollwuchs
aller Zweige und Aufbruch aller Blüten und Reifen aller Früchte
ein ganzes Menſchenall und alle vier Jahrzeiten für ihn beſonders
eingerichtet ſich um ihn ſtellen müßten. —10

An Ihrer Erzählung wünſcht’ ich nichts geändert, nur an Ihren
Noten die Zahl derſelben, da dieſe ſo trefflich ſind. —

Der Vorreden muß ein Autor nicht zu viele machen. Jedes Jahr
ſchlage ich einige ab. Statt einer Vorrede zu Ihrem Werkchen will
ich ſogleich nach deſſen Erſcheinung im Morgenblatt ein Lob deſſel-15
ben geben, was es noch ſchneller in Umlauf bringt, und von welchem
Sie bei Ihrem Verleger im Voraus Gebrauch machen können.

Seit Jahren antworte ich keinen Unbenannten, weil ihr Vortheil
über mich wirklich zu ſtark iſt, da ſie in der Nacht herausſehen auf
mich im Tage und ich ins Blaue und Dunkle hinein antworten ſoll.20
Gleichwol hab’ ich Ihnen mit offnem Herzen geantwortet, weil das
Ihrige, und Ihr Geiſt und Ihr Zweck mich zur Hingebung begeiſter-
ten. Leben Sie wol. Möge ich bald mehr von Ihnen leſen. Gedruckt
oder geſchrieben.

Ihr25
Jean Paul Fr. Richter
159. An Anton Dick in Würzburg.
[Kopie]

Meinen Dank für Ihre Zellernüſſe — die aber Ihr guter Wein
nicht als Folie nöthig hat — blieb ich ſo lange ſchuldig wie die Be-30
zahlung Ihres Weins, die ich erſt vorgeſtern — weil ich den Preis
nicht wußte — an Ihren Reiſediener abgetragen .... Statt des
Eimers immer vorher 12 Flaſchen dieſes anonymen oder unge-
tauften Weins zu ſchicken, damit ich ihn meiner Geſundheit und
meinem Geiſte — da ich nur des Schreibens wegen trinke — erſt35
anprobiere, eh ich den ganzen Eimer verſchreibe.

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[60/0065] zuweilen Ihre Leiden erleuchtet haben. Ein erhellter Schmerz aber wird ein begränzter; nur die Nacht iſt unendlich. — Gleichwol ſollten Sie nicht fragen: „was hätte ich alles werden können?“ Jeder Menſch ohne Ausnahme kann dieſe Frage thun, ſogar ein ſo viel gewordner wie Goethe, wie Ihnen ſein Leben beweiſet. Im 5 gewöhnlichen Menſchen liegen ſchon ſo viele und weit umher wach- ſende Kräfte, geſchweige im ungewöhnlichen, daß zum Vollwuchs aller Zweige und Aufbruch aller Blüten und Reifen aller Früchte ein ganzes Menſchenall und alle vier Jahrzeiten für ihn beſonders eingerichtet ſich um ihn ſtellen müßten. — 10 An Ihrer Erzählung wünſcht’ ich nichts geändert, nur an Ihren Noten die Zahl derſelben, da dieſe ſo trefflich ſind. — Der Vorreden muß ein Autor nicht zu viele machen. Jedes Jahr ſchlage ich einige ab. Statt einer Vorrede zu Ihrem Werkchen will ich ſogleich nach deſſen Erſcheinung im Morgenblatt ein Lob deſſel- 15 ben geben, was es noch ſchneller in Umlauf bringt, und von welchem Sie bei Ihrem Verleger im Voraus Gebrauch machen können. Seit Jahren antworte ich keinen Unbenannten, weil ihr Vortheil über mich wirklich zu ſtark iſt, da ſie in der Nacht herausſehen auf mich im Tage und ich ins Blaue und Dunkle hinein antworten ſoll. 20 Gleichwol hab’ ich Ihnen mit offnem Herzen geantwortet, weil das Ihrige, und Ihr Geiſt und Ihr Zweck mich zur Hingebung begeiſter- ten. Leben Sie wol. Möge ich bald mehr von Ihnen leſen. Gedruckt oder geſchrieben. Ihr 25 Jean Paul Fr. Richter 159. An Anton Dick in Würzburg. [Bayreuth, 19. März 1816] Meinen Dank für Ihre Zellernüſſe — die aber Ihr guter Wein nicht als Folie nöthig hat — blieb ich ſo lange ſchuldig wie die Be- 30 zahlung Ihres Weins, die ich erſt vorgeſtern — weil ich den Preis nicht wußte — an Ihren Reiſediener abgetragen .... Statt des Eimers immer vorher 12 Flaſchen dieſes anonymen oder unge- tauften Weins zu ſchicken, damit ich ihn meiner Geſundheit und meinem Geiſte — da ich nur des Schreibens wegen trinke — erſt 35 anprobiere, eh ich den ganzen Eimer verſchreibe.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:19:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:19:52Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/65>, abgerufen am 27.04.2024.