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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954.

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456. An Heinrich Voß in Heidelberg.

Mein guter Heinrich! Zuerst meinen warmen Dank für euere
Zwillinggeburt! Deine mir blos zu kurze Vorrede verschlang ich.
Ein solcher Wiederhersteller des poetischen Textes beweiset sich da-5
durch freilich als den besten Übersetzer desselben; denn deine Ver-
wandlungen der Prose in die Poesie setzen viel Englisches voraus
und mehr poetischen Sinn als so viele Engländer haben. Aus deinen
so ausgesuchten und sparsamen Noten hätt' ich entbehrliche wegge-
wünscht wie S. 494 e) vom Amphion; selber i) -- oder gar 513 u)10
Apollo -- S. 497 b) -- 500 f) und g).*)

An deines Vaters Übersetzung hab' ich die alte Gediegenheit be-
wundert, die Silber in das kleinere Gold für den engern Raum
umsetzt. Nur müssen bei seinem Grundsatze, daß Text und Über-
setzung sich mathematisch decken sollen, Härten (am meisten in15
Romeo) vorkommen, zumal bei Shakespeare's Knospenhärte statt
der Blätterweiche. Z. B. S. 249

"Kehr' um, träg' Erd'"
Die himmlische Stelle S. 62 ist entstellt durch
"Ich wein' um was mich froh macht."20

Denn nur um das Verlorne und nur über das oder auch dem
Daseienden weint man. Lieber so:
"Ich weine, über was mich freu't."

Die nächste Plus-Sylbe ist schon wegzubringen. Einmal steht (wie
leider auch im Siebenkaes) ein Cherubim, da dieses doch der Plural25
von Cherub ist, wie Seraphim von Seraph. Herrlich benützt und
bereichert er die Sprache wie z. B. mit Gedünst, Gelümp; unlaß,
die Sprenge etc. etc.; auch niedersächsisch wie pampen. Ich freue mich
unendlich auf das Fortfahren. --30


Nur noch einige Tadelwörtchen! Allerdings ist ein Murki lustig.
Yorik in seiner Reise sagt schon: es wäre (nach der empfindsamen
Szene) gewesen, als wenn man nach ihr ein Murki hätte spielen

*) Auch bei deinen Noten über den Aristophanes fand ich ähnliche, bei dessen
Leser du ohnehin viel voraussetzen kannst.35
15*
456. An Heinrich Voß in Heidelberg.

Mein guter Heinrich! Zuerſt meinen warmen Dank für euere
Zwillinggeburt! Deine mir blos zu kurze Vorrede verſchlang ich.
Ein ſolcher Wiederherſteller des poetiſchen Textes beweiſet ſich da-5
durch freilich als den beſten Überſetzer deſſelben; denn deine Ver-
wandlungen der Proſe in die Poeſie ſetzen viel Engliſches voraus
und mehr poetiſchen Sinn als ſo viele Engländer haben. Aus deinen
ſo ausgeſuchten und ſparſamen Noten hätt’ ich entbehrliche wegge-
wünſcht wie S. 494 e) vom Amphion; ſelber i) — oder gar 513 u)10
Apollo — S. 497 b) — 500 f) und g).*)

An deines Vaters Überſetzung hab’ ich die alte Gediegenheit be-
wundert, die Silber in das kleinere Gold für den engern Raum
umſetzt. Nur müſſen bei ſeinem Grundſatze, daß Text und Über-
ſetzung ſich mathematiſch decken ſollen, Härten (am meiſten in15
Romeo) vorkommen, zumal bei Shakeſpeare’s Knoſpenhärte ſtatt
der Blätterweiche. Z. B. S. 249

Kehr’ um, trägErd’“
Die himmliſche Stelle S. 62 iſt entſtellt durch
„Ich wein’ um was mich froh macht.“20

Denn nur um das Verlorne und nur über das 〈oder auch dem〉
Daſeiende〈n〉 weint man. Lieber ſo:
„Ich weine, über was mich freu’t.“

Die nächſte Plus-Sylbe iſt ſchon wegzubringen. Einmal ſteht (wie
leider auch im Siebenkaes) ein Cherubim, da dieſes doch der Plural25
von Cherub iſt, wie Seraphim von Seraph. Herrlich benützt und
bereichert er die Sprache wie z. B. mit Gedünſt, Gelümp; unlaß,
die Sprenge ꝛc. ꝛc.; auch niederſächſiſch wie pampen. Ich freue mich
unendlich auf das Fortfahren. —30


Nur noch einige Tadelwörtchen! Allerdings iſt ein Murki luſtig.
Yorik in ſeiner Reiſe ſagt ſchon: es wäre (nach der empfindſamen
Szene) geweſen, als wenn man nach ihr ein Murki hätte ſpielen

*) Auch bei deinen Noten über den Ariſtophanes fand ich ähnliche, bei deſſen
Leſer du ohnehin viel vorausſetzen kannſt.35
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[227/0234] 456. An Heinrich Voß in Heidelberg. Baireut d. 30. Aug. 1818 Mein guter Heinrich! Zuerſt meinen warmen Dank für euere Zwillinggeburt! Deine mir blos zu kurze Vorrede verſchlang ich. Ein ſolcher Wiederherſteller des poetiſchen Textes beweiſet ſich da- 5 durch freilich als den beſten Überſetzer deſſelben; denn deine Ver- wandlungen der Proſe in die Poeſie ſetzen viel Engliſches voraus und mehr poetiſchen Sinn als ſo viele Engländer haben. Aus deinen ſo ausgeſuchten und ſparſamen Noten hätt’ ich entbehrliche wegge- wünſcht wie S. 494 e) vom Amphion; ſelber i) — oder gar 513 u) 10 Apollo — S. 497 b) — 500 f) und g). *) An deines Vaters Überſetzung hab’ ich die alte Gediegenheit be- wundert, die Silber in das kleinere Gold für den engern Raum umſetzt. Nur müſſen bei ſeinem Grundſatze, daß Text und Über- ſetzung ſich mathematiſch decken ſollen, Härten (am meiſten in 15 Romeo) vorkommen, zumal bei Shakeſpeare’s Knoſpenhärte ſtatt der Blätterweiche. Z. B. S. 249 „Kehr’ um, träg’ Erd’“ Die himmliſche Stelle S. 62 iſt entſtellt durch „Ich wein’ um was mich froh macht.“ 20 Denn nur um das Verlorne und nur über das 〈oder auch dem〉 Daſeiende〈n〉 weint man. Lieber ſo: „Ich weine, über was mich freu’t.“ Die nächſte Plus-Sylbe iſt ſchon wegzubringen. Einmal ſteht (wie leider auch im Siebenkaes) ein Cherubim, da dieſes doch der Plural 25 von Cherub iſt, wie Seraphim von Seraph. Herrlich benützt und bereichert er die Sprache wie z. B. mit Gedünſt, Gelümp; unlaß, die Sprenge ꝛc. ꝛc.; auch niederſächſiſch wie pampen. Ich freue mich unendlich auf das Fortfahren. — 30 d. 31ten Nur noch einige Tadelwörtchen! Allerdings iſt ein Murki luſtig. Yorik in ſeiner Reiſe ſagt ſchon: es wäre (nach der empfindſamen Szene) geweſen, als wenn man nach ihr ein Murki hätte ſpielen *) Auch bei deinen Noten über den Ariſtophanes fand ich ähnliche, bei deſſen Leſer du ohnehin viel vorausſetzen kannſt. 35 15*

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:19:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:19:52Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/234>, abgerufen am 24.11.2024.